Die OECD veröffentlicht die PISA-Ergebnisse 2012

Deutschland hat aufgeholt. In allen Disziplinen des internationalen Schulleistungstests – Mathematik, Lesen, Naturwissenschaften – liegt Deutschland nun über dem OECD-Durchschnitt. Auch bildungsferne Schüler_innen schneiden im Durchschnitt besser ab als noch zur Jahrtausendwende. Grund zur Freude, sollte man meinen – doch der erwartete Medien-Jubel bleibt größtenteils aus. Stattdessen dominieren Kritik an der Methode der PISA-Studien und die Frage, woran man erfolgreichen Unterricht messen könne.

 

Laut Ergebnissen der PISA-Studie liegt Deutschland in allen getesteten Bereichen über dem OECD-Durchschnitt. Der Schwerpunkt der aktuellen PISA-Studie ist das Fach Mathematik. Die 15-jährigen deutschen Schüler_innen sind dem OECD-Durchschnitt ein halbes Schuljahr voraus (514 Punkte, der OECD-Durchschnitt liegt bei 494 Punkten). Auch in den anderen Disziplinen haben die deutschen Schüler_innen zugelegt. Der Durchschnittswert beim Lesen liegt bei 508 Punkten, der OECD-Durchschnitt hingegen bei 496 Punkten. In den Naturwissenschaften erzielten die deutschen Schüler_innen durchschnittlich 524 Punkte (OECD: 501). Spitzenreiter sind in diesem Jahr südostasiatische Länder. Im Fach Mathematik befinden sich unter den besten zehn teilnehmenden Ländern und Regionen sieben aus Asien. Shanghai, Singapur, Hongkong und Korea stellen die Leistungsträger. Die Schüler_innen aus Shanghai sind jenen im OECD-Durchschnitt fast drei Schuljahre voraus. Sie sind weit vor den besten europäischen Ländern Liechtenstein, der Schweiz und den Niederlanden. PISA-Vorzeigeländer wie Finnland und Schweden haben sich im Gegensatz zu früheren Untersuchungen verschlechtert. Im Bereich Mathematik fällt Finnland von 536 Punkten im Jahr 2000 auf 519 Punkte in der aktuellen PISA-Studie. Erklärungen für diesen Rückgang kann die PISA-Studie nicht liefern.

 

Deutsche Bildungspolitiker_innen sind stolz auf das Ergebnis. Hatte doch im Jahr 2000 das schlechte Abschneiden Deutschlands zu einem regelrechten “PISA-Schock” geführt, der öffentliche Diskussionen und zahlreiche Schulreformen initiiert hatte – unter anderem einheitliche Bildungsstandards für alle Bundesländer. Besonders die schlechten Ergebnisse in der Disziplin Lesen (484 Punkte), sowie der enge Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischer Herkunft und Bildungserfolg der Kinder hatten Besorgnis erregt.

 

Der Tagesspiegel hebt hervor, dass die PISA-Studien und nationale Schulvergleiche teilweise mit populären Irrtümern aufgeräumt hätten: Der Fokus auf die Förderung bildungsferner Schüler_innen habe das Niveau an Gymnasien – hingegen populistischen Befürchtungen – nicht sinken lassen. Die PISA-Ergebnisse 2012 zeigen, dass besonders leistungsschwache und sozial benachteiligte Kinder im Fach Mathematik besser als noch 2003 abschneiden. Die Chancengleichheit in der Bildung sei gestiegen. Dennoch liegen Kinder mit Migrationsgeschichte 54 Punkte hinter deutschen Schüler_innen. Dies mache einen Kenntnisrückstand im Fach Mathematik von fast zwei Jahren aus. Soziale Ungerechtigkeit sei daher ein Dauerproblem des deutschen Bildungssystems, so migazin.de.

 

Die Süddeutsche Zeitung warnt deshalb davor, einzelne Erfolgsgeschichten von Schüler_innen mit Migrationsgeschichte in den Vordergrund zu stellen, stattdessen müsse vor allem auch der Unterschied der mathematischen Leistungen zwischen Jungen und Mädchen beleuchtet werden. Seit 2003 ist dieser Unterschied sogar gewachsen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hingegen erklärt in der Zusammenfassung der PISA-Ergebnisse, dass der Unterschied von 14 Punkten zwischen Jungen und Mädchen im OECD-Durchschnitt läge. Selbstgefälliges Schulterklopfen der Bildungspolitiker_innen sei jedoch unangebracht, so Inga Michler in der WELT. Schließlich stagniere die Zahl der leistungsstarken Schüler_innen im Fach Mathematik, so das Medium. Doch gerade diese bräuchte Deutschland, um sich in der globalen Wirtschaft zu behaupten. Exzellente Ergebnisse hätten nur 18 Prozent der deutschen Schüler_innen erzielt, in Korea seien es über 30 Prozent.

