Mit der politischen Bildung für nachhaltige Entwicklung wird ein langfristiger Prozess angesprochen. Er betrifft die Lernenden in ihrer gesamten Persönlichkeit, so Michael Görtler, Sozialwissenschaftler und Bildungsreferent, im ersten Teil seines Aufsatzes. In diesem zweiten Teil setzt er sich mit methodischen und unterrichtspraktischen Aspekten der politischen Bildung für nachhaltige Entwicklung auseinander.

 

Beim Blick auf die Aufgaben und Ziele einer politischen Bildung für nachhaltige Entwicklung wird klar, dass sich diese mit herkömmlichen Maßnahmen kaum erreichen lassen. Vielmehr ist eine Neuausrichtung von Lehr- und Lernprozessen notwendig, um Gelegenheiten zur Auseinandersetzung mit der nachhaltigen Entwicklung zu schaffen – insbesondere bezüglich der damit verbundenen Zeitkomponente. Dabei ist die Unterscheidung von schulischer und außerschulischer politischer Bildung wichtig: Die schulische politische Bildung ist in der Regel verpflichtend, die Inhalte laut Lehrplan und den Ablauf gemäß Stundenplan zu vermitteln. In der außerschulischen politischen Bildung gibt es eine größere Freiwilligkeit, Selbstorganisation und Teilnehmerorientierung. Daher bieten sich dort offene oder selbstgesteuerte Lehr- und Lernformen abseits konventionellerer Lehrmethoden besonders an. 

 

Im Bereich der politischen Bildung für nachhaltige Entwicklung ist prozedurales Wissen – also Wissen, das mit einem hohen Anwendungsgrad verbunden ist – besonders wichtig. Nicht die bloße Reaktion, sondern die Proaktion – also das bewusste nach vorne gerichtete Handeln – steht im Mittelpunkt: und zwar auf der individuellen Ebene als Gestaltung des eigenen Lebens und auf der kollektiven Ebene als gemeinschaftliche Gestaltung der Gesellschaft. Besonders plastische Beispiele, bei denen diese Situation deutlich wird, sind das Haushalten, aber auch das Freizeitverhalten. Hier können Mentalitäten und Lebensweisen reflektiert werden, indem z.B. Wissen über die Ursachen und Konsequenzen des Klimawandels vermittelt wird. So kann das eigene Handeln bewertet und Schlüsse für die Zukunft daraus gezogen werden. Dabei ist es auch wichtig die Widersprüchlichkeit des individuellen Denkens und Handelns anzusprechen. In Bezug auf das Umweltverhalten wird dies z.B. deutlich, indem Energiesparlampen im Haushalt genutzt werden, um Ressourcen zu sparen, der eigene PKW aber gleichzeitig für unnötige Fahrten eingesetzt wird. Dabei zeigt sich, dass das Wissen über die Konsequenzen von nicht-nachhaltigem Handeln noch nicht ausreichend ist und ein Widerspruch zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten besteht (vgl. Rieß 2010: 51-65).

 

Eine Möglichkeit zur Sensibilisierung für Zeit, Zukunft und damit auch Nachhaltigkeit besteht im Umgang mit Szenarios. Beim Blick auf das Gesellschaftsmodell der westlichen Industriestaaten wird schnell klar, dass es nicht nachhaltig ist. Im Fortschritts- und Wachstumsparadigma dominieren kurzfristige Trends und immer neue Innovationen, die den Kreislauf von Produktion und Konsumption anfeuern. Wissenschaftliche Szenarios, wie z.B. der „Vierte Sachstandsbericht: Klimaänderung 2007“ des Intergovernmental Panel on Climate Change (vgl. IPCC 2007) führen die Konsequenzen des menschlichen Umgangs mit der Natur deutlich vor Augen. Sie machen klar, dass die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen akzeptiert werden muss und sich der natürliche Zyklus von Wachsen, Gedeihen und Vergehen nicht unendlich beschleunigen lässt. Im Lehr-Lernprozess lässt sich das an Grafiken zum weltweiten, regionalen und nationalen CO2-Ausstoß festmachen. Im Zusammenhang mit den politischen Bemühungen zum Klimaschutz, z.B. dem Kyoto-Protokoll, wird dann deutlich, dass sich die Politik durchaus ihrer Verantwortung bewusst ist, auch wenn die Maßnahmen zum Klimaschutz nur langsam greifen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, den individuellen sogenannten Ökologischen Fußabdruck zu berechnen. Hier lassen sich der Durchschnittsverbrauch an Energie sowie der CO2-Ausstoß visualisieren, so dass die Auswirkungen des nicht-nachhaltigen Handelns nicht mehr von der Hand zu weisen sind.

