Keine Türen in den Klassenzimmern, das Lernmaterial auf den Gängen verteilt, und die Lehrkräfte wandern durch die Klassenzimmer und Gänge – das Albrecht-Ernst-Gymnasium Oettingen beschreitet neue Wege auf Grundlage des pädagogischen Konzeptes einer offenen Lernlandschaft. Der mitgebrachte Lernwille der Kinder werde durch eine offene, selbstbestimmte Lernatmosphäre verstärkt gefördert, so die These des Konzeptes. Günther Schmalisch, stellvertretender Schulleiter des Gymnasiums, erklärt im Beitrag die wesentlichen Prinzipien des neuen Lehr- und Lernformats.

 

Kinder lernen immer, denn das menschliche Gehirn ist dazu gemacht, immer lernen zu wollen. Diese Erkenntnis ist in der Lernforschung unumstritten. Insofern kann man das obige Zitat von Erich Kästner auch umformulieren und sagen: “Der Mensch muss lernen….” Warum aber beobachten und beklagen wir in unseren Schulen so oft die Lernunlust unserer Schülerinnen und Schüler? Am Albrecht-Ernst-Gymnasium haben wir, den wissenschaftlichen Aussagen folgend, einen schülerzentrierten, individualisierten Unterricht in den Mittelpunkt unseres pädagogischen Konzeptes gestellt.

 

Wenn Lernen im eigentlichen Sinne geschehen soll, nachhaltiges Lernen, das zum Können führt, muss man die Tatsache ernst nehmen, dass jedes Kind individuelle Möglichkeiten bekommen muss, um sich Fähigkeiten und Wissen nach seiner eigenen Lernstruktur anzueignen. Man kann niemanden, auch Kinder nicht und schon gar nicht 25 Schülerinnen und Schüler auf die gleiche Art und Weise von außen, also extrinsisch motivieren. Wird es versucht, basiert es auf den Konsequenzen von Belohnung oder Bestrafung. Gewöhnungseffekte führen dazu, dass sich diese äußeren Anreize schnell abnützen und es entsteht keine Nachhaltigkeit, kein Lernen, wie es eigentlich gewollt wird. Dann lernen die Kinder z.B. um guter Noten Willen oder aus Angst vor der Nicht-Versetzung. Ist das angestrebte Ziel erreicht, hat das Gelernte seinen Zweck erfüllt und ist zugleich unwichtig geworden. Deshalb kann Lernen nur gelingen, wenn es durch intrinsische Motivation erfolgt. Sie ist eine der stärksten Kräfte im Menschen. Wenn ein Kind begeistert und fasziniert von etwas ist, wenn Inhalte in einen interessanten und für das Kind relevanten Kontext gestellt werden, dann erhält die angeborene Neugier ihren Raum und wird zum Motor für intensives Lernen.

 

Schon Winston Churchill hat dies treffend ausgedrückt, wenn er schreibt: “Persönlich bin ich immer bereit zu lernen, obwohl ich nicht immer belehrt werden möchte.” Damit muss sich zwangsläufig die Lehrerrolle ändern. Von den Belehrenden werden sie zu Helferinnen und Helfern für die Kinder, die ihnen vielfältige Möglichkeiten und Wege anbieten, sich Zeit nehmen kann zur individuellen Beratung und Förderung, die Schülerinnen und Schüler für Inhalte begeistern können, weil sie selbst davon begeistert sind. Diese Erkenntnis ist eigentlich nicht neu, denn Galileo Galilei wusste schon: “Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.”

 

Von Anfang an haben Kleinkinder Spaß am Lernen, ohne, dass man sie dafür belohnen müsste – man bestraft sie auch nicht, wenn sie Fehler machen, wie es in der Schule die Regel ist – sie sind wahre Meister des Lernens, “weil wir noch keine Chance hatten, es ihnen abzugewöhnen”, wie Prof. Manfred Spitzer schreibt.
An kleinen Kindern kann man auch schon beobachten, dass sie das, was sie entdeckt, gelernt haben, was sie können, vor allem anderen zeigen, mitteilen möchten. Kann etwas, das von der Tafel in ein Heft notiert, einmal abgefragt oder in einer Probe gefordert wird und dann keine weitere Beachtung mehr findet, wirklich interessant sein? Kinder möchten auch in der Schule zeigen, präsentieren, was sie erarbeitet, sich ausgedacht und erforscht haben. Diese Form von Beachtung und Anerkennung ist für sie wichtiger als Noten. Deshalb ist Transparenz nötig, gegenseitiges Begegnen, Wahrnehmen. Schule muss für die Kinder etwas Positives sein, denn – eine weitere unbestrittene Erkenntnis der Lernforschung – nur wenn sie gerne, mit Freude lernen, gelingt es auch. Deshalb sollte Unterricht nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinden.

