Braucht die Schule mehr Quereinsteiger? Imke Emmerich geht dieser Frage in ihrem Artikel nach, indem sie das Projekt “Teach First” näher betrachtet. Denn das sorgt dafür, dass aus solchen Lehrerinnen und Lehrer werden, die eigentlich gar keine sind.

 

Woher kommst Du und wie viel Geld haben Deine Eltern? Auch hierzulande hängt der Bildungsweg von Kindern und Jugendlichen oft von diesen Fragen ab. Und nicht von ihren Talenten. Teach First Deutschland will das ändern. Seit 2009 schickt die Bildungsinitiative ihre „Fellows“ nach dem Vorbild von Teach for America für zwei Jahre an Brennpunktschulen – zusätzlich zu Lehrern sollen die jungen Leute dort für die Schüler da sein. Dabei sind sie gar keine Pädagogen: Fellows haben sehr gute Studienabschlüsse in Fächern wie BWL, Bio oder Jura und zum Teil schon Karriere in der Wirtschaft gemacht. Mit Teach First können sie noch mal was ganz anderes ausprobieren. Diesen Sommer treten wieder 80 Fellows ihren Schuldienst an. Bewerber-Auswahl, dreimonatiger Pädagogik-Crashkurs und Fortbildungen werden von Förderern bezahlt, das Gehalt der Fellows kommt aus den Töpfen der jeweils zuständigen Bundesländer. Für einige Schulräte und Gewerkschafter ein Unding. „Die Mittel für die Personalkostenbudgetierung sind nicht dazu da, künftigen Führungskräften und Managern den Abenteuerspielplatz zur Entwicklung ihrer ,Social Skills‘ und ihrer Kompetenz in ,Leadership‘ zu finanzieren.“ Zeilen wie diese liest man in Positionierungen der Bildungsgewerkschaft GEW gegen Teach First.

 

DHL, Siemens, Lufthansa, McKinsey – die lange Liste der Teach First-Förderer liest sich tatsächlich wie ein Who is Who der Wirtschaft. Sie alle machen, was sie auf Marketingdeutsch „Corporate Social Responsibility“ nennen: übernehmen unternehmerische Verantwortung im Sozialen. Kritiker nennen es Weichspülgang. „Ich kann die Kritik verstehen, wenn man glaubt, den Schülern bringt das alles nichts und unsere Fellows machen das Ganze nur, weil sie sich nachher bessere Jobchancen ausrechnen. Hier liegt ein Missverständnis vor: Fellows werden junge Menschen, die sich überlegen, was es sonst noch gibt – außer der Karriere“, sagt Ulf Matysiak, Geschäftsführer von Teach First Deutschland. Man wolle aus den Fellows keine Topmanager machen, sondern pädagogisch sehr gut arbeitende Menschen an Schulen, sagt er. Einerseits sollen die Fellows jetzt dort Hilfe leisten, wo sie gebraucht werden, andererseits das Thema auch langfristig in ihren späteren Berufen nicht aus den Augen verlieren.

Auch Sebastian Mildner findet, dass man das Engagement der Wirtschaft nicht verteufeln sollte. „Natürlich muss dabei gewährleistet sein, dass kein Einfluss auf unsere Arbeit genommen wird“, sagt er. Sebastian ist seit knapp einem Jahr als Fellow an der Hamburger Ganztagsschule Mümmelmannsberg. Die ist in der Hansestadt bekannt. „Man findet unter den Schülern wenige, die in rundum guten Verhältnissen aufwachsen. Gewalt in der Familie, Arbeitslosigkeit, Armut – alles dabei.“ Sebastian selbst habe es im Leben bisher recht einfach gehabt: schöne Kindheit und das Abi in der Kleinstadt. Bundeswehr. Duales Studium. Danach noch ein MBA. Zuletzt die Stelle in der Presseabteilung der Deutschen Tourenwagen-Masters, kurz DTM. Für die Autorennen am Wochenende war er ständig unterwegs. „Jetzt kriege ich zwar wesentlich weniger Geld zurück, aber auf menschlicher Ebene ganz schön viel.“ Sebastian gestaltet gemeinsam mit den Lehrerkollegen Unterrichtsstunden, übernimmt Fördergruppen, nachmittags bietet er Fußball- oder Basketballstunden an. Noten geben und Zeugnisse schreiben bleibt weiterhin Sache der Lehrer.

