Teil 3: Konsequenzen für die politische Bildungsarbeit

Der Rechtsextremismus ist eine zentrale Herausforderung für unsere Demokratie. In den letzten Jahren hat er neue Formen angenommen, wobei das World Wide Web, insbesondere das Web 2.0, eine wichtige Rolle spielen. Michael Görtler, Sozialwissenschaftler und Referent für politische Jugend- und  Erwachsenenbildung, stellt in einem dreiteiligen Beitrag Überlegungen zur Gefahr des “Rechtsextremismus 2.0” und deren Relevanz für die politische Bildung an. Der erste Teil führte in das Thema ein und zeigte neue Erscheinungsformen des Rechtsextremismus auf, der zweite Teil beschäftigte sich mit den Ursachen. Der abschließende, dritte Teil fragt schließlich nach Konsequenzen für die politische Bildungsarbeit. 

 

Die bisherigen Ausführungen im ersten und zweiten Teil des Beitrags haben auf die neuen Erscheinungsformen und die Ursachen des Rechtsextremismus aufmerksam gemacht. Nun drängt sich die Frage auf, welche Konsequenzen sich daraus für die politische Bildungsarbeit ergeben. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen sind Ziele der politischen Bildung wie die Urteils- und Handlungsfähigkeit, aber auch das Wissen, die sich in einschlägigen Kompetenzmodellen aus der Politikdidaktik widerspiegeln (vgl. GPJE 2004, Massing 2012). Darüber hinaus spielen die Fähigkeiten zur demokratischen Lösung von Konflikten wie zur Einnahme anderer Perspektiven eine Rolle (vgl. Reinhardt 2004). Darüber hinaus aber auch die Ambiguitätstoleranz, als Fähigkeit zum Aushalten von Widersprüchen in Lebenswelt, Gesellschaft und Politik. Diese Ziele gilt es zu schulen, um dem Rechtsextremismus wirksam entgegentreten zu können.  

 

Verständnis schaffen und Vorurteile abbauen 

Politik(er_innen)- und Parteienverdrossenheit ist in nicht wenigen Fällen eine Folge von Unwissen (vgl. Patzelt 2001). Auch dem Rechtsextremismus liegt häufig eine Politikferne zu Grunde, so dass Fehlverständnisse oder Vorurteile als eine Quelle für ein rechtsextremes Weltbild und die dazugehörigen Einstellungen ausgemacht werden können. Das wird an zwei Behauptungen nachvollziehbar, die immer wieder für Zündstoff in der Öffentlichkeit sorgen: Erstens, dass Ausländer_innen nur in die Bundesrepublik kämen, um Sozialleistungen zu erhalten, und zwar ohne dabei die Motivation an den Tag zu legen, einer (legalen) Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dabei wird die Tatsache, dass es sich bei den Personen nicht selten um Asylbewerber_innen oder nachgezogene Familienmitglieder handelt, schlichtweg ignoriert. Zweitens wird Ausländer_innen im Vergleich zu Einheimischen eine signifikant höhere Kriminalitätsrate nachgesagt. Als Beleg angeführte Statistiken müssen allerdings differenziert betrachtet werden, weil darin auch Delikte enthalten sind, die von Einheimischen gar nicht begangen werden können, wie z.B. Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) (Sommer 2012). Ein Blick in die „Polizeiliche Kriminalstatistik 2012“ des BMI (BMI 2013) gibt an dieser Stelle Aufschluss über die tatsächliche Situation. 

 

Aufgrund von Unwissen, Fehlverständnissen und Vorurteilen wächst nun die Gefahr, dass Einzelne die Unzufriedenheit mit dem eigenen sozialen wie ökonomischen Status auf Ausländer_innen ummünzen, um sie als Außenseiter abzuwerten und damit im Umkehrschluss sich und die Gruppe, der sie angehören, aufzuwerten. Auf diese Weise wird noch ein weiterer Mechanismus sichtbar, nämlich die einseitige Wahrnehmung der Ausländer_innen als Bedrohung für die deutsche Kultur, aber auch für die deutschen Arbeitnehmer_innen, wobei die Tatsache aus den Augen gelassen wird, dass in bestimmten Sektoren gegenwärtig ein Bedarf an Arbeitskräften besteht, der angesichts des Demografischen Wandels in Zukunft sogar noch zunehmen wird (Quelle: bpb o.A.)

