Freie Bildungsmaterialien in Deutschland: Beiträge, Interviews und Eindrücke von der OER-Konferenz am 14./15.9. in Berlin

Wie verändern OER die universitäre Lehre? Wird sie in zehn, zwanzig Jahren noch zwischen Campus und Bibliothek stattfinden? Oder sind MOOCs bald flächendeckend Alltag und der Weg zur Universität entfällt? Claudia Bremer von studiumdigitale, E-Learning-Berater Martin Lindner und Philipp Schmidt vom MIT Media Lab  machen in ihrem Podiumsgespräch auf der OER-Konferenz eine Bestandsaufnahme des Status quo und suchen eine Antwort auf die Frage, ob wir überhaupt noch Hochschulen brauchen, wenn “alles Lernen offen ist”. Sarah Lotz berichtet von der Diskussion.

 

Mittlerweile haben die deutschen Universitäten das Thema OER für sich entdeckt und Massive Open Online Courses (MOOCS) sind in aller Munde. Aber die Vorbehalte sind vor allem bei den Lehrenden noch groß: Viele haben Angst, die eigene Lehre öffentlich zugänglich zu machen, sie aus dem geschützten Seminarraum oder Vorlesungssaal nach außen zu tragen und so der Kritik der Kolleginnen und Kollegen auszusetzen. Für Claudia Bremer ist das Bekenntnis der deutschen Hochschulen zu OER und Co. deshalb auch nur ein Lippenbekenntnis: “Das ist reines Prestigedenken. Die Unis wollen zwar offene Angebote, aber sie wollen sie selbst machen und kontrollieren.”

 

Überhaupt ist das Verständnis von Offenen Lernmaterialien hierzulande schwierig, findet Martin Lindner und buchstabiert einmal durch, weshalb: “Das O aus OER ist in Ordnung – offen ist super, eigentlich sollte alles im Web sein, Uni sollte so funktionieren.” Das E und R dagegen machen ihn nervös, denn sie implizieren statisches, zielgerichtetes Lernen: “Educational Resources werden nicht gemacht. Sie passieren. Sie fallen ab bei dem Prozess, um den es bei der Idee des offenen Lernens eigentlich geht.”

 

Auch Phillip Schmidt denkt längst über Vorlesungen im Netz hinaus und fragt vielmehr danach, wie man Lernumgebungen im Internet nachbilden kann. Er fordert ein generelles Umdenken der Fächergrenzen und der Organisation der Lehre: “Der Campus hat sich seit hundert Jahren nicht verändert. Wir brauchen ihn, dort findet viel statt, was man nicht quantifizieren kann. Aber wir müssen ihn besser strukturieren.” Aus seiner Sicht ist das allerdings nicht immer ganz einfach, weshalb er vor allem auf die Studierenden setzt: “Sie stellen die Inhalte ins Netz, sie bilden die Community. Die Professoren stehen da meist nur im Weg, ihnen fehlt die Zeit und der Anreiz, da mitzumachen. Die wenigen, die das unterstützen, sollte man zelebrieren.”

 

Nur auf Nachfrage berichtet er vom Projekt Minerva – eine Uni ohne Campus, ohne Hörsaal, ohne Bibliotheken. Findet das Lernen der Zukunft also rein digital und virtuell statt? Ob man eine solche Perspektive begrüßt oder nicht – das Netz verändert die Bildungslandschaft. Und eigentlich sollte der Weg hin zu mehr Offenheit im Lernen in Deutschland  weniger steinig sein als anderswo, denn Bildung wird hier aus der öffentlichen Hand finanziert. Stattdessen ist das Verhältnis der Unis zu OER desaströs, findet Bremer: “Die Unis stellen Fragen wie vor zehn Jahren. Den Content von anderen zu nutzen, ist nicht gewollt, die Akkreditierung von Inhalten ein Riesenproblem. Die Professoren haben Angst vor dem Urheberrecht und vor den Kollegen. Sie haben keinen Anreiz, was ins Netz zu stellen. Und selbst wenn sie offen dafür sind, wissen sie nicht, wohin mit ihren Ressourcen.”

 

Noch sind die Widerstände gegen eine Öffnung der Lehre groß. Aber es tut sich etwas und das Umdenken ist längst überfällig. Die Frage nach der Zukunft der universitären Lehre beantworteten die drei Referierenden dann auch ganz unterschiedlich. Brauchen wir also noch Universitäten, wenn alles Lernen open ist? “Ja”, findet Schmidt, und hofft, die Idee der Hochschulen bewahren zu können. “Nein”, sagt Lindner, “nicht in ihrer derzeitigen Form”.

 

Auch das Publikum ist hin- und hergerissen zwischen der Euphorie des Aufbruchs in eine neue Uni-Ära und ganz praktischen Zweifeln: Wie kann eine offene Bildungswelt skalierbare Inhalte und aussagekräftige Abschlüsse hervorbringen? Wird unser jetziges Bildungssystem überhaupt den Anforderungen der zukünftigen Arbeitsgesellschaft gerecht? Und wie sollen die Universitäten mit all dem umgehen? 

 

“Das alles dauert noch ein Weilchen”, sagt Bremer und berichtet davon, dass sie in einer Universität vor einer Weile eine geschlagene Dreiviertelstunde nach einer Steckdose suchen musste. “Ich  zweifle daran, dass die Unis das selbst schaffen. Und hoffe nur, dass sie sich in dem Prozess nicht von anderen die Butter vom Brot nehmen lassen.”

 

Zur Dokumentation im Etherpad.

 

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Foto: Raimond Specking (OER-Konferenz 2013) [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons