Am besten lernen Jugendliche von anderen Jugendlichen. So auch bei der täglichen Mediennutzung, denn sie sprechen die gleiche Sprache und teilen die gleichen Sorgen. In dem Projekt “Medienscouts NRW” werden Schülerinnen und Schüler dazu ausgebildet, anderen Jugendlichen in medienrelevanten Fragen zur Seite zu stehen. Dr. Meike Isenberg, die Leiterin des Projekts der Landesanstalt für Medien NRW, berichtet im Interview von den Chancen, aber auch den Grenzen des Peer-to-Peer-Projekts.

 

Redaktion: Das Projekt “Medienscouts in NRW” bildet jugendliche Schülerinnen und Schüler zu Multiplikatoren aus, die in ihrem eigenen Schulumfeld Mitschülerinnen und Mitschülern als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für medienbezogene Fragen und Probleme zur Verfügung stehen. Warum arbeitet das Projekt mit diesem Peer-to-Peer-Konzept?

 

Dr. Meike Isenberg: Der Ansatz der Peer-Education ist für die Medienbildung im schulischen Kontext besonders hilfreich: Einerseits lernen junge Menschen lieber von Gleichaltrigen und andererseits können sie Gleichaltrige aufgrund eines ähnlichen Mediennutzungsverhaltens zielgruppenadäquat aufklären – sie sprechen die gleiche Sprache, haben die gleichen Sorgen und nutzen die gleichen Medien.

 

Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) hat im Anschluss an eine einjährige Pilotphase, in den vergangenen Monaten das Projekt “Medienscouts NRW” erstmals NRW-weit durchgeführt, im Rahmen dessen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I im Schulkontext zu Medienscouts ausgebildet wurden.

 

Redaktion: Welches sind die Herausforderungen und Grenzen eines Peer-Projekts, das sich mit Online-Medien beschäftigt? An welchen Stellen kommt es z.B. auch zu Konflikten zwischen den Peers und den Lehrenden/Schulen? Wie wird damit umgegangen?

 

Dr. Meike Isenberg: Bei allen Vorteilen, die das Peer-to-Peer-Konzept für die Förderung eines kritisch-reflektierenden Umgangs von Heranwachsenden mit Medien haben kann – es gibt Grenzen. Wichtig ist es, dass die Scouts Teil der Peergruppe bleiben und nicht als “Hilfslehrkräfte” wahrgenommen werden. Medienscouts zu etablieren, bedeutet natürlich nicht, dass sich die Schule nicht mehr um das Thema Medienkompetenz kümmern muss – diese Verantwortung kann und darf nicht auf die Schülerinnen und Schüler verlagert werden. Hinzu kommt, dass die Scouts in ihrer Beratungstätigkeit mitunter mit Fragen und Themen konfrontiert werden können, die sie möglicherweise überfordern. Man denke nur an Cybermobbing oder Fälle von sexuellen Übergriffen – hier sind mitunter strafrechtlich relevante Implikationen berührt und Konsequenzen erforderlich, die ganz klar an Erwachsene übergeben werden müssen. Ein Ziel der Ausbildung ist es daher auch, dass die angehenden Medienscouts die Grenzen ihres Wirkens kennenlernen. 

 

Da die Medienscouts selbst noch Heranwachsende sind, bedarf es unseres Erachtens also einer Rückfallposition, d. h. die Scouts benötigen feste Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen, an die sie sich selbst bei Fragen zu Inhalten oder zum Umgang mit an sie herangetragenen Problemen wenden können. Daher sind schulinterne sowie -externe Beratungsstrukturen geschaffen worden. Zuallererst sind hier die Beratungslehrkräfte zu nennen, die insbesondere mit Blick auf Medieninhalte, rechtliche Grundlagen etc. qualifiziert werden. Um jedoch auch den Beratungslehrerinnen und Beratungslehrern eine Sicherheit in ihrer Funktion zu vermitteln, ist ein dritter Beteiligtenkreis installiert worden, welcher aus Expertinnen und Experten zu beispielsweise rechtlichen und schulorganisatorischen Fragen besteht.

 

Redaktion: Welche Eigenschaften und Kompetenzen sollten die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen aufweisen, um als Medienscouts Aufklärungs- und Beratungsarbeit leisten zu können? Wie profitieren die Scouts auch selbst von ihrer Arbeit?

