Inklusion und Digitalisierung

Seit vier Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland rechtsgültig. Das Thema Inklusion – die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in allen Bereichen – wird seitdem in der Öffentlichkeit verstärkt diskutiert. werkstatt.bpb.de hat sich in zwei Beiträgen mit verschiedenen Aspekten von Inklusion beschäftigt. In Teil 1 von Access All Areas? sprach werkstatt.bpb u.a. mit der Soziologin Uta George über “Leichte Sprache”. Der zweite Teil widmet sich insbesondere der Frage: Wie kann die Digitalisierung zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen? 

 

 

Barrierefreies Internet?

Das Internet, den technischen Zugang vorausgesetzt, wird häufig per se als das Medium für alle gepriesen. Es ermöglicht schließlich den Zugriff auf alle möglichen Informationen, fast überall auf der Welt und über nationale Grenzen hinweg. Doch “grenzenlos” meint noch nicht “barrierefrei” und das fängt schon bei der einfachen Website an. Die Schrift sei standardmäßig zu klein, erklärt Andi Weiland von dem Verein Sozialhelden. Texte in Leichter Sprache seien bisher selten, Videos, in denen Inhalte in Gebärdensprache übersetzt wurden, noch seltener. Es könnten jedoch schon Kleinigkeiten zu einem barrierefreien Internet beitragen, wenn man weiß, was zu beachten ist, so Weiland. Das betrifft den Farbkontrast (Rot-Grün-Blindheit) ebenso wie die Bildbeschriftung (zum Vorlesen durch Sprachcomputer). Für viel Inklusion steht Leidmedien.de, eines der Projekte der Sozialhelden. Hier wollen Journalist_innen mit und ohne Behinderungen für Klischees und Stereotype sensibilisieren, die in der deutschen Berichterstattung immer noch zu finden sind.    

 

Digitalisierung und Inklusion – Die Wheelmap

Doch auch wenn das Internet bisher nur unzureichend barrierefrei ist – die Digitalisierung bietet viele Ansätze, um mehr gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Bei dem Onlineprojekt Wheelmap.org werden auf einer digitalen Karte weltweit öffentliche Orte wie Cafés, Behörden und Geschäfte gekennzeichnet, die rollstuhlgerecht sind – oder eben auch nicht. Die Wheelmap wird gleichberechtigt von einer digitalen Community erstellt. Die Orte werden nach drei Kategorien beurteilt:
1) Zugänglich, 2) prinzipiell zugänglich, aber nicht alle Räume 3) nicht zugänglich. Für Menschen im Rollstuhl bietet diese Online-Karte eine wichtige Orientierungshilfe für ihr alltägliches Leben. Und da die Wheelmap auf der OpenStreetMap basiert, werden die Daten unter der Open Database License veröffentlicht und stehen allen Interessierten kostenfrei zur Verfügung. 

 

Die Wheelmap “macht Schule”

Unter dem Slogan “Schule machen” verlässt die Wheelmap den digitalen Raum und wendet sich einem bisher noch weitestgehend analogen Feld zu: der Schulbildung. Der Verein Sozialhelden stellt Unterrichtsmaterialien zur Verfügung und kommt zum “Mapping-Tag” selbst an die Schulen, um für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren. “Schülerinnen und Schüler verstehen Ungerechtigkeiten sehr genau”, sagt Weiland, der solche Unterrichtsbesuche betreut. “Wenn du denen erklärst, ,der eine kommt rein, der andere kommt nicht rein‘, dann sagen Jugendlichen nicht ,Ja, aber ein Umbau kostet Geld‘, sondern ,Nee, das ist doof!‘”

 

Einen so unmittelbaren Zugang zu den Problemen, die sich der Inklusion nachwievor in den Weg stellen, würde sich der Sozialheld Weiland oft auch an anderen Stellen wünschen. Er findet, sein Verein löse mit den Unterrichtsbesuchen eine Aufgabe, die die Bildungsstätten eigentlich selbst übernehmen sollten. “In dem Moment, in dem du mehr Menschen mit Behinderungen an deinen Schulen hättest, wärst du besser aufgebaut. Du hättest Zum Beispiel weniger Treppen, und du würdest ein größeres Miteinander, eine größere Akzeptanz fördern”, erklärt er und bemängelt: “In unserem Schulleben gibt es keine Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderungen, und deswegen kennen wir deren Probleme auch nicht.” 

