Welche Relevanz und gesellschaftliche Bedeutung hat die Wissensvermittlung durch Peergroups in unserem Bildungssystem? Wo liegen die Chancen und die Grenzen der Methode? Ariane Otto, Doktorandin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hat das SpeedLab „Peer Education – Lernen auf Augenhöhe“ mit kritischen Augen und Ohren begleitet, die wichtigsten Ansätze der Inputs und LernLabs zusammengefasst und wagt einen Blick in die Zukunft der Lehr- und Lernmethode. Das SpeedLab-Magazin von werkstatt.bpb visualisiert die Veranstaltung.

 

 Ein Video der Kooperative Berlin für werkstatt.bpb.de

 

Zum vierten SpeedLab „Peer Education – Lernen auf Augenhöhe“ luden am 5. Oktober 2012 die Bundeszentrale für politische Bildung und die Kooperative Berlin ein. Das Tapetenwerk Leipzig, ein Ambiente mit Werkstattcharakter, regte förmlich zum Basteln an innovativen Ideen für eine neue Lernkultur an. Der Gedanke der Erziehung und Bildung von Heranwachsenden durch Heranwachsende ist jedoch kein neuer im pädagogischen Kontext. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass bereits Erzieher wie Anton Semjonowitsch Makarenko oder Janusz Korczak zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Bedeutung der Peergroup erkannten, auf deren Potentiale vertrauten und diesen Blick in ihre pädagogischen Ansätze integrierten. Gegenwärtig zeigen zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, inwiefern Peers, insbesondere im Zeitalter der Selbstbehauptung und Individualisierung, einen wesentlichen sozialisatorischen Stellenwert einnehmen. Ihnen ist eine natürliche Gleichrangigkeit inne, die es ermöglicht, authentische Lernprozesse zu initiieren, in denen sowohl die Identitätsbildung des Einzelnen als auch die Herausbildung eines gemeinsamen Moral- und Wertesystems vorangetrieben wird.

 

Dass die Relevanz und Nutzung von Peers und Peernetzwerken im deutschen Bildungssystem noch immer unterrepräsentiert ist, scheint an dieser Stelle verwunderlich und wirft Fragen in Bezug auf die Ursachenforschung auf. Das SpeedLab „Peer Education – Lernen auf Augenhöhe“ beschäftigte sich mit verschiedenen Ansätzen ausgewählter Projekte, die den Gedanken einer Stärkenorientierung in der Praxis nachgehen und begab sich damit auf die Suche nach Möglichkeiten einer innovativen pädagogischen Praxisgestaltung von Schulen.

 

Peer Education in Deutschland – ein Anstoß für neue Wege oder doch eine Sackgasse?

 

Nach sechs Stunden intensivster Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen der Peer Education war es Zeit für eine Reflexion des Tages. In der abschließenden Podiumsdiskussion zogen sowohl die Teilnehmenden als auch die Referentinnen und Referenten selbst ein Resümee. Dabei schienen sich zum Einen alle darüber einig, dass Ansätze der Peer Education vielseitig einsetzbar sind und insbesondere im außerschulischen Bereich bereits eine kreative Anwendung finden. Wo jedoch liegen die Ansatzpunkte und Herausforderungen, um ein Lernen auf Augenhöhe auch im Lebenskontext Schule zu etablieren? Mandy Voggenauer spricht von der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels. Schule ist Lebensort, in dem Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden muss, sich auszuprobieren, Fehler machen zu können und Potenziale entfalten zu können. Dafür muss zum einen Zeit geschaffen werden, in der Experimentieren und Potenzialentfaltung Raum gelassen wird. Zum Anderen bedarf es ein Kollegium, das den Grundgedanken einer Stärkenorientierung gemeinsam verfolgt und sich mithilfe von Transparenz und Kooperation gegenseitig unterstützt.

 

Doch wie kann sich solch ein Schulethos entwickeln und findet sich dieser nur an den sogenannten „Vorzeige-Schulen“, die auch über genügend Ressourcen verfügen, um Schulentwicklung voranzutreiben? An dieser Stelle würde sicher eine Vielzahl von Schulen und Lehrenden protestieren, die bereits aus eigenem Antrieb neue Wege eingeschlagen haben und Schule als Lebensort gestalten. Der eigene Wille und eine Portion Mut sind das Fundament, was benötigt wird, um Schritt für Schritt ein Haus für Schülerinnen und Schüler zu errichten.

 

Jedoch kann und darf die Aufgabe einer Weiterentwicklung nicht allein bei den Schulen liegen. Der Schulbesuch ist für alle Heranwachsenden über einen langen Zeitraum gleichermaßen verpflichtend. Diese gesetzliche Regelung bietet ideale Voraussetzungen, um den Gedanken der Peer Education konsequent und nachhaltig mit den Akteuren umzusetzen. Eine solche kontinuierliche Erreichbarkeit sollten sich auch zahlreiche außerschulische Projekte zunutze machen, um ihre Ideen und Gedanken nachhaltig verwirklichen zu können. Die Aufgabe liegt auch bei ihnen, an die Schulen heranzutreten, um diese mit ihren Angeboten zu unterstützen. Innerhalb eines Kooperationsnetzwerkes zwischen Jugendarbeit und Schule können somit Erfahrungen ausgetauscht und Anregungen gegeben werden. Eine geteilte Verantwortung erleichtert immer das Einschlagen neuer Wege. Gleichzeitig kann der Gefahr vorgebeugt werden, dass der Gedanke von Peer Education nicht in einzelnen und zeitlich begrenzten Projekten verharrt, sondern in die deutsche Schullandschaft Einzug nimmt und das pädagogische Handeln mitbestimmt.

 

Auf einen weiteren wesentlichen Aspekt sei an dieser Stelle noch zu verweisen. Der stärkenorientierte Gedanke, auf die Kompetenzen der Heranwachsenden zu vertrauen und deren entwicklungsfördernden Einfluss aufeinander zu nutzen, stellt im pädagogischen Kontext immer auch eine Gratwanderung dar. Beate Wischer (2010) spricht in ihrem Artikel von einer „Instrumentalisierung“ der Educatoren für pädagogische Aufgaben (a.a.O. S. 113). Peer Education darf nicht benutzt werden, um den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen auf weitere Akteure zu verteilen. Ziel ist es nicht, sie zu „little teachers“ auszubilden, um ihre sozialisatorischen Einflüsse als pädagogische Zusatzleistung zu nutzen. Peer Education steht immer im Dienste der Peers selbst und nicht im Dienste der Institution Schule.

 

Hintergrundinformationen zu den Inputvorträgen und den LernLabs sowie die Projektlinks finden Sie hier.

 

Quellen:

Wischer, Beate: Zwischen Autonomie und pädagogischer Vereinnahmung. In: Schüler. Wissen für Lehrer. Heft 2010: Szenen, Gruppen, Peers. Erhard-Friedrich-Verlag GmbH 2010, 112-113