 

Damit Lernen gelingen kann, darf man einen weiteren wichtigen Aspekt nicht länger außer Acht lassen, nämlich den, dass Jungen in der Regel anders lernen als Mädchen. Auch dies kann an dieser Stelle nicht umfassend ausgeführt werden, aber einen wichtigen Punkt sollte man im Unterricht unbedingt berücksichtigen: Jungen müssen sich noch viel mehr als Mädchen bewegen dürfen.

 

Damit diese pädagogischen Vorgaben eines selbstständigen, eigenverantwortlichen, schülerzentrierten und damit auch gehirngerechten Lernens möglichst optimal umgesetzt werden können, muss zwangsläufig auch die räumliche Gestaltung angepasst werden. 

Um alles das, was oben ausgeführt wurde, auch bestmöglich verwirklichen zu können, haben wir im vergangenen Schuljahr ganz neue Wege beschritten und acht ehemalige Klassenzimmer im Altbau zu zwei modernen Lernlandschaften umgestaltet, so dass die fünfte und die sechste Jahrgangsstufe und ihre Lehrer in einer, wie wir meinen, optimalen Lernumgebung lernen und arbeiten können.

 

In enger Zusammenarbeit mit dem “Flexiblen Klassenzimmer” und mit Unterstützung des Sachaufwandsträgers entstanden multifunktionale Wände, ein Lehrerstützpunkt, und flexible Lern- und Arbeitsmöglichkeiten. Geprägt wird die Lernlandschaft von Offenheit und Transparenz, Lernen findet eben nicht mehr hinter verschlossenen Türen statt, sondern sie lädt ein zur Begegnung, zum Gespräch und Austausch, zum miteinander und voneinander lernen und zur Präsentation dessen, was gelernt wurde.

 

Das  Konzept der Lernlandschaft sieht die Abkehr vom herkömmlichen Unterricht vor, der sich von der ersten bis zur letzten Minute im Klassenzimmer abspielt. In der A-E-G-Lernlandschaft haben die Zimmer keine Türen mehr, große Tafel und Lehrerpult sind verschwunden, die Anordnung der Schulbänke ist dank kleiner Tische, die beliebig aneinandergestellt werden können, flexibel. Die Zimmer haben Fenster und lassen sich vom Gang aus einsehen.
Das Arbeitsmaterial lagert nicht nur im Klassenzimmer, sondern vor allem im Gang. Nischen in den Wänden dienen als Regale, in denen sich Bücher, Arbeitsblätter und Schautafeln finden – hier für das Fach Mathematik, da für Deutsch, dort für Latein. Zum Lösen von Aufgaben greifen die Schülerinnen und Schüler auf diese Materialien zurück, zum Lesen und Lernen gibt es im Gang Sitzgruppen.

 

Die Lehrerinnen und Lehrer bewegen sich innerhalb und außerhalb der Klassenzimmer und sind jederzeit für alle Fünftklässlerinnen und Fünftklässler ansprechbar. So erweitert sich der Lernraum und das individuelle Lernen wird dadurch gefördert. Außerdem haben die letzten beiden Schuljahre gezeigt, dass in den Lernlandschaften aufgrund des Raum- und Lernkonzeptes keine Unterrichtsstunde ausfällt. Die Schülerinnen und Schüler haben in allen Fächern immer umfangreiches Lern- und Übungsmaterial zur Verfügung und sind aufgrund des offenen Raumkonzeptes durch die anwesenden Lehrkräfte beaufsichtigt und können sich jederzeit mit Fragen an diese wenden.


 

Die eigenen positiven Erfahrungen im Unterrichtsalltag, die Aussagen der Schülerinnen, Schüler und Eltern, die vielen Besucher aus mittlerweile beinahe allen Teilen Deutschlands, die das pädagogische Konzept und dessen Umsetzung am Albrecht-Ernst-Gymnasium überzeugend finden, bestärken uns darin, dass wir auf dem richtigen Weg sind, zum Wohl der uns anvertrauten Kinder und auch der mit ihnen arbeitenden Kolleginnen und Kollegen.

 

Foto: Albracht-Ernst-Gymnasium

 

* Zitat von Erich Kästner