 

Im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung wird vor allem das selbstgesteuerte Lernen angesprochen, das ein neues Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden erforderlich macht, weil hier an die Stelle der Belehrung und Stoffvermittlung, die Begleitung und Ermöglichung des aktiven Wissens- und Kompetenzerwerbs tritt (vgl. Michelsen 2008). Das gilt auch für die zeitliche Planung und Gestaltung von Lehr-Lernprozessen, um den Umgang mit Zeit heraus zu kristallisieren. Für die politische Bildung sind in diesem Zusammenhang Zeiträume von Bedeutung, weil sie einerseits die didaktische Freiheit für die Lehrenden bei der Planung und Gestaltung und andererseits die Selbststeuerung beim Lernen fördern. Damit wird das Spannungsfeld von Instruktion und Konstruktion im Lehr-Lernprozess angesprochen, das sich z.B. im klassischen Frontalunterricht als Lehrgang bzw. in offenen Unterrichtsformen wie dem Projektunterricht widerspiegelt. Der Umgang mit Zeit wird auf diese Weise im Lehr-Lernprozess sichtbar, weil sich in der Entscheidung für die lehrenden- oder lernendenzentrierte Gestaltung auch die Größe der zeitlichen Freiheiten abbildet, die für selbstgesteuertes Lernen verfügbar gemacht wird. Schließlich spielt die Idee des interdisziplinären und fächerübergreifenden Lernens eine zentrale Rolle (vgl. Haan 2008), denn Alltagssituationen sind nur selten mit der Kenntnis aus einem Schulfach zu bewältigen und lebensweltliche Probleme machen es in der Regel erforderlich, auf unterschiedliche Kontexte zurück zu greifen. 

Zusammenfassend müssen politische Bildungsprozesse für nachhaltige Entwicklung möglichst aktiv und selbstgesteuert sein, an Voraussetzungen und Vorerfahrungen der Lernenden ansetzen sowie transfer- und anwendungsbezogen ausgerichtet sein. Damit wird einem ganzheitlichen Verständnis vom Lernen entsprochen, das die kognitive (Kopf), affektive (Herz) und psychomotorische (Hand) Ebene des Lernens einschließt. Und dafür bietet sich eine Reihe an methodischen Ansatzpunkten an: Fallanalysen in Verbindung mit Internetrecherchen unterstützen das globale und lokale Denken, Rollenspiele helfen bei der Einnahme anderer Perspektiven, Fantasiereisen, Zukunftswerkstätten oder Planspiele steigern die Antizipation, Projekte oder Werkstätten stellen das interdisziplinäre und fächerübergreifende Lernen in den Mittelpunkt. Wichtig ist dabei nicht zuletzt Motivation zu schaffen, was über sichtbare Ergebnisse wie z.B. Ausstellungen, Plakate, Beiträge in den Medien, aber auch die Veranstaltung eines Events gelingen kann. 

 

 

Literatur: 

Haan, Gerhard de (2008): Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept für Bildung für nachhaltige Entwicklung. In: Bormann, I./Haan, G. de (Hrsg.): Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Operationalisierung, Messung, Rahmenbedingungen, Befunde. Wiesbaden, S.23-43 

 

Michelsen, G. (2008). Kompetenzen und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. in Lucker, T., & Kölsch, O. (Hrsg.), Naturschutz und Bildung für nachhaltige Entwicklung, Bonn-Bad Godesberg, 45-57.

 

Rieß, Werner (2010): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Theoretische Analysen und empirische Untersuchungen, Münster. 

 

IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change/Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) 2007: Klimaänderung 2007, Zusammenfassungen für politische Entscheidungsträger, Bern/Wien/Berlin. 

 

Foto: flickr/IMG_9932/fchmksfkcb/cc-by-nc