Freie Bildungsmaterialien in Deutschland: Beiträge, Interviews und Eindrücke von der OER-Konferenz am 14./15.9. in Berlin
Die Frage, wie man mit “offenen” Lernmaterialien Geld verdienen kann, treibt viele um. Der Programmierer Stefan Suwelack hat darüber nachgedacht und seine Idee auf der Wikimedia OER-Konferenz vorgestellt. Wenn es nach ihm geht, sollen OER-Macherinnen und Macher endlich das Prinzip der Markenbildung für sich entdecken. Über den Workshop auf der OER-Konferenz berichtet Sarah Lotz.
Es ist eine Krux mit dem Lernen: Will man Lehre für mehr Leute machen, geht entweder der Preis hoch oder die Qualität runter. Und wenn die Materialien dann auch noch offen sein sollen und möglichst günstig, scheint die Situation vollends ausweglos. Auch deshalb sind Schulbuchverlage regelmäßig auf Veranstaltungen zu OER vertreten, mit offenen Augen und dem Stift in der Hand für Ideen. So wurden die Vertreterinnen und Vertreter der klassischen Verlage denn auch hellhörig, als Stefan Suwelack seine Idee eines nachhaltigen Geschäftsmodells für offene Lernmaterialien vorstellte. Suwelack setzt bei seiner Idee einer Plattform für Lernmaterialien vor allem darauf, die Autorinnen und Autoren zu stärken, in denen er den Schlüssel zu nachhaltigen Geschäftsmodellen im Schulbereich sieht.
Nun ist die Idee einer Plattform für Bildungsmaterialien nicht neu. Neben diversen kommerziellen Plattformen helfen seit einigen Jahren auch Angebote wie der deutsche Bildungsserver oder die Learn:line NRW als Meta-Server bei der Suche nach dem richtigen Lehr- und Lernmaterial. Suwelack sieht in seinem Angebot dennoch großes Potential, da es das Prinzip von OER mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell verbindet.
Ein entscheidender Irrtum bei OER sei, sagt Suwelack, dass sie als eine Art Wikipedia für den Schulbereich verstanden würden. Zwar entstehen offene Lernmaterialien kollaborativ – schließlich sollen Lehrende sie so weiterentwickeln, dass sie sie für ihre spezifische Schülerschaft einsetzen können. Aber dennoch werden OER nicht per Crowdsourcing entwickelt, wie es bei Wikipedia der Fall ist. Lernmaterialien sind didaktisierte Module, oft sogar ganze Unterrichtsreihen. Wenn sie inhaltlich richtig und pädagogisch sinnvoll sein sollen, müssen sie von Lehrerinnen und Lehrern oder Fachleuten entwickelt werden. Auch der Prozess der Erstellung sei fundamental anders: Die Akteurinnen und Akteure müssen diskutieren und sich abstimmen.
Für Suwelack ähnelt der Workflow bei der Erstellung offener Bildungsmaterialien eher der Entwicklung offener Software als dem normalen Publikations-Workflow (Details entnehmen Sie bitte seiner Präsentation hier: http://de.slideshare.net/StefanSuwelack/autoren-alsmarke): Während nämlich die allermeisten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer das fertige Schulbuch erst nach seiner Erstellung zu Gesicht bekommen, ist die Testphase sowie die Dokumentation der Testurteile bei den OER die Hauptarbeit.
Um die Lehrenden zur Mitarbeit zu motivieren, setzt Suwelack nicht nur auf Enthusiasmus, sondern vor allem auf das Prinzip Anerkennung. Die Lehrerinnen und Lehrer sollen sich durch regelmäßige Mitarbeit und hochwertige Materialien einen Namen machen – also zur Marke werden – und diese Marke wiederum soll dann zur Qualitätssicherung beitragen. Über das permanente Feedback der Nutzerinnen und Nutzer wird das Material ständig angepasst und verbessert, so die Idee.
Seine Website Lernfink soll die Plattform sein, die (kostenpflichtig) bei der Erstellung und Suche geeigneter Materialien behilflich ist und die Lehrenden dabei unterstützt, ihre selbst entwickelten Materialien zu gestalten und zu teilen. Das Geld für Honorare soll dann über die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform, über Auftraggeberinnen und Auftraggeber, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer hereinkommen.
