“Wer bin ich und was mache ich?” In sozialen Medien kann jeder darstellen, wer er ist, wie er den Tag verlebt und was ihn gerade umtreibt. Facebook, YouTube und Co. sind längst Bestandteil des Lebensalltags Jugendlicher geworden. Jan-Hinrik Schmidt, wissenschaftlicher Referent am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung, beschreibt in einem Artikel, welche Bedeutung sozialen Medien für Jugendliche aus kommunikations-
soziologischer Sicht zukommt: Am Ende steht dann doch ein und derselbe Aushandlungsprozess, der schon Generationen zuvor beschäftigte, Eltern faszinierte und ihnen zugleich Sorgenfalten ins Gesicht grub.

 

Die sozialen Medien haben einen zentralen Platz in der Internetnutzung von Jugendlichen. Über Facebook pflegen sie soziale Beziehungen und tauschen sich über ihren Alltag aus, auf YouTube finden sie lustige oder anregende Videos, und die Wikipedia ist eine unverzichtbare Informationsquelle. Worin aber besteht der Reiz dieser Plattformen, die im öffentlichen Diskurs doch immer wieder auch mit Datenschutzproblemen, Cybermobbing oder geringer Qualität verbunden werden?

 

Aus kommunikationssoziologischer Perspektive lässt sich die Popularität der sozialen Medien darauf zurückführen, dass sie Werkzeuge und Kommunikationsräume bereitstellen, die Jugendlichen bei der Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben helfen. Die verschiedenen Plattformen bieten dafür jeweils eigene technische Optionen und Potentiale, und sie können auch auf ganz unterschiedliche Weise genutzt werden, z.B. eher aktiv-kreativ oder eher passiv-rezipierend, eher unbedacht und spontan oder abwägend und reflektierend. Gemeinsam ist ihnen, dass Jugendliche mit der Hilfe von Facebook, YouTube und Co. zentrale Probleme des Heranwachsens bewältigen: Wer bin ich bzw. wer will ich sein? Welchen Platz habe ich in der Gesellschaft? Wie orientiere ich mich in der Welt?

 

Die Selbstauseinandersetzung geschieht in den sozialen Medien in Praktiken des Identitätsmanagements. Durch die Gestaltung des eigenen Profils auf Facebook, die Wahl eines Nutzernamens und Profilfotos oder auch mit dem Hochladen eigener Videos von künstlerischen Aktivitäten drücken Jugendliche ihre Vorlieben aus und experimentieren mit (sub-)kulturellen Zugehörigkeiten – als Fan einer Band, als Angehörige einer Szene oder als Anhänger einer politischen Bewegung.

 

Die Selbstdarstellung in den Räumen des Social Web geschieht dabei immer für ein Publikum, das allerdings mal mehr, mal weniger deutlich konturiert ist. Jugendliche pflegen mit den sozialen Medien enge Freundschaften genauso wie lockere Bekanntschaften, betreiben also Praktiken des Beziehungsmanagements. Das Bestätigen einer Kontaktanfrage wird zum sozialen Signal (“Wir kennen uns”), während der alltägliche Austausch auf Facebook oder die Kommentare zum eigenen Video auf YouTube ein Gefühl der sozialen Zugehörigkeit vermitteln. Zur Sozialauseinandersetzung gehören aber auch Konflikte, Streitereien und Trennungen, die in extremen Fällen in Belästigungen oder Mobbing umschlagen können.

 

Diese eng verwobenen Formen der Selbstpräsentation und des Austauschs mit anderen finden in Kommunikationsräumen statt, die eine neue Form von Öffentlichkeit entstehen lassen: Jugendliche können ihre eigene „persönliche Öffentlichkeit“ schaffen, in der sie äußern, was sie persönlich für relevant und mitteilenswert halten. Das mag für Außenstehende oft banal oder trivial erscheinen, doch ein solches Urteil verkennt den Wert, den gerade diese “phatische Kommunikation”, also die Kontaktaufnahme und das Halten von Kontakten, hat. Der Inhalt ist oft zweitrangig, es wird kommuniziert um zu kommunizieren – denn so lassen sich soziale Beziehungen bestätigen und aufrecht erhalten. Adressat ist dabei eben nicht das unbekannte und zerstreute Massenpublikum, sondern das eigene soziale Netzwerk, die erweiterte peer group.

 

Persönliche Öffentlichkeiten sind also Räume der Konversation, weniger der Publikation. Doch nicht nur nutzergenerierte, sondern auch professionell-standardisierte Inhalte wie Artikel aus Massenmedien, kommerzialisierte Markenkommunikation oder Produkte der Kulturindustrie gehen in sie ein. All diese Botschaften erreichen den Einzelnen als “stream”, als nicht enden wollender Strom von “Microcontent” und beständig aktualisierten Neuigkeiten, die jeweils einzeln für sich Anschlusskommunikation wie das “liken”, Weiterleiten oder Kommentieren erlauben.

 

Diese Informationsfülle ist auch nicht beliebig, sondern durch den Filter der eigenen Kontakte gegangen. Weil es sich bei diesen in aller Regel eben nicht um Wildfremde, sondern um Freunde und Bekannte handelt, haben die Informationen tendenziell mehr Relevanz für den Einzelnen. Dieser Mechanismus, das Filtern und Zuweisen von Relevanz durch soziale Kontakte, ist ein elementarer Bestandteil des Informationsmanagements in den sozialen Medien. Die in den Massenmedien etablierte Trennung von “Sender” und “Empfänger” wird hierdurch tendenziell aufgehoben. Jugendliche sind in ihren persönlichen Öffentlichkeiten immer beides.

 

All diese Entwicklungen sind sicherlich nicht auf Jugendliche beschränkt, denn auch Erwachsene profitieren von persönlichen Öffentlichkeiten, genauso wie sie sich mit den verschwimmenden Grenzen von Privatsphäre auseinandersetzen müssen. Doch für die Teenager von heute sind die sozialen Medien im doppelten Sinn alltäglich: nicht hinterfragte Normalität einerseits, jederzeit verfügbar andererseits. Wie jede Generation vor ihnen nutzen sie das verfügbare Medienangebot, um ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden. Und wie in jeder Generation vor ihnen blicken die Erwachsenen halb staunend, halb besorgt auf ihre Kinder.

 

 

weiterführende Literatur

  • Schmidt, Jan-Hinrik/Paus-Hasebrink, Ingrid/Hasebrink, Uwe (2009): Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Bd. 62 der LfM-Schriftenreihe Medienforschung. Berlin: Vistas.
  • Schmidt, Jan-Hinrik (2012): Ist das Internet demokratisch?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 7, 2012, S. 3-8. Online verfügbar: http://www.bpb.de/apuz/75830/das-demokratische-netz.
  • Wagner, Ulrike/Gerlicher, Peter /Brüggen, Niels (2011): Partizipation in und mit dem Social Web – Herausforderungen für die politische Bildung. München.

 

 

Foto: flickr/newfilm.dk