 

Digitalisierung und Inklusion

Fragt man Andi Weiland, was die Digialisierung zur inklusiven Gesellschaft beitragen kann, antwortet er: “Da werden sich noch viele Leute warm anziehen müssen!”  Denn verschiedene Gruppen von Minderheiten hätten das Internet sehr früh als wichtiges Medium für sich entdeckt. So würden zum Beispiel viele Blogs von Autist_innen geschrieben. Als Spiegel Online Ende des letzten Jahres einen Artikel über den Amokläufer Newtown veröffentlichte und berichtete, Newtown habe vermutlich das Asperger-Syndrom gehabt, fühlten sich Viele angegriffen und äußerten sich empört. Die Blogs waren dabei eine wichtige Plattform des Protests, und Spiegel Online musste eine Richtigstellung  veröffentlichen.

 

Generell sei das Internet eine gute Informations- und Vernetzungsplattform, findet Weiland. Doch auch hier sieht er noch Entwicklungsbedarf: Viele öffentliche Daten, die für behinderte Menschen in ihrem Alltag wichtig wären, seien bislang noch nicht frei verfügbar. So lässt sich bisher keine App erstellen, die nicht-funktionstüchtige Fahrstühle im Öffentlichen Nahverkehr anzeigen könne. Eine solche App würde den Alltag für viele Menschen erleichtern. Doch die Verkehrsbetriebe würden sich weigern, diese Daten freizugeben, weil sie Angst vor Falschmeldungen haben, so Weiland. Die Vernetzung einzelner Gruppen im Netz funktioniere zwar immer besser, aber “die Digitalisierung und Auswertung von Daten, besonders wenn es um Daten von Öffentlicher Seite oder von großen Unternehmen geht, ist noch ganz weit hinten dran.”

 

Baustellen

Nicht nur der Zugang zu öffentlichen Daten und deren Auswertung ist noch beschwerlich. Wer “Inklusion + Problem” in eine Suchmaschine eingibt, merkt schon anhand der Trefferzahlen, dass der gesetzlich festgeschriebene Wandel hin zu einer inklusiven Gesellschaft bislang eine einzige große Baustelle ist. In zahlreichen Artikeln wird die Umsetzung der geforderten Inklusion diskutiert. Dabei liegt der Fokus der Medien besonders auf dem deutschen Schulsystem. So titelte Die ZEIT “Wie viel anders ist normal?” und wägt die Probleme und Möglichkeiten eines inklusiven Schulsystems gründlich gegeneinander ab. Das Fazit fällt etwas ratlos aus.

 

Kritische Stimmen und Befürwortende halten sich die Waage, die Finanzierung ist bislang unklar und manch gut gemeinte Änderung macht sogar mehr kaputt, als dass sie nützt. Nur eines ist klar: Seit der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Inklusion beschlossene Sache. Sie wird also kommen, so oder so. Das Konzept der “Leichten Sprache” und Projekte wie Leitmedien.de oder Wheelmap.org sind Schritte in die richtige Richtung, um den Grundgedanken der Konvention umzusetzen, damit: Menschen mit Behinderungen vollen Zugang zur physischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umwelt, zu Gesundheit und Bildung sowie zu Information und Kommunikation haben, damit sie alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll genießen können, (…). Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

(UN-Behindertrechtskonvention, Paragraph v)

  

 

Foto: Flickr.com / tonal decay / In diesem Aufzug kommst du nie in die Chefetage! / CC BY NC-SA 2.0