Schöne neue OER-Welt also? Besser, passender, billiger und das alles auch noch für alle? Die Vertreterinnen und Vertreter der Schulbuchverlage blieben skeptisch und auch das Publikum meldete Zweifel an. Woher sollen Lehrende wissen, welche Materialien gut sind und welche nichts taugen? Woher sollen sie die Zeit nehmen, alle Materialien zu sichten? Auch die Frage, ob die Mitarbeit von Lehrerinnen und Lehrer an einer solchen Plattform rechtlich zulässig ist oder ob sie vom Dienstherren abgesegnet werden muss, konnte nicht geklärt werden.
Auch bleibt abzuwarten, wie in dieser schönen neuen Welt die Selbstausbeutung vermieden werden soll, von der junge Journalistinnen und Journalisten sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur in Deutschland ein Lied singen können, die sich seit Jahren schon unfreiwillig mit der Methode “Autor als Marke” herumschlagen. In der deutschen Presse- und Unilandschaft ist dieses Prinzip schon länger fest verankert und immer wieder wird kritisiert, dass junge, gut ausgebildete Schreiberinnen und Schreiber sowie Forscherinnen und Forscher an der Armutsgrenze jahrelang schlecht oder gar nicht bezahlt schreiben, um eine einigermaßen vorzeigbare Publikationsliste zusammenzubekommen – die Voraussetzung dafür, im System überhaupt wahrgenommen zu werden, während sich die Großen in Verlagen und an den Universitäten vor Aufträgen kaum retten können.
Fest steht aber, dass Ideen für tragfähige Geschäftsmodelle für OER händeringend gesucht werden und vielleicht ist das Prinzip “Autor als Marke” ein Ansatz, auf dem die OER-Macherinnen und Macher aufbauen können.
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Foto: Kooperative Berlin (OER-Konferenz 2013) [CC-BY-SA-3.0]
Liebe Sarah,
vielen Dank für den Artikel über unseren Beitrag zur #OERde13 (der Vortrag fand allerdings im Rahmen der Fachkonferenz und nicht im Rahmen des Barcamps statt).
Du skizzierst eine “schlimme alte Welt”, in der Autoren und Wissenschaftler von Verlagen quasi ausgebeutet werden. Das Ziel der Lernfink-Plattform ist es genau das zu ändern und den Autor wieder in den Mittelpunkt zu stellen.
Es ist derzeit so, dass Schulbuchverlage den Autoren und Herausgebern gemessen am erzielten Umsatz nur sehr geringe Honorare zahlen. Dazu treten die Autoren ihre Nutzungsrechte komplett an die Verlage ab.
Dagegen behalten die Autoren auf http://www.lernfink.de Nutzungsrechte an ihren Arbeiten, sie bestimmen die Lizenz und (bei nicht-OER Inhalten) den Preis selbst und erhalten den Großteil der erzielten Umsätze.
Das Beispiel YouTube zeigt eindrucksvoll, wie auf einer Plattform, bei der jeder mitmachen kann, nicht nur innovative Ideen, sondern auch neue Marken (“YouTube-personalities”) entstehen – demokratisch, in starker Wechselwirkung mit einer Community und jenseits klassischer Fernsehsender-Strukturen.
Viele Grüße,
Stefan (nicht Jan ;-))
Hallo Stefan,
wir haben den Teaser bzgl. Fachkonferenz und deinen Namen korrigiert. Bitte entschuldige das Versehen. Viele Grüße
Kaja (Redaktion)
Hallo Stefan,
das Wichtigste zuerst: Der Fauxpas mit Deinem Namen tut mir wirklich leid! Keine Ahnung, wie der “Jan” in den Artikel gerutscht ist.
Zur “schlimmen alten Welt”: Ich schreibe kein Wort über das derzeitige Geschäftsmodell der Schulbuchverlage.
Recht hast Du aber in Bezug darauf, dass ich für den Journalismus und die deutsche Forschungslandschaft ein System skizziere, in dem sich viele für geringen oder gar keinen Lohn abmühen und von dem wenige wirklich profitieren. Viele suchen da nach Lösungen. Dass diese Skizze ohne Abstriche auf OER übertragbar ist, habe ich nicht gesagt. Aber danach fragen sollte man, da bin ich mir sicher – auch wenn anstelle der Verlage eine Plattform im Zentrum steht.
Jedenfalls finde ich es gut, dass Du in Deinem Kommentar noch einmal ganz explizit benennst, welche Schwächen das jetzige System Deiner Meinung nach hat und wo Deine Plattform ansetzt. Ich denke, das ist für viele Leser hilfreich und – vor allem in Bezug auf die Lizenzierung – eine sinnvolle Ergänzung zum Artikel.
