Seit seiner Buchveröffentlichung von „Visible Learning“ im Jahr 2009 sorgt die groß angelegte Bildungsstudie des neuseeländischen Bildungsforschers John Hattie für Aufsehen. Die „Hattie-Studie widerlegt grundlegende Erkenntnisse der zeitgenössischen Bildungsforschung. Der aktuelle Medienmonitor nimmt die Debatte um die Studie genauer in den Blick: Ist die kostenintensive Bildungsreformpolitik der letzten Jahre gescheitert? Ist Frontalunterricht doch nicht so schlecht wie sein Ruf? Und welche Rolle spielen Lehrerinnen und Lehrer in der erfolgreichen Umsetzung von pädagogischen Lehrmethoden?

 

„Ich bin superwichtig!“ titelt die ZEIT und nimmt damit Bezug auf die Ergebnisse der aktuellen „Hattie-Studie“. Im Rahmen einer groß angelegten Datenanalyse, an der insgesamt 250 Millionen Schüler und Schülerinnen beteiligt waren, trug der Bildungsforscher John Hattie die Resultate sämtlicher englischsprachiger Bildungsstudien zusammen und stellte eine Bestenliste der wirkungsvollsten pädagogischen Lehrmethoden auf. Entgegen derzeitiger Trends der experimentellen Lehrformen und Freiarbeit, bei denen der oder die Lehrende eher eine beratende oder begleitende Position einnimmt, rückt Hattie die zentrale und wichtige Rolle der Pädagogen und Pädagoginnen wieder in den Vordergrund. Die ZEIT identifiziert die häufig unterschätze Position von Lehrerinnen und Lehrern als Problem: Laut einer Studie des Allensbach-Instituts halten 48 Prozent der Lehrenden ihre Rolle für wenig oder gar nicht einflussreich. John Hattie widerlegt diese Selbsteinschätzung und attestiert ihnen einen starken Einfluss auf das Lernverhalten ihrer Schülerinnen und Schüler. Er sieht vor allem in der Förderung von guten Pädagoginnen und Pädagogen das Erfolgskonzept für nachhaltigen Unterricht. Und auch andere Ergebnisse der „Hattie-Studie“ überraschen: Anders als bisher angenommen, sind weder Klassengröße, noch finanzielle Ausstattung der Schule ausschlaggebende Faktoren für einen effektiven Lernprozess. Der bisher verpönte und als unzeitgemäß verrufene Frontalunterricht erhält von Hattie ebenfalls positiven Rückenwind. Eine strenge Klassenführung, strukturiert und disziplinbewusst, sei ein wichtiger Bestandteil eines erfolgreichen Lehrkonzeptes; emotionale Bindungsaspekte wie Respekt, Wertschätzung, Fürsorge und Vertrauen seien ebenfalls unabdingbar.  

 

Auch die FAZ titelte bereits im Dezember „Frontalunterricht macht klug“ und nimmt dabei Stellung zu einer Studie des Münchner ifo-Instituts. Guido Schwerdt, Autor der Untersuchung, schließt sich darin den Thesen Hatties an und prognostiziert eine mögliche Renaissance des Frontalunterrichts. Bei durchschnittlich begabten Pädagoginnen und Pädagogen hat die Abkehr vom Frontalunterricht deutlich negative Effekte auf den Leistungsvergleich, so Schwerdt, während bereits eine Aufstockung des Frontalunterrichts um zehn Prozent Schülerinnen und Schülern einen Leistungsvorsprung verschafft. Vor allem schwächere Lernende profitierten von dieser Unterrichtsform, da sie von eigenständigem Arbeiten oft überfordert seien. So kommt auch die FAZ zu dem Urteil, dass experimenteller, moderner Unterricht gerade schwachen Schülerinnen und Schülern eher schadet. Ergänzend präsentiert das Medium eine Expertenmeinung von Götz Bieber, Leiter des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, der den Ansatz eines Methodenmixes vorschlägt. Allerdings wird dieser von der FAZ angesichts der bisher eher erfolglosen Experimente mit unterschiedlichen Lehrmethoden als zu teuer und ohne messbare Erfolge bewertet. Das Medium bezieht sich zudem auf eine weitere Expertenstimme: die des Pädagogen und Buchautoren Michael Felten. Er befürwortet eine Rückkehr zum Frontalunterricht, allerdings ersetzt er die negativ belegte Bezeichnung durch den Begriff „starke Lehrersteuerung“ und stellt damit den positiven Einfluss von Pädagoginnen und Pädagogen in den Vordergrund. So schlussfolgert die FAZ, dass die „Hattie-Studie“ keineswegs als Aufforderung zu lesen ist, den Frontalunterricht als kompromissloses Erfolgsrezept zu feiern. Dennoch bewirkten sowohl konventionelle Unterrichtsformen als auch das Eingreifen eines gut ausgebildeten Pädagogen bzw. einer gut ausgebildeten Pädagogin nachweislich eine gesteigerte Schülerleistung.

 

Ebenfalls kontroverse Meinungen zur „Hattie-Studie“ beleuchtet der Deutschlandfunk in seinem Format PisaPLUS. Mit Hilbert Meyer, Professor für Schulpädagogik, Michael Felten, Gymnasiallehrer, sowie Walter Hövel, Schulleiter an einer alternativen Grundschule, bringt das Medium drei unterschiedliche Meinungen in einer Bildungsdebatte zusammen. Walter Hövel verteidigt als klarer Befürworter das selbstbestimmte Lernen, da es seiner Meinung nach grundsätzlich ein anderes Ziel verfolgt als das lehrergesteuerte Lernen. So könne Frontalunterricht zwar im Hinblick auf das gezielte Lernen für Klassenarbeiten klare Erfolge vermessen. Dennoch sei es für das langfristige, selbstständige und kritische Verständnis von Themenkomplexen kontraproduktiv. Michael Felten, Verfasser des Buches „Schluss mit dem Bildungsgerede“, tritt als Verteidiger des frontalen Unterrichts auf. Er sieht diesen als effektive Lehrmethode, die gerade schwächere Schülerinnen und Schüler mit einbezieht. Professor Hilbert Meyer spricht sich indessen für den Methodenmix aus, stellt dabei jedoch klar, dass erfolgreicher Unterricht immer vor allem auf gute Lehrerinnen und Lehrer zurückzuführen ist. Auch der Deutschlandfunk kommt somit in der Bildungsdebatte zu dem Schluss, dass Hattie und die ifo-Studie insbesondere eine Kernthese herausstellen: Egal ob freies Arbeiten, Frontalunterricht oder ein kreativer Methoden-Mix – solange Pädagoginnen und Pädagogen ihr Handwerk beherrschen und es verstehen, Themeninhalte überzeugend zu vermitteln, ist ein positiver Lernerfolg zu erwarten.

 

Foto: flickr.com / Axel Schwenke / Erdfunkstelle Usingen 2005 / CC BY-SA 2.0