Mobiles Lernen bietet neue Chancen und Lernszenarien für den Geschichts- und Politikunterricht. Wie verändert sich die Wissensgenerierung durch die neuen Technologien und was ist didaktisch bedeutsam? Im zweiten Teil berichtet der Kulturwissenschaftler Christian Kleinhanß (m+b) über die medienpädagogischen Praxisansätze, die während des Think Tanks “mobile Learning” vorgestellt wurden.

 

zu Teil 1

 

Alle Teilnehmenden des “mobile Learning Think Tanks 2012” verfügten über Praxiserfahrung in der Durchführung von mobilen Lernszenarien im Bildungskontext. Die Lehrer Daniel Bernsen und Thorsten Moog entwickeln derzeit mit Schülerinnen und Schülern eines Geschichts-Leistungskurses stadtgeschichtliche Rundgänge, die Koblenz als erste Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg vorstellen. Orientierung gibt das Handy, die nächsten Stationen der Tour verraten QR-Codes, welche die Interessierten finden und scannen müssen.

 

Aus Speyer waren die Schüler Benedikt Dassler und Fabian Kögel angereist, um ihre Kaiserdom-App vorzustellen. Diese App kann im ersten Schritt unterschiedliche Führungen durch die Salier-Stadt Speyer auf die Handys von Touristen und Schülergruppen bringen. In einem weiteren Entwicklungsschritt ist geplant, dass Interessierte auf einer Internetseite eigene Touren erstellen können – unabhängig zu welchem Thema und für welchen Ort. Das Schülerteam des Kaiserdom-Gymnasiums Speyer hat besonderes Interesse daran, ihre App von Lernenden für Lernende weiterzuentwickeln und wird dabei von dem Medienpädagogen Steffen Griesinger (m+b) und dem Informatiker Marco Teufel unterstützt.

 

Eike Rösch vom Landesfilmdienst Rheinland-Pfalz (LFD) erforscht im Rahmen seiner Doktorarbeit die Sozialraumaneignung in digitalen Räumen und die Nutzung des Social Web in der Jugendarbeit. Der Handybesitz bei Jugendlichen liegt bei annähernd 100 Prozent (manche besitzen sogar mehr als ein Gerät) und der Funktionsumfang nimmt zu. Da liegt es nahe, auch über die Bildungspotentiale solch tragbarer Computer nachzudenken und diese in die pädagogische Arbeit sinnstiftend zu integrieren. So bietet der LFD beispielsweise Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen zum Geocaching an.

 

Prof. Dr. Birgit Neuer und Ulf Kerber von der PH Karlsruhe stellten ein Promotionsvorhaben vor, in welchem ebenfalls eine App entstehen soll, die historisches Lernen unterstützen soll. “Geschichtsunterricht ist ohne den Einsatz von Medien nicht möglich”, so Ulf Kerber in seinem geschichtsdidaktischen Eröffnungsvortrag. Diese bieten Anlass zur “eigenen De- und Rekonstruktion historischen Wissens, bieten Projektionsflächen zur Analyse von Medienbotschaften, zur Gestaltung eigener Narrationen und vieles mehr”. Um aus der Vergangenheit zu lernen, werden Quellenstudien betrieben. Diese können historische Texte und Malereien, Kriegsfotografien, Propagandafilme oder Tonbandaufnahmen sein. Dabei ist Medienkompetenz gefragt, um die Glaubwürdigkeit der Quellen beurteilen zu können. Dem Geschichtsunterricht ist das Lernen über und mit Medien also immanent. Das Projekt an der PH möchte zusätzlich die Möglichkeiten des mobilen Lernens per Handy für die historische Bildung nutzbar machen und eine Plattform aufbauen, die Schulen und Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen aus Kinder- und Jugendarbeit die Gelegenheit gibt, eigene geolokalisierte Narrationen zu produzieren, zu publizieren und als App zur Verfügung zu stellen.

 

Welche technischen Möglichkeiten es derzeit gibt, zeigte der Geschäftsführer von “Mediale Pfade” Daniel Seitz in beeindruckenden Beispielen. Einen Schwerpunkt legte er auf die Präsentation von Ansätzen zur augmented reality, also einer erweiterten Realität. Moderne Handys sind in der Lage, Position und Blickrichtung der Nutzerinnen und Nutzer genau zu bestimmen und das gezeigte Bild um visuelle oder textuale Informationen zu erweitern. Mittels dieser Technik kann man z.B. eine zerstörte Synagoge auf dem Handybildschirm als Rekonstruktion anzeigen lassen, wenn das Gerät auf den entsprechenden Standort in einer Stadt gerichtet ist.

 

Christian Kleinhanß, Pädagogischer Leiter bei medien+bildung.com, vertrat die These, dass Technologien dieser Art, sogenannte location based services an Relevanz gewinnen und schnell weiterentwickelt werden, da Werbetreibende diese für sich entdecken. So nutzte die Kaffeekette Starbucks geobasierte Dienste beispielsweise dafür, Kunden die sich über den Dienst Foursquare wiederholt in einer ihrer Filialen einloggten, einen kostenlosen Kaffee als Bonus zu “schenken”. Die Nutzer “bezahlen” dem Fall mit ihren Daten, da Bewegungsprofile erstellt werden können und sie innerhalb ihres sozialen Netzwerkes per automatischen Postings für Starbucks Werbung treiben. Ein Grund mehr, dass die Medienpädagogik Nutzungsmöglichkeiten für die Bildung aufzeigt um den kompetenten, selbstbestimmten Umgang mit mobilen Geräten zu fördern.