Ich denke, dass man auch das Prinzip “Youtube” auf solche Strukturen der Selbstausbeutung hin untersuchen könnte und sollte. Klar, die Frage ist natürlich, wie man Selbstausbeutung definiert und ob Leute, die aus Spaß Schminkvideos oder ihre Vorlesungen online stellen, sich selbst ausbeuten. Fest steht, dass die wenigsten damit Geld verdienen. Ich kenne einige Künstler, die ihre Sachen im Netz kostenlos oder gegen ein “Like” abgeben – Sachen, die sie abends nach ihrem Brotjob produzieren.
Dessen ungeachtet stelle ich nicht in Abrede, dass dieses System hoch innovativ ist. Ich glaube nur, dass dieses Prinzip der Markenbildung auch Schwächen hat und Nachteile. Ich lasse mich aber vom Gegenteil überzeugen
Viele Grüße und danke für Deinen Kommentar,
Sarah
OER – Ein neues faszinierendes Kürzel für gemeinschaftlich erstellte, offene Lerninhalte. Kein Herumschlagen mehr mit Urheberrechtsverletzungen, freie Weiterverarbeitung in Arbeitsblättern und Lernplattformen, ein Wikipedia für die Schule. Haben wir in der Schule darauf gewartet?
Das digitale Lernen bietet viele neue Möglichkeiten und Chancen. Schulbücher scheinen bei den SchülerInnen “out” zu sein, uncool und fremdgesteuert (“Hausaufgabe ist das Rechnen der Blöcke 4a-f auf Seite 164 im Mathebuch”). Die OER Diskussion umfasst den Diskurs darüber, wie wir mit Inhalten in der digitalen Lernwelt umgehen. Und dieser Diskurs kann spannend sein. Trotzdem ist zu beobachten, dass die Diskussion über OER haußtsächlich ausserhalb der Schule geführt wird.
Trotzdem frage ich mich, ob das das zentrale Problem in der Schule ist, das Problem von LehrerInnen und SchülerInnen. Es mangelt den Schulen ja nicht an Inhalten. Ich sehe das Problem eher darin, dass die Bedeutung von Inhalten in der Schule viel zu schwer wiegt und der Prozess, das “WIE” des Lernens, zu sehr im Hintergrund liegt. Gymnasiasten werden durch das G8 gejagt, Inhalte und “Stoff” muss “durchgenommen” werden, Lehrpläne abgearbeitet, und in der Oberstufe wundert man sich dann, was die SchülerInnen alles nicht können.
Kann dieses Problem durch OER gelöst werden?
OER hat nur eine Chance, wenn es das “WIE” des Lernens, die Lernkultur, mit verhandelt. Es kann bei OER nicht nur um die digitalte Bereitstellung von Inhalten gehen, sondern OER muss auch eine Weiterentwicklung der Lernkultur ermöglichen. Diese Lernkultur müsste folgende Eckpunkte haben:
* Potentialentwicklung: Von dem Können der Lernenden ausgehend und bestärkend
* Kooperativ und kollaborativ: Lernen ist eine soziale Angelegenheit und in der Gemeinschaft nachhaltiger
* Autonome Lernformen: Eine Lernkultur unterstützt die Bedürfnisse der Lernenden nach Autonomie
* Produktorientiert: Durch das Lernen und den Lernprozess entstehen schöne Produkte
* Erfahrungen: Lernen ist mehr als nur Wissen anhäufen. Erfahrungen machen ist ein wichter Faktor für erfolgreiches Lernen
* Rückmeldung und Begleitung: Lernen braucht Begleitung durch Experten (in der Schule die LehrerInnen). Die Rückmeldung zum Lernprozess darf sich nicht nur auf das Wissen (Noten) beziehen. Sie soll eine Beschämung der Lernenden vermeiden.
Wenn OER in der Schule eine Chance haben soll, dann müssen die LehrerInnen mit ins Boot geholt werden. Es muss deutlich werden, wie OER die Gestaltung von Lernsituationen von LehrerInnen erleichtert. Sonst sind die anderen Aufgaben in der Schule, die in den letzten Jahren dort hineingetragen wurden, wie
* Inklusion
* Übernahme von Erziehungsaufgaben von der Familie
* Ganztagsschule
* hoher Leistungsdruck auf SchülerInnen
nicht zu bewältigen.
http://vomunterrichtzumlernen.wordpress.com/