Gedanken zum SpeedLab in Hannover

 

Jan Schönfeld, Studienrat an der Goetheschule Hannover für die Fächer Politik-Wirtschaft und Geschichte sowie Lehrbeauftragter bei der AGORA Politische Bildung, Leibniz Universität Hannover, hat am 26. April das SpeedLab “Mobiles Lernen – Unabhängig von Zeit und Raum?” besucht. Er berichtet im Folgenden von seinen Eindrücken und den drängendsten Fragen, die im Verlauf der Veranstaltung aufgekommen sind. Besonders der Entwicklung einer neuen, den digitalen Medien angepassten Didaktik und dem Zuschnitt der neuen Medien auf die Bedürfnisse der Lernenden sei in Zukunft Beachtung zu schenken.

 

Ein SpeedLab? Was ist das denn? 

Sofern man sich nicht täglich mit den wichtigsten Schlüsselbegriffen der neuen, medial aufgerüsteten Ära des E-Learnings und der Mediendidaktik beschäftigt, mag eine solche praxisnahe Tagung auf den ersten Blick verwirren. Ja, vielleicht sogar abschrecken. Die Angst ist sicher, bei all den Diskussionen um Tablets, Thinktanks und Moodles im rhetorischen Nirgendwo abgestellt zu werden. Vor allem dann, wenn man sich bisher noch nicht mit all den Themen beschäftigt hat, die dieses SpeedLab am 26. April in Hannover zu bieten hatte.

Aber die Angst ist unbegründet, denn sowohl Vorträge und Plenumsdiskussionen als auch die best-practice-LernLabs boten präzise und verständliche Informationen und Denkanregungen. Da waren beispielsweise die Einführungsvorträge von Prof. Dr. Kerstin Mayrberger, Uni Augsburg, und Prof. Dr. Marcus Specht, Open University of the Netherlands, die einerseits die vielfältigen Möglichkeiten mobilen bzw. digitalen Lernens aufzeigten, andererseits auch Schwierigkeiten in der flächendeckenden Ausschöpfung der Potenziale neuer Medien und der digitalen Technologisierung ansprachen. Eingerahmt wurde der Auftakt des SpeedLabs durch ein für den historisch-politisch Lehrenden aufschlussreiches Gespräch des Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, mit dem Moderator des Tages, Markus Heidmeier.

 

Die LernLabs – Beispiele gelungener Verknüpfung von Bildungsalltag und digitalen Medien?

Den Hauptteil des Tages nahm das in Kleingruppen organisierte Themenkarussell ein, ein Verfahren ähnlich dem Speed-Dating, daher die Bezeichnung „SpeedLab“. Diese SpeedLabs boten neben interessanten Präsentationen aus der Praxis genügend Raum zum Erfahrungsaustausch und zur Diskussion; meiner Meinung nach der größte Vorteil des Verfahrens. Es hat seinen Zweck also erfüllt!

Bis zu diesem Zeitpunkt war die Verbindung von digitalem, mobilem Lernen und der politischen Bildung, dessen Hauptakteur, die Bundeszentrale (bpb), dieses SpeedlLab mit ausrichtete, noch unklar. Und leider sollte sie auch unklar bleiben. Die LernLabs zum Einsatz von iPads in der Schule und dem mobilen Lehrer bis hin zu anwendungsorientierten Apps zur Entdeckung der Berliner Mauer oder der virtuellen Entdeckung der Umgebung via „surfing the streets“ waren spannend. Sie zeigten dem bunt gemischten Tagungspublikum aus Schule, Universität und freier Bildungswirtschaft die Potenziale der Nutzung von Smartphones und Tablets. Schlussendlich aber wurde im Verlauf des Tages, vor allem in der Debatte zur Anwendung der best-practice-Beispiele, die häufig den Status einmaliger, mit hohem zeitlich-administrativen und finanziellem Aufwand verbundener, Pilotprojekte hatten, eines deutlich: Die Implementierung der technischen Möglichkeiten in Schule, Unterricht und anderen Lernumgebungen stellt die Hürde bei der Digitalisierung und Mobilisierung des Bildungsbereichs dar.

 

Schwierigkeiten bei der Umsetzung? Ja!

Und das gleich auf mehreren Ebenen. Die Ausstattung der Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen ist häufig unzureichend. Während die Konzepte der Bildungswissenschaften und die technischen Möglichkeiten, bspw. bei der Rezeption und Produktion von Bildungsinhalten auf Tablets (ohne schweres, veraltetes Schulbuch), bereits gute Fortschritte erzielt, existieren an den meisten Schulen kaum leistungsfähige Computer in Klassenstärke – einmal abgesehen von Beamern und Smartboards, die nicht nur an der Wand hängen, sondern auch genutzt werden. Und dies führt zum nächsten großen Problembereich, der die Abschlussdiskussion auf dem Podium dominierte: Die Distanz der Lehrenden zu neuen, digitalen Medien. Unkenntnis, Angst und Überforderung waren hier die Schlagwörter.