 

Für die Berliner Bildungsgewerkschaft ist die Arbeit von Fellows wie Sebastian eine „Verschwendung und Zweckentfremdung von Mitteln, die für die Einstellung von Lehrern und Lehrerinnen vorgesehen waren“, wie sie in ihrem 11. Beschluss bekräftigt. Tatsächlich fragt man sich, warum das Geld der Länder nicht einfach in neue Lehrstellen fließt. Sebastian kennt die Kritik. „Wir Fellows stehen nicht in Konkurrenz zu Lehrern. Am Ende sollen die Schüler doch davon profitieren, dass wir durch unsere verschiedenen Hintergründe anders an die Dinge herangehen.“ Gerade zettelt der 30-Jährige Wirtschaftskooperationen an. Leute aus der Praxis sollen in die Klassen kommen und aus ihren Berufen berichten – damit beide Bereiche sich früher und besser kennenlernen. Sebastian geht auch mal mit seinem Fußballkurs ins Stadion. Dank seines Pressejobs bei der DTM wusste er vom Kartenkontingent des HSV für caritative Zwecke. „Viele Lehrer an meiner Schule würden auch gern mehr machen, aber ihnen fehlt schlicht die Zeit.“

 

Wie Sebastian ist auch Masiar Emanuel Nashat bisher ziemlich erfolgreich durchs Leben spaziert. Der 25-Jährige arbeitet seit einem Jahr an einer integrierten Sekundarschule in Berlin, vorher hat er Politik studiert: in Bamberg, Berlin und Washington. Zwei Praktika im Bundestag, neben dem Studium Engagement im Basketballverein. „Wir müssen uns in Deutschland überlegen, welche Ressourcen wir haben. Wir haben kein Öl. Wir haben unsere Köpfe und wir haben Schüler, die irgendwann mal auf eine gute Idee kommen.“ Dass Masiar selbst nicht auf den Kopf gefallen ist und Teach First auch als Möglichkeit begreift, „noch besser zu werden“, wird schnell klar. Aber gleichzeitig geht es ihm nicht bloß um den Punkt im Lebenslauf. Er will was verändern, wenn auch nur im Kleinen. Und betrachtet es als Vorteil, dass Fellows nur zwei Jahre an den Schulen sind, weil sie sich in dieser Zeit voll in die Arbeit stürzen können. „Schüler brauchen Vielfalt. Bei uns an der Schule genießen sie die Mischung aus erfahrenen Kollegen, Referendaren und jungen Hochschulabsolventen wie mir.“ Die Schulleitung setzt ihn gezielt dort als Ressource ein, wo individuelle Förderung notwendig ist. Und hier entstehen die kleinen Erfolgserlebnisse: Wenn das Vokabeltraining Wirkung zeigt oder der Klassenkasper nach einem Gespräch etwas besser zuhört. Und am Ende vielleicht doch einen guten Abschluss macht.

 

Teach First wird Masiar und Sebastian ohne Zweifel dabei behilflich sein, weiterhin gut im Leben voranzukommen. Wie zwei auf der Überholspur, die ihren Lebenslauf noch schnell mit Sozialkompetenz aufhübschen müssen, wirken sie aber auch nicht. Gerade können sich die beiden sogar vorstellen, auch nach den zwei Jahren im Schulbereich zu bleiben. Laut Ulf Matysiak keine Seltenheit. Von den ersten Fellows wäre etwa die Hälfte im Bildungssektor geblieben.

Auch, wenn manche Kritik am Einsatz der Überflieger vielleicht nicht ganz unberechtigt ist; fest steht doch Eines: Jahr für Jahr verlassen junge Menschen ohne Abschluss und Perspektive die Schulen. Die Fellows von Teach First sind jetzt vor Ort und wollen was bewegen. Übrigens: für 1750 Euro brutto im Monat. Für karrieregeile Topmanagertypen vielleicht eher nichts. 

 

Dieser Artikel erschien in gekürzter Version in der aktuellen Ausgabe des bpb-Magazins fluter.

 

Foto: flickr/probek