 

Dieser kurze Aufriss verdeutlichte, dass es um das Verständnis für Zusammenhänge, aber auch Detailwissen nicht gut bestellt ist, so dass sich Stereotypen und Klischees in den Köpfen der Jugendlichen festsetzen. Die Aufgabe der politischen Bildung besteht in Anlehnung an den Beutelsbacher Konsens daher darin, den Lernenden die Kontroversität des Rechtsextremismus zu verdeutlichen. Wenn die Faktenlage sichtbar gemacht sowie Falsches und Richtiges gegenüberstellt werden, können Fehlverständnis und Vorurteile im Diskurs mit den Mitlernenden, aber auch der Lehrkraft ausgeräumt werden, und aus Unwissen entspringt eine angemessenere Einschätzung der Lage. 

 

Zum Handeln befähigen 

Die Diskussion um Zivilcourage, die in den letzten Jahren angesichts von Gewalttaten auf offener Straße immer wieder aufgeflammt ist, gibt an dieser Stelle die Richtung vor. Angesichts der Schlüsselfunktion der Bürger_innen in der Demokratie ist die Förderung ihrer Selbstwirksamkeit von zentraler Bedeutung, damit sie im Alltag ein klares Zeichen gegen Ausländerfeindlichkeit setzen. Aus Sicht der Schüler- und Interessenorientierung aus dem Beutelsbacher Konsens geht es darum, den Lernenden dabei zu helfen, ihre Position erkennen und vertreten zu können. Und hier lässt sich der Bogen zu den vorausgehenden Abschnitten schlagen: Denn erst wenn im Strudel von Fehlverständnissen und Vorurteilen seitens der politischen Bildung Unwissen beseitigt, Orientierung geboten und Zusammenhänge sichtbar gemacht werden, können die Schülerinnen und Schüler wohlüberlegte Handlungsentscheidungen treffen, um sich gegen rechtsextreme Bestrebungen zu stellen oder entsprechende Aktionen, Initiativen und Projekte zu unterstützen.   

 

Bezogen auf das World Wide Web ist es dabei besonders wichtig, die Lernenden für die Bedrohung aus dem Netz zu wappnen, d.h. einschlägige Einträge in Webseiten, Audio- und Videoplattformen oder sozialen Netzwerken zum Gegenstand der Diskussion zu machen. Das betrifft etwa die Rechtslage, aber auch die Darstellung der eigenen Person im Internet. In diesem Rahmen kommt auch die Zusammenarbeit mit den Eltern in Betracht, besonders dann, wenn begründeter Verdacht infolge des Auftretens von Auffälligkeiten bei Jugendlichen besteht. Für diesen Fall stellen regionale Beratungsstellen Informationen zur Verfügung, organisieren Veranstaltungen oder bieten Vorträge vor Ort an, um den Betroffenen zur Seite zu stehen. In Frage kommen eine ganze Reihe von Initiativen, die sich mit dem “Rechtsextremismus 2.0” befassen und dafür Beratungsangebote im und außerhalb des World Wide Webs machen. Einige wenige davon werden in gebotener Kürze vorgestellt. 

 

Der bereits angesprochene Bericht “Rechtsextremismus online” von jugendschutz.net macht auf aktuelle Entwicklungen im Netz aufmerksam und sensibilisiert für Gefahren, die im Internet lauern. Darüber hinaus finden sich auf der Homepage eine Reihe von Materialien zur Thematik, die in der Bildungspraxis angewendet werden können. Auch auf der Webseite www.netz-gegen-nazis.de der Amadeu Antonio Stiftung finden sich nützliche Informationen, um Verständnis zu schaffen, Vorurteile abzubauen und zum Handeln zu befähigen. Sie gibt Einblick in Bezug auf die Strukturen und Erscheinungsformen der rechtsextremen Szene. Der Verfassungsschutz weist auf die Situation im Internet hin, zum Teil abgestimmt auf die einzelnen Bundesländer. Die EU-Initiative klicksafe.de dagegen setzt sich für mehr Sicherheit im Netz ein. Auf der Homepage lassen sich Materialien für Lehrkräfte abrufen, die im Unterricht eingesetzt werden können. Schließlich bietet die Online Beratung gegen Rechtsextremismus auf Anfrage einen direkten Zugang über E-Mail oder Einzelchat, aber auch Gruppenberatungen an.  