 

Dr. Meike Isenberg: Aus jeder Schule nehmen, neben den beiden Beratungslehrkräften, vier sogenannte „Ur-Scouts“ an den Qualifizierungen teil, die weitere Schülerinnen und Schüler für das schuleigene Medienscouts-Team akquirieren. Das Projekt macht keine Vorgaben zur Auswahl potentieller Scouts, sondern gibt eher Empfehlungen. Beispielsweise empfehlen wir, die Medienscouts vornehmlich aus der Jahrgangsstufe 8 auszuwählen. Das hat entwicklungspsychologische, aber auch pragmatische Gründe: Einerseits verfügen die Schülerinnen und Schüler in diesem Alter in der Regel über das erforderliche Maß an Reflektions- und Kritikfähigkeit. Andererseits sind sie noch lange genug an der Schule, um als Medienscouts tätig zu sein, aber auch, um bei der Ausbildung einer nachfolgenden Scout-Generation mitzuwirken.

 

Die wissenschaftliche Begleitevaluation der Pilotphase hat gezeigt, dass verschiedene Eigenschaften für wichtig erachtet werden. Medienscouts werden als kreativ, selbständig, vertrauenswürdig, zuverlässig, aufgeschlossen und sozial kompetent beschrieben. Zudem zeichneten sie sich durch eine hohe Motivation und ein gewisses Problembewusstsein im Bereich digitaler Medien aus. Die Aspekte Schüchternheit und Selbstbewusstsein wurden ebenfalls thematisiert. Manche Schulteams haben explizit auch schüchterne Schülerinnen oder Schüler ausgewählt, auch um das Selbstbewusstsein zu fördern. Dieses Vorgehen wurde auch rückblickend als erfolgreich bewertet. 

 

Medienscouts selbst profitieren auf sehr unterschiedliche Weise von der Projektteilnahme. Im Rahmen des Projekts sollen sie ihre eigene Medienkompetenz erweitern, Wissen um den sicheren Medienumgang erwerben und dazu befähigt werden, dieses Wissen Mitschülerinnen und Mitschülern zu vermitteln und sie bei Fragen zu unterstützen. Die Beratungslehrkräfte berichten zudem von positiven Entwicklungen der Schülerinnen und Schüler auch außerhalb ihrer Medienscoutstätigkeit, etwa wenn es um gemeinschaftliches Erarbeiten von Inhalten oder dessen Präsentieren vor den anderen Mitschülerinnen und Mitschülern geht. Auch die wissenschaftliche Begleitevaluation hat erste Hinweise auf einen bewussteren Umgang mit Medien und damit verbunden mit einer Reflexion des eigenen Medienhandelns bzw. eines bewussten Medienhandelns gezeigt. Beispielsweise haben viele der Medienscouts ihre eigenen Accounts und Profile in sozialen Netzwerken überprüft und angepasst. 

 

Redaktion: In welcher Form werden die Peers geschult und begleitet?

 

Dr. Meike Isenberg: Die LfM qualifiziert die auszubildenden Medienscouts und deren Beratungslehrkräfte gemeinsam zu den Themen “Internet und Sicherheit”, “Social Communities”, “Computerspiele” und “Handy”. In vier ein- bis zweitägigen Workshops werden schulformübergreifend pro Schule vier “Ur-Medienscouts” ausgebildet.

 

Bei der Konzeption der Qualifizierungsinhalte, die im Rahmen der Pilotphase entwickelt und erprobt wurden, ist darauf geachtet worden, dass frei zugängliche Lernmaterialien verwendet werden. Neben eigens erstellten Arbeitsmaterialien, die alle auf der Projektwebsite www.medienscouts-nrw.de kostenlos zur Verfügung stehen, werden beispielsweise die bewährten Materialien der Projekte “klicksafe” und “Handysektor” eingesetzt.

 

Ein Kernanliegen des Projekts ist es aber natürlich, dass die Medienscouts ihr Wissen auch weitergeben, beispielsweise in Rahmen von Projekttagen oder auch Elternabenden zu Themen wie “Facebook”, “Cybermobbing”, “Handy-Nutzung” oder “Computerspiele”. Weil diese Aufgaben weit über das technische Verständnis und reines Anwenderwissen hinausgehen, beinhaltet die Medienscouts-Ausbildung auch Elemente des “Sozialen Lernens”, ein Kommunikationstraining und Übungen zur Entwicklung von Beratungskompetenz.