 

Am Landesinstitut für Pädagogik und Medien des Saarlandes (LPM) wird besonders über systemische Fragen in diesem Zusammenhang nachgedacht, wie Alexander König erläuterte. Sollten Handys als Lernmittel in der Schule Einzug halten, müssten Fragen der Sicherheit, des Internetzugangs und des Datenschutzes gelöst sein.

 

Sandra Lentz vom Pädagogischen Landesinstitut Rheinland Pfalz (PL) und Stefan Friemel, freier Medienpädagoge und Referent im MedienKompetenzNetzwerk Koblenz, lenkten den Blick auf eine weitere Möglichkeit für die Medienpädagogik. Das mobile Lernen kann Gruppen in Bewegung bringen. Ganzheitliche Sinneserfahrungen, mobile Lernrouten in der Natur und die Verknüpfung mit ökologischen Themen wären mögliche Beispiele.

 

Zwei Apps gehen hierbei schon sehr weit. Mister X Mobile ist eine Adaption des bekannten Brettspiels Scotland Yard, bei der, so der Text auf der Homepage, “die Jagd im Freien stattfindet, und die Stadt zum Spielbrett wird. Hier stehen Spontaneität und Teamgeist im Mittelpunkt, um gemeinsam Mister X zu fangen.” GeoQuest dagegen ist dem klassischen Geocaching näher. “Hier kann man eigene virtuelle Schnitzeljagden und ortsbasierte Rätsel- oder Lernspiele anlegen und einzeln oder in Gruppen spielen.” Holger Mügge von der Universität Bonn und Geschäftsführer des Start Ups Qeevee entwickelt GeoQuest gemeinsam mit seinem Team kontinuierlich weiter. Sein Ziel ist es, eine Plattform zur Verfügung zu stellen, auf der man sich eigene mobile rallyes erstellen und anschließend mobil spielen kann.

 

Genau diesen Ansatz verfolgt auch das Schülerteam, das die Kaiserdom-App und das Konzept für DisKAver vorgestellt hat – die mobile Stadtführung der PH Karlsruhe mit dem Smartphone soll ebenfalls auf einer solchen Mitmachplattform aufbauen. Somit wurde eines der Hauptziele des ThinkTanks erreicht – Vernetzung.

 

“Für die Bundeszentrale für politische Bildung sind Diskurse dieser Art von besonderer Bedeutung”, stellte deren Mitarbeiterin Hannah Huhtasaari als Moderatorin der Veranstaltung fest. Medien spielen eine entscheidende Rolle bei der Erschließung von historischem Wissen. Das mobile Lernen, in Verbindung mit damit verknüpften Technologien, ermögliche neue Zugänge zu diesen Wissensbeständen, so Hannah Huhtasaari. In der Expertenrunde wurden Konzepte diskutiert, die Bürgerinnen und Bürgern die Vergangenheit ihrer Heimat näher bringen, indem sie sich zu selbst gewählten Orten und mittels Geolokalisation und augmented reality, historische Fotografien aus öffentlichen Archiven auf ihren mobilen Geräten anzeigen lassen können. Eine App zur Berliner Mauer, welche die bpb in Auftrag gegeben hat, zeigt dies bereits beispielhaft. Die Mitglieder des ThinkTanks möchten neben solch spezifischen Anwendungen offene Plattformen schaffen. Diese Portale sollen kostenlos und zugangsoffen sein. Interessierte sollen hier ihre eigenen Touren erstellen und veröffentlichen können.

 

Alexander König fasste seine Erfahrungen aus dem Expertentreffen folgendermaßen zusammen: “Gerade für die historisch-politische Bildung werden Überlegungen zu einer digitalen Geschichtsdidaktik an Bedeutung gewinnen. Ich hoffe, dass die im ThinkTank angelegten Ideen des kommunikativen Austausches und der Vernetzung dauerhaft weiterverfolgt, ggf. institutionalisiert und auch unterstützt werden.”

 

Diese Expertenrunde wird sich künftig dem Netzwerk der “Edunauten” anschließen und im Rahmen der zweimal im Jahr stattfindenden Netzwerktreffen zum mobilen Lernen ein Panel zur historisch-politischen Bildung eröffnen. Hier besteht die Möglichkeit für weitere Interessierte, in die Diskussion einzusteigen und sich in konkrete Projekte einzubringen. Ziel ist es, Fachwissen auszutauschen und Ressourcen zu bündeln. Ergebnisse sollen Konzepte für das mobile Lernen sein und Plattformen sowie Apps, die sich für den Einsatz im pädagogischen Kontext eignen.

 

Bildungsüberlegungen zum mobilen Lernen wird häufig vorgeworfen, blind einem Technologietrend zu folgen. Das Forschungsinteresse richtet sich jedoch nicht auf die neuen Smartphones und Tablets. Didaktisch bedeutsam und herausfordernd sind der Umstand der ubiquitären Zugangsmöglichkeit zu Wissensspeichern, wie z.B. dem Internet, die Tatsache, dass man sich als Lernender jederzeit mit anderen Personen oder mit Inhalten verbinden und kollaborieren kann. Für die Zielgruppe Kinder und Jugendliche könnte das mobile Endgerät als Schnittstelle zwischen informellen und formalen Wissensbeständen fungieren. Technologische Trends sind in der Regel orientiert am wirtschaftlichen Profit. Möchte man die Chancen von neuen medialen Möglichkeiten für die Bildung nutzen und erschließen, sind ThinkTanks, als gemeinsame Ideenschmiede und Netzwerkverbünde zur Bündelung von Ressourcen und zur Umsetzung größerer Lösungen ein guter Weg. 

 

zu Teil 1

 

Foto: flickr/Scarygami