Die Akzeptanz, Förderung und Diskussion von OER gestalten sich von Land zu Land unterschiedlich – je nach politischen Interessen der Regierungen und der konkreten Umsetzung. Im Rahmen der OER-Konferenz stellt Anna Gruszczynska von der Sheffield Hallam University in ihrem SpeedLab-Beitrag “The British Way of OER” die Situation in Großbritannien dar und erläutert konkrete Projekte. Die Lehrerin Regina Schulz berichtet vom Beitrag, ihren Eindrücken und stellt Bezüge zur Situation in deutschen Klassenzimmern her. 

 

In Großbritannien werden OER-Projekte systematisch unterstützt. Politik, Universitäten, Bildungsinstitutionen und -stätten sowie Schulen arbeiten zusammen, um OER in Großbritannien zu etablieren. Das dreijährige Programm UKOER ist in drei Phasen unterteilt. Phase 1 (April 2009 bis April 2010) beinhaltete, bestehende digitale Unterrichtsmaterialien unter offenere Lizenzen zu stellen, auffindbar zu machen und so Lernenden und Lehrenden zur weiteren Verwendung bereitzustellen. Phase zwei (August 2010 – August 2011) umfasste die Dokumentation der Prozesse und eine gezielte Kommunikation des Mehrwerts von OER für die Gesellschaft. In Phase drei werden nun konkrete Projekte unterstützt, die verstärkt Lernende, Lehrende und Institutionen einbinden, um das Bewusstsein für OER weiter zu schärfen und konkrete OER zu erstellen.

 

In dem SpeedLab-Beitrag “The British Way of OER” stellt Anna Gruszczynska zwei dieser Pilotprojekte vor.”Digital Futures in Teacher Education” und “Digital Bloom wurden mit zehn Schulen in South Yorkshire durchgeführt. Das Ziel der Projekte ist, Lehrenden die Öffnung des Klassenzimmers erfahrbar zu machen und diesen Prozess gemeinsam in einem öffentlichen Raum zu reflektieren. Dabei rückte das ‘Wieso’ – nicht das ‘Wie’ – von digital literacy und OER in den Fokus der Untersuchungen. Die Ergebnisse der Projekte sind in Form von Fallstudien und Kommentaren unter digitalfutures.org und digitalbloom.org abrufbar.

 

Trotz positiver Erfahrungen schätzt Gruszczynska die Entwicklung der OER-Landschaft Großbritanniens ernüchternd ein. Während sich die Lehre an Universitäten in die Richtung von MOOCs bewege, seien OER im stark regulierten schulischen Kontext noch nicht angekommen. Hauptsächlich informelle Verbreitungswege zwischen Lehrenden würden genutzt. Auch von einer öffentlichen Erwartungshaltung an Bildungsinstitutionen bezüglich OER könne man nicht sprechen. Auf die Frage, was sie aus ihren konkreten Projekten für die Verbreitung von OER gelernt habe, arbeitet sie vier Aspekte heraus.

 

Wichtig sei vor allem das Einbinden aller Akteur_innen und Ebenen der Bildungspolitik in die Entscheidungsprozesse. Einen besonderen Fokus legt sie hierbei auf die Entscheidungsträger_innen in Schulen. Sie müssten von OER überzeugt sein, damit sie den Lehrenden die Angst nehmen und eine OER-Kultur an ihren Schulen aufbauen könnten – ein Aspekt der auch im deutschen OER-Kontext essentiell sein kann. Gruszczynska betont ferner, dass Mythen und vermeintlich unüberwindbare Herausforderungen von OER dekonstruiert und über mögliche Lösungen aufgeklärt werden müsse. Möglicher Ansatzpunkt sei hier die Lehrer_innen-Ausbildung.