 

Und die Schule? 

Ein einschlägiger Ansatz stellt das Demokratie-Lernen, das an der Lebenswelt der Schüler_innen andockt, in den Mittelpunkt (vgl. Himmelmann 2004). Die demokratische Schulentwicklung spielt hier eine tragende Rolle, weil sie demokratische Strukturen für den Unterricht und das Zusammenleben in der Schule vorgibt. Das betrifft zum einen die demokratische Interaktion zwischen den Lehrenden und Lernenden, um den SchülerInnen gegenseitigen Respekt, Solidarität und Toleranz nahe bringen. Zum anderen stellt die demokratische Schule Erfahrungs- und Handlungsräume her, um die Wissensvermittlung im Unterricht zu flankieren. Über diesen Zugang kann die Demokratie im Alltag erlernt werden, um es auf die höher angelegten Ebenen der Gesellschaft und Politik anzuwenden. Mittels klassischer Methoden wie die Schülermitverwaltung sowie die Wahl von Klassen- oder Schülersprecher_innen hinaus, stellen Projekte eine Möglichkeit des Handelns dar, z.B. die Organisation von Aktionstagen, die Fahrt zu einer Demonstration oder die Unterstützung von Initiativen gegen Rechts. 

 

Abschließend ist auch die Zusammenarbeit zwischen dem Kollegium, der Schulleitung und mit den Eltern von Bedeutung – und das heißt auch, dass sich Lehrende zum Thema Rechtsextremismus regelmäßig fortbilden müssen. Und der Schule bietet sich das mittlerweile weit verbreitete Label “Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage” an, um ein deutliches Zeichen zu setzen.

 

Literatur:

Bundesministerium des Innern (BMI) (Hrsg.) (o.A.): Polizeiliche Kriminalstatistik, online unter: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2013/PKS2012.pdf?__blob=publicationFile (Stand November 2013). 

 

Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (o.A.): Dossier Demografischer Wandel in Deutschland, online unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/demografischer-wandel (Stand November 2013). 

 

Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) (2004): Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf, 2. Aufl., Schwalbach/Ts.: Wochenschau, online unter:  http://www.gpje.de/media/Bildungsstandards.pdf (Stand November 2013). 

 

Himmelmann, Gerhard (2004): Demokratie-Lernen: Was? Warum? Wozu? Beiträge zur Demokratiepädagogik, Eine Schriftenreihe des BLK-Programms: “Demokratie lernen & leben”, hrsgg. von Wolfgang Edelstein und Peter Fauser, Berlin: o.A., online unter: http://www.pedocs.de/volltexte/2008/216/pdf/Himmelmann.pdf (Stand November 2013).

 

Massing, Peter (2012): Die vier Dimensionen der Politikkompetenz, Politische Bildung, APuZ 46-47, Bonn: bpb, online unter: http://www.bpb.de/apuz/148216/die-vier-dimensionen-der-politikkompetenz?p=all (Stand November 2013). 

 

Patzelt, Werner (2001): Deutschlands latenter Verfassungskonflikt : Politikverdrossenheit entsteht durch Missverständnisse. In: Die politische Meinung: Monatsschrift zu Fragen der Zeit, H. 6, S. 51-55.

 

Reinhardt, Sybille (2004): Demokratie-Kompetenzen, Beiträge zur Demokratiepädagogik, Eine Schriftenreihe des BLK-Programms: “Demokratie lernen & leben”, hrsgg. von Wolfgang Edelstein und Peter Fauser, Berlin: o.A., online unter: http://www.pedocs.de/volltexte/2008/163/pdf/Reinhardt.pdf (Stand November 2013)

 

Sommer, Ilka (2012): “Ausländerkriminalität” – statistische Daten und soziale Wirklichkeit, Dossier: Innere Sicherheit, Bonn: bpb, online unter: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/innere-sicherheit/76639/auslaenderkriminalitaet (Stand November 2013). 

 

Foto: Flickr.com / Blai Server / CC BY-NC-SA 2.0