Erfahrungen einer Bildungsexpedition und Plädoyer für eine zeitgemäße Ausbildung von Lehrkräften – Teil 1

An der Uni fehlen Orte für Lehramtsstudierende, an denen sich getroffen, vernetzt und Erfahrungen ausgetauscht werden können, meint kreidestaub.net. Gemeinsam wollen die angehenden Lehrer_innen diskutieren und hospitieren. Sie wollen verschiedene Wege erforschen, wie Lernen initiiert werden kann. Im Herbst 2013 ist das Netzwerk zu einer gemeinsamen Bildungsreise aufgebrochen und berichtet nun auf werkstatt.bpb.de in einem zweiteiligen Bericht von seinen Erfahrungen.

 

zu Teil 2

 

Eine Reise zur “guten Schule”

“Wir nehmen nicht die Lehrer mit den besten Noten und auch erst recht keine Fachidioten”, sagt Angelika Knies, Schulleiterin der Gemeinschaftsschule in Bargteheide, die 2013 den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung gewonnen hat, über Junglehrer_innen. “Ich suche nach Leuten, die Visionen haben, wie man eine gute Schule machen könnte.”

Sie möchte mit ihren Kolleg_innen noch weiter gehen. Die Schule ist nicht fertig. Im Gegenteil. Dass es ein guter Ansatz ist, die Schule als lernende Institution zu begreifen, zeigt sich an der Anne-Frank-Schule Bargteheide (AFS) in den guten Leistungen der Schüler_innen. Hier werden überdurchschnittlich gute Resultate erreicht, obwohl zu gleichen Teilen Haupt-, Real- und Gymnasialempfohlene im selben Klassenraum miteinander lernen und Unterschiedlichkeit befürwortet wird. Seit 16 Jahren hat keine Schüler_in die Schule ohne Abschluss verlassen. Die meisten erreichen einen besseren Abschluss, als ihnen prophezeit worden ist. Die AFS beweist, dass Schule gelingen kann.

 

Es gibt sie also: Lernorte, an welchen Schulangst und Leistungsstress Fremdwörter sind und stattdessen die Freude am Lernen und das Miteinander im Vordergrund stehen. Orte, an welchen Leistung keinesfalls negiert aber anders definiert wird und die Leistungsspitze trotzdem breit ist. Was zeichnet diese Lernorte aus? Mit dieser Frage im Gepäck haben wir uns fernab der Universität im September 2013 für zwei Wochen mit einer selbstorganisierten Reise durch Deutschland auf die Suche nach gelungenen Lernorten begeben. Unterwegs haben wir mehr gelernt – so fühlt es sich manchmal an – als in den Jahren des Studiums. 

 

So besticht die Preisträgerschule 2013, wie auch die Jury hervorhebt, vor allem durch ihre außergewöhnlich motivierten Lehrer_innen und deren guten Draht zur Schülerschaft. “Unsere Lehrer verstehen sich als Pädagogen und nicht nur als Wissensvermittler”, betont die Schulleiterin. Diese Haltung bedeutet in der Praxis, dass je zwei Klassenlehrer_innen ihre Klasse von der fünften bis zur zehnten Klassenstufe begleiten. Erst durch eine solche Kontinuität ist Beziehungsaufbau möglich und Beziehungspflege notwendig. Schüler_innen und Lehrer_innen wissen, dass sie lange Zeit auf einander angewiesen sind. Probleme können so nicht ausgesessen, sondern müssen gelöst werden. Auch im Lehrerbüro, in welchem die Pädagog_innen in Jahrgangsteams anstatt in Fächergruppen zusammensitzen, ist der Fokus auf den Menschen statt auf den “zu behandelnden Stoff” erkennbar. Bei auftretenden Schwierigkeiten sind die Klassenleiter_innen an der AFS keineswegs allein: Ein unterstützendes Netzwerk aus Kolleg_innen ist stets zur Stelle. Auch sie sind Teil der Jahrgangsteams und kennen ihre Schüler_innen über viele Jahre.

 

Wer an dieser Gemeinschaftsschule arbeiten möchte, sollte demnach einen Blick für den individuellen Leistungsstand, die Begabungen und die Eigenarten der ihm_ihr anvertrauten jungen Menschen haben, ihnen einfühlsam begegnen, sensibel für Klassendynamiken, offen für den Austausch im Team und für die Selbstreflexion eigenen Handelns sein. Diese an die Lehrperson gestellten Anforderungen lesen sich wie eine Stellenanzeige für den normalen Alltag an einer Schule – einem sozialen Lernort. Aber wer frisch von der Universität kommt, ist im Regelfall eben nicht auf das vorbereitet, was man in Bargteheide unter einer guten Schule versteht, und was über viele Jahre hinweg mit den Lehrer_innen gemeinsam gewachsen ist.

 

Lehrer_innen machen Schule 

Eine Erkenntnis unserer Reise lautet: Es gibt verschiedene Wege zum Ziel. Die Vision eines “guten Wegs” kann unterschiedlich ausfallen. Wir erlebten Schulen,  die vielmehr Gestaltungsort statt Vermittlungsanstalt sind. Wer diese Vision einer guten Schule teilt, soll sich bewusst sein, dass es vorwiegend die Lehrer_innen vor Ort sind, die die Schule gestalten. Ihre Ausbildung zu ändern, wäre der erste Schritt. 

 

Was sind zukunftsrelevante Kompetenzen für junge Menschen? Das Finden eigener Lösungsstrategien statt Paukerei vorgefertigter Lösungen? Kritisches Denken, Teamfähigkeit, echte Kreativität, Handlungswille und ein konstruktiver Umgang mit Diversity? Oder geht es vornehmlich darum, auf der Metaebene zu lernen, wie Lernen funktioniert, damit dieses lebenslang als aktiver Prozess gestaltet werden kann? So oder so: Lehrende müssen den Erwerb dieser Kompetenzen unterstützen. Sie begleiten Lernprozesse je nach Bedürfnis: Mal eher moderierend und mal stärker aktivierend. Dies erfordert neben Fachwissen und Fachdidaktik auch Lernpsychologie und vielfältige pädagogische Methoden. Um eine positive Lernatmosphäre zu schaffen, müssen darüber hinaus eigene Kommunikationsmuster und Kenntnisse um Gruppenprozesse reflektiert werden. Auf unserer Reise haben wir gelernt: Gute Schule braucht Lehrer_innen, die Lernexpert_innen sind und die sich, wie es Schulleiterin Frau Knies von der AFS formuliert, als praktisch tätige Pädagog_innen verstehen.

 

Teil 2 des kreidestaub.net-Beitrages beinhaltet konkrete Schlussfolgerungen für die zukünftige Lehrerausbildung  

 

Foto:  flickr/Vicki & Chuck Rogers, Lizenz: CC by-nc 2.0