 

Kommentar: 

Auch in Deutschland sollte die Referendarszeit zu einem wichtigen Bestandteil der (systematischen) Integration von OER im schulischen Alltag werden. Denn oft tragen Seminarleiterinnen und -leiter sowie Referendarinnen und Referendare Innovationen in die Schulen hinein. Seminarleiterinnen und -leiter sind häufig engagierte Multiplikatoren in Schule, Lehrerfortbildungszentren und ggf. Universitäten. Sie setzen in Kooperation die Curricula der Lehrer_innen-Ausbildung fest, nehmen in ihren Seminaren neue didaktische und methodische Strömungen auf, tragen diese weiter und verbinden so didaktische Theorie mit schulischer Praxis. Deshalb müssten besonders sie als Vertreter_innen für OER gewonnen werden.

 

Gruszczynska ist der Meinung, digital literacy müsse in Curricula eingearbeitet werden. Gerade für autonome Schulen, die ihre Curricula freier gestalten können, sieht sie eine Chance für Veränderung.

 

Kommentar:  

Meiner Meinung nach, müsste das Fach ‘Medienkompetenz’ auch in Deutschland fest in den Curricula der unterschiedlichen Schulformen verankert werden. Die Schule müsste stärker auf die virtuelle Lebenswelt der Lernenden eingehen, ihnen nicht ausschließlich die technischen und analytischen, sondern auch die rechtlichen Medienkompetenzen vermitteln. Die Schülerinnen und Schüler müssten ihr Medienverhalten hinterfragen, Medien gewinnbringend nutzen und sich der Konsequenzen einer unreflektierten Nutzung bewusst werden. Ein erster Schritt sollte die verpflichtende Teilnahme von Lehrenden an Fortbildungen bezüglich ‘Medienkompetenz’ sein. In einem nächsten Schritt müssten Curricula gemeinsam erarbeitet werden. Institutionelle Hürden könnten so gemeinsam genommen und digital literacy als integraler Bestandteil einer nachhaltigen Didaktik schulartkonform und fächerübergreifend verankert werden.

 

Gruszczynska stößt an, dass in Großbritannien eine Diskussion über nachhaltige Didaktik geführt werden müsse. Eine Didaktik, die sich weg vom teaching-to-the-test hin zu Kreativität in der Lehre bewegen müsse.

 

Kommentar:  

In Deutschland ist dieser Schritt – meiner Erfahrung nach – in diesem Ausmaße nicht mehr nötig. Die Notwendigkeit der Vermittlung von dynamischen, kreativen Lösungsansätzen, statt von starrem Wissen, ist in deutschen Klassenzimmern angekommen. Schon vor Jahren wurde der Kompetenzbegriff in die Lehrpläne eingearbeitet und deren Umsetzung in die Lehrer_innen-Ausbildung integriert. Kreativität, Kompetenz- und Problemorientierung sind – oder sollten – bereits fundamentale Bestandteile des alltäglichen Unterrichts an deutschen Schulen sein. Zu fehlen scheint jedoch ein adäquater Austausch der Lehrenden über individuelle Erfolgserlebnisse, Fragen und Ratschläge – eine solche Plattform könnte durch staatlich unterstützte OER-Projekte auch in Deutschland geschaffen werden.

 

Der Beitrag “The British Way of OER” zeigt, dass Deutschland bezüglich der Etablierung von OER einen weiten Weg vor sich hat. Er macht ebenso deutlich, dass selbst durch eine systematische Förderung von OER durch Politik, Wissenschaft und Schule Herausforderungen entstehen, die durch Zusammenarbeit, Dokumentation von Prozessen und transparente, breite Kommunikation überwunden werden können. Damit OER feste Bestandteile der Unterrichtsvorbereitung von Lehrenden werden können, sollte Deutschland “The British Way of OER” zum Vorbild nehmen.

 

Der Vortrag von Anna Gruszczynska im Rahmen der OER-Konferenz ist auf werkstatt.bpb.de veröffentlicht.

 

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Foto: Agnieszka Krolik (OER-Konferenz 2013) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons