Die ersten digitalen Schulbücher haben den Schulsektor erreicht. Bieten sie aber tatsächlich einen didaktischen Mehrwert und lassen sie sich gut in den Unterricht integrieren? Richard Leinstein erläutert im vierten Teil seiner Reihe, welche Erfahrungen er im Test mit einem digitalen Schulbuch gemacht hat. Sein Fazit ist ernüchternd. Das getestete Medium bleibe vorerst hinter dem gedruckten Buch zurück. 

 

Digitale Schulbücher – Schulbuchverlage in der Pflicht

Nach meiner anfänglichen Begeisterung über die Möglichkeit, digital mit Bildern und Texten arbeiten zu können, die die Schülerinnen und Schüler aus dem Lehrbuch kennen, macht sich bei einzelnen Verlagsangeboten schnell Ernüchterung breit. So gibt es z.B. beim Englischbuch “Green Line New Bayern” von Klett für jedes Kapitel im Schulbuch nur jeweils sehr wenige interaktive Übungen, die z.T. über Wiederholungsspiele z.B. in Form eines Memory nicht hinausgehen. Um für alle interaktiven Whiteboards auf dem Markt eine Lösung anbieten zu können, sind die interaktiven Elemente als simple Flash-Animationen umgesetzt. Mit diesen Animationen ist ein echter interaktiver Umgang jedoch nur rudimentär möglich. So kann etwa für die Texteingabe über Whiteboardstifte nicht auf die in einigen Betriebssystemen integrierten, hervorragenden Texterkennungsfähigkeiten, zurückgegriffen werden. Die Schrift in den getesteten Anwendungen bleibt somit krakelig, schwer lesbar und wenig interaktiv in der Anwendung gefangen. Auch bei der Bereitstellung von unterstützendem Videomaterial ist erkennbar, dass die Verlage eher auf der Wahrung ihrer Content-Rechte bedacht sind, als auf die sinnvolle Einsetzbarkeit in der Schule. So bietet beispielsweise die interaktive Tafelbildsammlung des Verlags ein thematisch passendes Video, das aber für Schülerinnen und Schüler in der letzten Reihe nur noch in Briefmarkengröße erkennbar ist. Da das Video aber in einen Shockwave-Container eingebettet ist, lässt es sich nicht isoliert mit gängigen Medienwiedergabeprogrammen abspielen und ist somit wertlos.

 

Die Initiative “Digitale Schulbücher” – Hürden bei der Authentifizierung 

Ähnlich wie die Software der Initiative “Digitale Schulbücher” liegt der Fokus der Schulbuchverlage offensichtlich nicht auf der Erstellung eines gut im Unterricht einsetzbaren Produkts, sondern darauf, eine mediokre Lösung anbieten zu können, bei deren Nichtbenutzung durch die Lehrkräfte sich anschließend konstatieren lässt, dass offensichtlich noch kein Bedarf an interaktiven digitalen Softwareprodukten besteht. Die Anwendung, die sich von der Website der Initiative herunterladen lässt, ist eine einfach gehaltene Flash-basierte Software, die sich mangels Dokumentation nur mit größeren Schwierigkeiten zentral und automatisiert in einem Schulnetzwerk installieren lässt. Ohne eine ständige Internetanbindung ist das Programm nicht benutzbar, da sich jede Nutzerin, jeder Nutzer personalisiert mit seiner E-Mail-Adresse authentifizieren muss. Ein Einsatz auf Laptops oder Tablet-PCs, die nicht mit dem Schulnetzwerk oder per UMTS mit dem Internet verbunden sind, entfällt also. Doch auch auf Computern mit Internetzugang ist das Programm in der Schule kaum einzusetzen, denn die meisten Schulen lassen überhaupt keinen direkten Zugriff auf das World Wide Web zu. 

 

Der rudimentäre Softwareclient stellt die erworbenen Bücher in einem nach mehreren Kriterien sortierbaren Bücherregal dar und zeigt nach verhältnismäßig langer Ladezeit das gewählte Werk an, nutzt den zu Verfügung stehenden Bildschirmplatz jedoch suboptimal aus, weshalb sich auf kleineren Tablet- oder Netbookbildschirmen ein so kleines Schriftbild ergibt, dass der Inhalt nicht mehr lesbar ist. Bei einer Kontaktaufnahme mit der Initiative im November 2012 bezüglich der Schwächen der Software erwies sich mein Korrespondenzpartner als überaus freundlich und erläuterte, dass zentrale Funktionen – wie die Möglichkeit zur Anmeldung ohne Internetzugang – in Arbeit seien, doch bis heute hat die Software keine Aktualisierung erfahren. 

 

Digitale Reproduktionen

Ein weiteres Problem jedoch sind die zu erwerbenden Bücher, denn diese sind im Moment reine digitale Reproduktionen ihrer Druckausgaben, ohne von der audiovisuellen Vielfalt Gebrauch zu machen, die das Medium “Computer” bietet. Die von mir testweise erworbene Ausgabe des Englischbuchs für die Oberstufe des Klett-Verlages enthält als einzige Hommage an die Möglichkeiten der digitalen Informationsdarbietung lediglich anklickbare Links ins Internet. 

 

Darüber hinaus verhindert die Software mit den in ihr dargestellten DRM-geschützten Büchern zeitgemäßes Arbeiten, da sich Textpassagen und Bilder weder kopieren noch drucken lassen. Zudem lassen sich auch keine brauchbaren Hervorhebungen auf den virtuellen Buchseiten realisieren, denn außer einem äußerst krakelig zeichnenden Stift- und einem Kreis- sowie Rechteckwerkzeug bietet das Programm keine Bearbeitungswerkzeuge. Diese Art der digitalen Darbietung bietet somit keinen Mehrwert gegenüber einem gedruckten Buch, sondern schränkt, ganz im Gegenteil, zusätzlich ein. Seit 2013 sind etwa digitale Kopien analoger Werke an bayerischen Schulen gestattet, sofern sie nur einen geringen Teil des Gesamtwerks ausmachen. Aus einem analogen Buch kann folglich ein Digitalisat, ein digitalisiertes Dokument, angefertigt werden, das für die Klasse aufbereitet und ihnen wieder digital zu Verfügung gestellt werden kann. Das digitale Schulbuch lässt dies nicht mehr zu, womit es sich seiner Legitimation für den Schulunterricht beraubt, für welchen Material durch Lehrende stets nach dem Rip, Mix, Copy–Prinzip erarbeitet und zur Verfügung gestellt wird.

 

Qualitativ hochwertige Software durch höhere Investitionen

Um Schülerinnen und Schülern, wie aber auch Lehrkräften, ein zeitgemäßes Arbeiten mit digitalen Medien und Inhalten zu ermöglichen, müssen qualitativ hochwertige Inhalte mit sauberer, durchdachter Programmierung der dazu notwendigen Software verbunden werden. Hersteller von interaktiven Whiteboards gehen hierbei durchaus mit sehr gutem Beispiel voran. So bieten einzelne Hersteller jeweils systemkonform programmierte Lösungen für Windows, Mac OS X und Linux-Systeme an und dokumentieren Installation und Benutzung sehr sorgfältig. Hier müssen gerade deutsche Verlage noch sehr viel mehr in Qualität investieren.

 

Weitere Informationen: Ein noch deutlich umfangreicherer Erfahrungsbericht lässt sich bei Damian Duchamps nachlesen.

 

 Foto: flickr / brewbooks