Bei all den technischen Möglichkeiten, die an diesem Tag vor allem für die zeithistorische, weniger für politische Bildung im Kern, präsentiert wurden, blieb eine wesentliche Akteursgruppe des digitalen Lernens außen vor. Für sie werden alle Konzepte erstellt, über ihre Affinität zu Medien in Bildungskontexten wissen wir aber bisher zu wenig, als dass es didaktisch nutzbar gemacht werden könnte: die Lernenden selbst.

Bei aller Konzentration auf digitale Medien, das wurde an diesem Tag besonders deutlich, bleibt der didaktische Kontext mit seinen spezifischen Anforderungen des Schulalltags, der Lernenden und ihren pädagogisch überlagerten Alltagsherausforderungen, meist unberücksichtigt. Das ist auch nicht verwunderlich, denn es gestaltet sich wesentlich einfacher, an der technisch-ästhetischen Umsetzung neuer Lerninhalte zu basteln, anstatt sich einer drängenden Frage anzunehmen: Wie sollen die neuen Medien angemessen auf die Lernprozesse zugeschnitten werden? Denn das, so wurde vom ersten Vortrag bis zum letzten Wort der Podiumsdiskussion deutlich, ist die Kardinalsfrage moderner Bildung, die auf Digitalisierung und Mobilisierung setzt. Und sie ist bisher unzureichend beantwortet. 

 

Was bringen digitale, mobile Lernumgebungen, wenn sie lediglich Wissen vermitteln, aber in der Frage der Kompetenzentwicklung passen müssen? Was bringen visuell  beeindruckende Apps, die aus dem Wissenstransfer ein Spiel mit highscore machen, nur um Jugendliche und ihre „Gewohnheiten“ anzusprechen? Wo bleibt die didaktisch hergeleitete Aufbereitung von Bildungsinhalten, die qualitativ hochwertig sind und die Lernenden unterstützen, sich in der komplexen Gesellschaft angemessen bewegen zu können (Stichwort: Bildungsauftrag von Schule im 21.Jahrhundert)?

Recht wenige Beiträge beschäftigten sich mit diesen Fragen nach den Inhalten. Dabei meine ich nicht die Frage, wie kriegen wir Inhalte in die Medien und damit an die Lernenden? Das ist nicht das Problem. Das Problem liegt in der qualitativen Auswahl und Aufbereitung der Inhalte und ihrer didaktischen Relevanz vor dem Hintergrund präzise formulierter Lern- und Bildungsziele. Für diese Bildungsziele braucht es nach wie vor nicht nur das Internet, indem alles irgendwie abrufbar ist, sondern vor allem Lehrende, die in einem herausfordernden Alltag pragmatische Lösungen nutzen können. Um dann schließlich mit ihren Lernenden die Technologie nicht als Mittel zum Zweck, sondern als effektiven, ja besseren Ersatz gegenüber herkömmlichen Medien und Inhalten zu nutzen. Nur so können neue Technologien angemessen rezipiert und sinnvoll produziet werden. 

 

Das Kerngeschäft der digitalen, mobilen Lernens wird vernachlässigt: Didaktik

Das SpeedLab hat sicherlich zu vielen interessanten Erkenntnissen geführt, zur Aktualisierung des Diskussionsstands im Bereich des „mobile learning“ und der Mediendidaktik sowie zum Netzwerken. Der wirkliche Mehrwert der Tagung aber liegt in der Formulierung von Konsequenzen aus den Diskussionen und den unzureichenden Antworten auf drängende Fragen der Verknüpfung digitaler Medien und des Bildungsalltags. 

Denn nur über diesen Weg haben vor dem Hintergrund der gesellschaftlich-technologischen Herausforderungen beide Seiten einen weiterführenden Existenzanspruch: Auf der einen Seite benötigt Bildung die Nutzung technologischer Potenziale, um nicht an der Lebenswelt der Lernenden oder auch den Bedürfnissen der Gesellschaft vorbei zu bilden. Die digitalen Medien auf der anderen Seite brauchen eine didaktisch legitimierte Implementierung in Bildungsprozesse, um ihren Einsatz von Ressourcen, die Bildungsträger, freie Wirtschaft usw., also unsere Gesellschaft insgesamt aufwendet, zu rechtfertigen. 

 

Nachzudenken wäre nach dieser Tagung vor allem über Inhalte und ihr didaktisches Potenzial für Bildungsprozesse. Nicht über deren technisch-administrative Realisierung. Auch nicht über die Produktion von noch mehr neuen Inhalten. Nein, davon haben wir wahrlich genug. Die Vielfältigkeit der Inhalte führt meist zu Beliebigkeit und Qualitätsverlust. Sattdessen müssen Wege gefunden werden, die Inhalte angemessen aufzubereiten und technisch pragmatisch nutzbar zu machen, damit sich die Lehrenden auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können – nämlich die Lernenden – ohne bspw. an die Dateiformat-Kompatibilität denken zu müssen.

Dies gilt für die Didaktik im Allgemeinen, aber auch für die Fachdidaktiken im Speziellen. Bei der nächsten Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung sollten wir demnach diskutieren, welche Konsequenzen die Politikdidaktik aus der Entwicklung neuer Medien ziehen sollte, sogar muss. Dazu fehlen noch die weiterführenden Ideen.

Es bleibt also spannend.