Sprechen wir über Nachhaltigkeit, spielt die zeitliche Ebene meist eine Rolle: Denn Nachhaltigkeit ist ein zukunftsgewandtes Konzept, das vor Augen führt, dass unser Handeln im Hier und Jetzt Auswirkungen auf die Zukunft hat. Michael Görtler, Sozialwissenschaftler und Referent für politische Jugend- und Erwachsenenbildung, setzt sich im ersten Teil eines Zweiteilers mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung auseinander und bringt es in Zusammenhang mit seiner Bedeutung für die politische Bildung.

 

Einführung

 

Der Klimawandel, der atomare Gau in Fukushima oder die Wirtschafts- und Finanzkrise, die sich als Bankenkrise von den USA aus auf andere Kontinente, Regionen und Staaten ausbreitete, haben in den letzten Jahren eines deutlich gemacht: Das Motto „Nach uns die Sintflut“ ist kein guter Ratgeber für die Politik, denn Entscheidungen ohne Weitblick führen oft erst Jahre oder Jahrzehnte später zu akuten Krisen und chronischen Problemen, die mit erheblichen Schäden an Mensch und Natur einhergehen. Das politische Leitbild der nachhaltigen Entwicklung zielt daher auf eine doppelte, eine inter- und intragenerative Gerechtigkeit: einerseits auf den Ausgleich zwischen den Entwicklungsinteressen des Südens und den Umweltinteressen des Nordens sowie andererseits auf den Ausgleich zwischen den gegenwärtigen und den zukünftigen Generationen. Neben die Gegenwartsdimension von politischem und gesellschaftlichem Handeln tritt damit die Zukunftsdimension. Doch die Politik kann alleine wenig ausrichten und ob der Weg in Richtung nachhaltige Entwicklung eingeschlagen wird, ist nicht zuletzt eine Frage des individuellen Verhaltens. Der Bildung für nachhaltige Entwicklung kommt daher eine große Bedeutung zu: Sie nimmt Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ins Visier, denn in der Bevölkerung müssen ein Mentalitätswandel und eine Veränderung der individuellen Lebensweisen stattfinden, um die Idee einer nachhaltigen Gesellschaft zu verwirklichen.

 

 

Zur Rolle der politischen Bildung

 

Die politische Bildung – in der Schule und im außerschulischen Bereich – steht in Konsequenz erstens vor der Aufgabe, den Lernenden das Konzept der nachhaltigen Entwicklung zu vermitteln, d.h. Wissen und Fähigkeiten zu fördern und ein Nachhaltigkeitsbewusstsein zu schaffen. Und zweitens muss sie die Lernenden dazu anregen, an der Entwicklung einer nachhaltigen Gesellschaft mitzuwirken.

 

Auf dem offiziellen Portal zur Bildung für nachhaltige Entwicklung finden sich die folgenden Angaben: „Bildung für nachhaltige Entwicklung vermittelt Wissen über: globale Zusammenhänge und Herausforderungen wie den Klimawandel oder globale Gerechtigkeit; die komplexen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Ursachen dieser Probleme“. Weiterhin vermittelt Bildung für nachhaltige Entwicklung Kompetenzen. Dabei steht die sogenannte Gestaltungskompetenz im Mittelpunkt: „Mit Gestaltungskompetenz wird die Fähigkeit bezeichnet, Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden und Probleme nicht nachhaltiger Entwicklung erkennen zu können. Sie umfasst zum Beispiel folgende Fähigkeiten: vorausschauendes Denken; interdisziplinäres Wissen; autonomes Handeln; Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen“, so die Ausführung auf der Webseite. Aus diesem Grund ist es wichtig, ein Verständnis für die Verflechtung der lokalen und globalen Ebene sowie von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu schaffen. Zudem steht die Einnahme von anderen Perspektiven im Mittelpunkt, um andere Kulturen, Werte, Normen und Verhaltensweisen kennen zu lernen. Auf diese Weise wird die Fernverantwortung mehr als deutlich, denn das Motto „Global denken, lokal handeln“ macht auf der einen Seite darauf aufmerksam, dass nicht nur die eigene Lebenswelt in der Gegenwart betroffen ist, sondern auf der anderen Seite auch die Menschen, die in anderen Ländern, Regionen und auf anderen Kontinenten leben und zwar auch in Zukunft.

 

Beim Blick auf die Ziele wird deutlich, dass Zeit dabei eine zentrale Rolle spielt. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist per Definition ein zeitlicher Prozess, indem sich Folgendes widerspiegelt: die Zukunftsorientierung als Dauerhaftigkeit und Langfristigkeit des Lernens und Handelns, die Bildung als Aufbau eines Bewusstseins für die Zeit, das Wissen über Zeit und der Umgang mit ihr (Lernen aus der Vergangenheit, Analysieren und Beurteilen der Gegenwart und Schlussfolgern für die Zukunft). In diesem Rahmen wird vor allem die Zukunft als Teildimension der Zeit zu einem zentralen Thema für die politische Bildung. Zur Auseinandersetzung mit der Zukunft sind kognitive, affektive sowie praktische Kompetenzen notwendig. Dazu zählt das Verständnis für die Komplexität des Geschehens, die emotionale Betroffenheit sowie die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen und anstehenden Herausforderungen (Handlungskompetenz in Bezug auf Zeit und Zukunft). Zukunft muss als offener Zeitraum aufgefasst werden, der aus der Gegenwart heraus mitgestaltet werden kann.

 

Zusammenfassend gewinnt die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Auseinandersetzung mit den sozialen, ökologischen und ökonomischen Problemen also an Bedeutung für die politische Bildung: Dieser Bereich ist beauftragt, die Lernenden für die Zeitlichkeit von Mensch und Natur sowie den Umgang mit Zeit im Alltag, aber auch in der Politik, zu sensibilisieren. Dabei wird einem ganzheitlichen Verständnis vom Lernen entsprochen, das Kopf, Herz und Hand (in Anlehnung an J.H. Pestalozzi) einschließt. Wie das geschehen kann, wird im zweiten Teil beantwortet. 

 

 

Foto: flickr/marsmet546