 

Redaktion: Wie wird die Beratung durch ausgebildete Medienscouts von den einzelnen Schulen ganz konkret in den Schulalltag integriert? 

 

Dr. Meike Isenberg: Das Projekt ist bewusst offen angelegt, um sowohl den Kommunen als auch den einzelnen Schulen eine größtmögliche Flexibilität in der praktischen Umsetzung zu erlauben. 

 

Beispielsweise stehen die Medienscouts Ihren Mitschülerinnen und Mitschülern bei Bedarf für Beratungen zu festen Sprechstundenzeiten in Schulräumlichkeiten oder übers Internet, zum Beispiel via E-Mail, zur Verfügung. Oder aber Medienscouts organisieren Projekttage und Informationsangebote. Das heißt, sie besuchen Klassen und informieren zu bestimmten Themen oder gestalten Informationsangebote für Projekttage (Flyer, Infostand, Vorträge, etc.). Das Elsa-Brändström-Gymnasium in Oberhausen hatte beispielsweise den tragischen Fall der Amanda Todd, einer kanadischen Schülerin, die wegen Cybermobbings Suizid beging, als Anlass zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema Cybermobbing genommen. 

 

Redaktion: Gibt es eine Vernetzung zwischen den verschiedenen Schulen, die Medienscouts ausbilden lassen und einsetzen?

 

Dr. Meike Isenberg: Mit den schulformübergreifenden Qualifizierungsworkshops soll eine Vernetzung der teilnehmenden Schulen ermöglicht und angestoßen werden. Projektseitig bieten wir mit entsprechendem Abstand zu den Qualifizierungsworkshops bei Bedarf sogenannte Netzwerkworkshops an. Diese sollen in erster Linie dem Austausch über die bisherige Medienscouts-Etablierung an den Schulen dienen: Was klappt besonders gut? Was sind typische Probleme? Und: Wie haben die anderen das gelöst? Bei Bedarf können diese Workshops auch genutzt werden, um Fachthemen zu vertiefen oder Übungen zu den Bereichen Beratungskompetenz und Kommunikationstraining zu intensivieren. Hierfür stellen wir, wie für die Qualifizierungsworkshops, ausgebildete Referentinnen und Referenten zur Verfügung.

 

Redaktion: Die Ausbildung der Medienscouts zu Multiplikatoren erfolgt unter Schülerinnen und Schülern von Haupt-, Real-, Gesamt- und Gymnasialschulen. Welche Erfahrungen haben Sie während Ihrer Projektarbeit mit der Ausbildung einer schulformgemischten Lerngruppe gemacht?

 

Dr. Meike Isenberg: Die Erfahrungen waren bislang sehr positiv! Zu Beginn der Qualifizierungen wird beispielsweise darauf geachtet, dass die Namensschilder keine Schulzuordnung haben. Zudem werden die Lerngruppen bewusst durch die Referentin bzw. den Referenten schulformübergreifend gemischt. Die Workshopkonzepte sind zudem so modular aufgebaut, dass die Referentin bzw. der Referent die Materialien und Inhalte flexibel auf die Workshopteilnehmenden anpassen kann. 

 

Die Lerngruppen sind hier ja nicht nur mit Blick auf die Schulform heterogen. Weite Teile der Ausbildung erfolgen in Lerngruppen, in denen die angehenden Medienscouts gemeinsam mit Lehrkräften Inhalte erarbeiten und diskutieren. Hierdurch wird die klassische Rollenverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden aufgehoben. Den Lehrkräften werden hierdurch authentische und unmittelbare Einblicke in die Medienwelt der Jugendlichen ermöglicht, um die Relevanz und Faszination digitaler Medien für den Alltag von Jugendlichen nachvollziehbar werden zu lassen. Die Jugendlichen hingegen fühlen sich als Expertinnen und Experten ernst genommen, da sie insbesondere in der Anwendung und Bedienung oftmals Wissensvorsprünge gegenüber den Erwachsenen haben. 

 

Redaktion: Frau Dr. Isenberg, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Weiterführende Informationen: Dr. Meike Isenberg ist als Referentin für Forschung und Medienkompetenz im Bereich Medienkompetenz und Bürgermedien der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) tätig. Dort betreut sie verschiedene Medienkompetenz- und Forschungsprojekte und hat seit Beginn des Projekts “Medienscouts NRW” die Projektleitung inne.

 

 

Foto: flickr/fileccia