 

Parvin Sadigh kommentiert zudem auf ZEIT ONLINE, dass noch immer rund 15 Prozent der deutschen Schüler_innen als Bildungsverlierer_innen bezeichnet werden könnten. Sie wirft außerdem die Frage nach der Aussagekraft der PISA-Studie auf. Die PISA-Studie verwische die spezifische Situation der Länder und deren Lösungsmöglichkeiten. Dadurch sei eine konkrete Fallanalyse der einzelnen Länder schwierig. Das Abfragen von Hauptfächern verenge das Verständnis von Bildung. Auch Nachhaltigkeit des Wissens und künstlerische Kreativität würden in PISA nicht widergespiegelt. Deutsche Studien fehlten, die erfolgreichen Unterricht analysierten. Wieso die deutschen Schüler_innen in PISA 2012 bessere Ergebnisse als in den Jahren zuvor erzielten, basierten ihre Meinung nach daher einzig auf Vermutungen.

 

Mögliche Ansätze seien hier die frühere Einschulung der Kinder, die steigende Anzahl der Schüler_innen, die das Gymnasium besuchten, die Arbeit der Fachlehrer_innen im Unterricht, aber auch die außerschulischen Nachhilfeangebote. Außerdem habe sich die Zusammensetzung der Eingewanderten geändert. Die Zuversicht, durch gute Noten einen Ausbildungsplatz zu finden, und ein höherer Bildungsgrad der nächsten Generation von Mitmenschen mit Migrationshintergrund mögen Gründe für besseres Abschneiden sein. Die Süddeutsche Zeitung fügt diesen Vermutungen den Ausbau des Ganztagsangebots hinzu. Dieser sei entscheidend für die Verbesserung des Sprachniveaus, welches wiederum ein Schlüssel für Bildungserfolg sei. Des Weiteren zitiert das Medium auch Havva Engin, Leiterin des Heidelberger Zentrums für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik. Die Routine mit Bildungsstudien sei ein entscheidender Faktor für das gute Abschneiden der deutschen Schüler_innen, so Frau Engin in dem Medium. Die Lehrer_innen wüssten, welches Wissen abgefragt werde, und bereiteten ihre Schüler_innen entsprechend auf die PISA-Tests vor.

 

Die Presse spiegelt die Meinung der Bildungsexpert_innen wider: Das gute Abschneiden der südostasiatischen Länder sei zwar bewundernswert, kopieren wolle man die Bildungssysteme jedoch keinesfalls. Spiegel.de warnt vor dem hohen Druck, unter dem die Schüler_innen in Korea leiden und unterstreicht, dass keiner wolle, dass die Schüler_innen für die guten Schulnoten mit dem Verlust ihrer Kindheit bezahlen müssten. Die Lernmethoden, wie dutzendfaches Wiederholen und Frontalunterricht seien umstritten, doch in Sachen Lehrerausbildung könne Deutschland etwas von den südostasiatischen Ländern lernen. Lehrer_innen würden hier nur ein Fach unterrichten, an deutschen Hauptschulen seien es fünf bis sechs Fächer, wird die Dortmunder Didaktikerin Prediger auf spiegel.de zitiert. Außerdem gelinge es den südostasiatischen Ländern, die besten Studierenden zu Lehrer_innen aus- und weiterzubilden, so schreibt auch ZEIT ONLINE.

 

PISA-Kritiker Thomas Jahnke, Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der Universität Potsdam fordert deshalb auf tagesschau.de “Lieber Lehrer fördern, als ständig Schüler zu testen.” Es solle mehr Geld in die Lehrer_innenausbildung fließen. Auch faz.net zitiert Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, der sich für eine Erhöhung der Lehrerstundenzahl an Schulen, ein größeres Angebot an Forder- und Förderkursen ausspricht. Gudrun Tisch, Lehrerin an der Katholischen Schule Liebfrauen Berlin, organisiert für ihre Schüler_innen Mathecamps außerhalb der Schule; sie bestätigt ebenso auf tagesschau.de: Begeistere man die Schüler_innen in der Unterstufe für das Fach Mathematik, dann säßen sie in der Oberstufe auch im Leistungskurs – Jungen wie Mädchen.

 

Die Diskussionen über Ergebnisse von PISA-Studien scheinen abgeflaut. In den Medien wird die Verbesserung der deutschen Schüler_innen im Vergleich zu vorherigen PISA-Studien zwar wahrgenommen; Lob und konstruktive Diskussionen über das deutsche Bildungssystem bleiben jedoch aus. Denn PISA-Studien messen ausschließlich kognitive mathematische -, naturwissenschaftliche – sowie Lesefähigkeiten. Nachhaltigkeit, Kompetenz-, Handlungsorientierung, individuelle Förderung und Kreativität – Schlagwörter deutscher Bildungspolitik nach dem “PISA-Schock” 2000 – misst die Vergleichsstudie der OECD nicht. Das heißt, konkrete Maßnahmen, die für das bessere Abschneiden der deutschen 15-jährigen verantwortlich sind, kann diese Studie nicht liefern. Auch der Blick zu den PISA-Siegern 2012 im südostasiatischen Bereich hilft nicht, ist doch deren Bildungspolitik der deutschen diametral entgegen gesetzt. Trotz internationalen und nationalen Vergleichen von Schulen und Bildungssystemen bleibt die Frage: Was ist guter Unterricht und wie kann man diesen messen, um Handlungsempfehlungen für Bildungspraktiker_innen zu erstellen. 

 

Foto: flickr.com / Axel Schwenke / Erdfunkstelle Usingen 2005 / CC BY-SA 2.0