Welchen Hindernissen begegnen Migrantinnen und Migranten mit muslimischem Hintergrund in der politischen Bildung? Wie steht es um das gesellschaftliche Vorurteil, Islam und Demokratie wären unvereinbar? Wie kann dieser Gemeinplatz konstruktiv bearbeitet werden? Mit diesen Fragen beschäftigte sich die Veranstaltung “Bildungsbenachteiligung als Herausforderung für den Politikunterricht am 14. Februar 2013. Am Rande der Veranstaltung im Berliner DGB-Haus äußerte sich die Referentin Dr. Sabine Achour, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Otto-Suhr-Institutes der FU Berlin und Studienrätin, im Interview zu Fragen rund um islamintegrative Lehrkonzepte und die Zukunft des Politikunterrichts.

 

Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 auf das World Trade Center und den damit verbundenen politischen Spannungen wird die Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie immer häufiger stereotypisch debattiert. Im Hinblick auf eine mögliche Verbreitung des Islam in der westlichen Welt nehmen vor allem Misstrauen und diffuse Ängste der Bevölkerung gegenüber Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit muslimischem Hintergrund zu. Mit diesen Vorurteilen und möglichen unbewussten Fehleinschätzungen gegenüber Mitgliedern der muslimischen Glaubensgemeinschaft beschäftigte sich auch Prof. Peter Massing, Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, in seinem Vortrag.

 

Er und Dr. Sabine Achour hielten die Eröffnungsvorträge “Zur politischen und gesellschaftlichen Lage von Migrantinnen und Migranten in Berlin und Deutschland” sowie “Politische Integration und der Topos der Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie”. In drei Workshops mit den Inhalten “Antisemitismusprävention und Nahostkonflikt”, “Holocaust Education in der heterogenen Gesellschaft” sowie “Alltagsthemen werden politisch – Politik wird Alltag”, wurden im Anschluss praktische Ansätze zu bildungspolitischen Fragen vorgestellt und diskutiert.

 

Massing setzte sich in seinem Vortrag mit der weit verbreiteten Annahme auseinander, dass eine Ausbreitung des Islam eine unvermeidbare Bedrohung für das demokratische System darstelle. Geschürt werde diese Angst häufig durch Statistiken die belegten, dass Migrantinnen und Migranten deutlich häufiger erwerbslos seien als Bürgerinnen und Bürger ohne Migrationshintergrund. Um die allgemeine Lage von Migrantinnen und Migranten mit muslimischem Hintergrund in Deutschland differenzierter zu evaluieren, beleuchtete Massing die Ergebnisse diverser Studien, darunter die PISA-Studie und eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zum Thema “Muslimische Religiosität in Deutschland“. Dabei untersuchte er das Demokratiebewusstsein und die individuelle Selbstwahrnehmung von Bürgerinnen und Bürgern mit muslimischem Hintergrund in Deutschland. 

 

Entgegen vielfacher Vermutungen ergab die Studie der Bertelsmann-Stiftung laut Massing, dass die Demokratiezufriedenheit unter Migrantinnen und Migranten durchschnittlich ausgeprägt und in einigen Fällen sogar höher ist als bei deutschen Bürgerinnen und Bürgern ohne Migrationshintergrund. Ähnlich verhalte es sich bei der Wertschätzung des politischen Systems und der Wahrnehmung von Demokratie als wichtigem Stabilitätsfaktor. Des Weiteren zeigten – so Massing – die Ergebnisse der PISA-Studie aus den letzten Jahren, dass Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund oft motivierter und zielstrebiger seien, als Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund aus dem gleichen sozialen Umfeld. Diese Einschätzung korrespondiere mit den Ergebnissen der “Sinus Milieu Studie 2012“, die laut Massing belegt, dass Milieu und soziales Umfeld der Befragten für die Identitätsbildung und Selbstwahrnehmung von weitaus größerer Bedeutung seien, als die eigene Nationalität oder Religion. Empirische Daten zeigten einen klaren Widerspruch zwischen der Realität und der Annahme, Islam und Demokratie stünden in einem unvereinbaren Verhältnis zueinander. Dies mache  jegliche gesellschaftliche und politische Kooperation unmöglich. Vielmehr fehle häufig ein vorbehaltloser, konstruktiver Ansatz, um eine Öffnung beider Seiten herbeizuführen und die existierenden Berührungspunkte herauszuarbeiten. 

 

Solchen islamintegrativen Konzepten, die genau diese Berührungspunkte identifizieren wollen, und einem kritischen Ansatz zu dem Gemeinplatz der Unvereinbarkeit von Islam und Demokratie widmete Dr. Sabine Achour ihren Vortrag. Für sie gründet sich die allgemein angenommene unüberwindbare Differenz sehr stark auf Vorurteilen, hervorgerufen durch einseitige mediale Berichterstattung. Gerade in westlichen Medien werde besonders häufig das Augenmerk auf Menschenrechtsverletzungen, Körperstrafen und die untergeordnete Rolle von Frauen in einigen muslimischen Ländern gelegt. Auch die Wissenschaft beschränke sich in einigen Fällen wie im Werk “The Clash of Civilizations” des US-Politikwissenschaftlers Samuel Huntington darauf, Unterschiede herauszustellen und psychologische Gräben zwischen den Kulturen zu ziehen, statt Gemeinsamkeiten zu finden. Dies führe, so Achour weiter, letztlich zu gegenseitigem Misstrauen, Parallelgesellschaften und einer Art Defensivkultur bei muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Um dem Vorurteil der Unvereinbarkeit entgegenzutreten, forderte Achour daher einen vollkommen neuen Diskurs, bei dem negativ behaftete und destruktive Begriffe wie Unvereinbarkeit durch Konzepte ersetzt werden, die den Islam konstruktiv integrieren. Diese gingen von der These aus, dass der Islam für Angehörige des muslimischen Glaubens eine zentrale Bedeutung habe und sie sich daher nur mit, niemals ohne den Islam integrieren könnten. Daher sieht Achour als Anknüpfungspunkt an dieser Stelle eine neue Betrachtung und Bewertung des Scharia-Rechts, da dies die Grundlage des muslimischen Glaubens bilde und gleichzeitig nicht unvereinbar mit demokratischer Rechtsprechung sei. Lehrende mit muslimischem Hintergrund könnten zudem als vermittelnde Brücke fungieren, indem sie mögliche Ängste Lehrender und Lernender vor dem Islam nehmen und für Kooperation und gegenseitiges Verständnis werben könnten.