Wie ist es um die Chancengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit des deutschen Schulsystems bestellt? Thema des aktuellen Medienmonitors ist die Bildungsstudie Chancenspiegel, die das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellt hat. Chancengerechtigkeit an den Dimensionen von Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe messbar machen – das ist der Versuch. Im Ergebnis zeigt die Studie vor allem eins: Die soziale Herkunft bedingt nach wie vor den Bildungserfolg.

 

Die Tagesschau stellt als Ergebniss der Studie heraus, dass die Chance für ein Kind aus einem Elternhaus sozial höherer Schichten, das Gymnasium zu besuchen, im Bundesdurchschnitt 4,5 Mal höher sei als die eines Kindes mit sozial schwacher Herkunft. Dies gelte insbesondere in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern. Insgesamt komme aber kein Bundesland in allen der analysierten Kategorien gut weg. Die Tagesschau begleitete den Sozialarbeiter Simon Schark bei seiner Arbeit an einer Grundschule im sozialen Brennpunkt Chorweiler, wo zahlreiche Kinder aus armen und ca. 90% aus Zuwandererfamilien kommen. Der Sozialarbeiter berät Eltern und unterstützt die Schülerinnen und Schüler beim Lernen. Durch Dialog und akute zeitnahe Krisenintervention trage er hier zu einem positiven Schulklima bei. Aber auch die zahlreichen Förderangebote der Schule könnten das fehlende Wissen der Schülerinnen und Schüler nicht ausgleichen. Den Kindern fehle das Weltwissen, meint der Leiter der Schule, Uwe Reich. 

 

Dass Kinder von armen Eltern oder von Migranten deutlich seltener Abitur machen als Kinder von Akademikerinnen und Akademikern, ist auch Ansatzpunkt für die ZDF heute-Sendung. Die Studie zeige, dass  Intelligenz nicht ausschlaggebend für den Schulweg sei. Fordern und Fördern klappe lediglich in Sachsen – das Rezept sei ein stabiles Schulsystem seit 15 Jahren. “Es gibt keinen Mangel an Studien, aber einen Mangel an Erkenntnissen”, meint der sächsische Kultusminister, Roland Wöller (CDU). Die Qualität von Schule lebe von den Lehrerinnen und Lehrern und auch von der Klarheit und Übersichtlichkeit der jeweiligen Schulen, so der Kultusminister. Die Studie belege am Ende nur, was schon viele ahnten. Deutschland müsse noch viel lernen beim Thema Schule und auf die hören, für die sie gedacht ist: die Kinder.

 

Dass Bildungserfolg von der Herkunft abhängig sei, findet auch der Bildungsjournalist und ehemaliger SpeedLab-Referent Christian Füller besonders ungerecht. In der taz weist er darauf hin, dass bereits seit Ende 2001, als die erste Pisa-Studie erschien, bekannt sei, dass das Schulsystem Bildungs- und Lebenschancen extrem ungleich verteile. Dennoch wäre es für die Kultusminister nie ein “Megathema” gewesen. Die Studie bringe wiederum ans Licht, dass das deutsche Schulsystem relativ wenige Stärken und sehr viele Schwächen habe. In diesem Zusammenhang kritisiert Füller das falsche Verständnis vom Begriff “Chancengerechtigkeit” bei den Christdemokraten: “Gerecht ist, wenn Ali und Justin aus den Migrations- und Hartz-IV-Familien ihre Schulform besuchen – die Hauptschule. Und dass Arztsohn Leon mit sechsfacher Wahrscheinlichkeit aufs Gymnasium geht, ist ebenfalls chancengerecht – und das auch, wenn Ali und Justin die gleichen Leistungen erbringen.” Auf SPIEGEL Online zieht Christian Füller in einem weiteren Artikel zur Bildungsstudie die Bilanz, dass es fast niemand zurückschaffe, der vom deutschen Bildungssystem einmal ausgesiebt wurde.

 

Bestehende Unterschiede werden im deutschen Schulsystem verstärkt. Zu diesem desaströsen Befund kommt der Deutschlandfunk in einem Interview mit dem Co-Autor der Bildungsstudie, dem Bildungsforscher Wilfried Bos. Dass aber ein Schulsystem nur eines sein könne – gerecht oder leistungsstark – verneint der Forscher. Sachsen etwa hätte einen hohen Anteil an Chancengerechtigkeit und Schüler- und Schülerinnenleistung. Große Prozentteile an Ganztagsschulen seien hier ein “guter Indikator für Gerechtigkeit”. 

 

Dass Ganztagsschulen damit auch ein wichtiger Faktor für den Bildungserfolg seien, findet auch die Süddeutsche Zeitung. Diese bieten eine einheitliche Betreuung für alle Schülerinnen und Schüler – anders als bei den jeweiligen Familien zu Hause. Überraschend sei aber, dass in den ostdeutschen Bundesländern mit Ausnahme von Thüringen fast doppelt so viele Jugendliche die Schule abbrechen wie in Baden-Württemberg, Bayern oder Niedersachsen. Die Annahme, dass vor allem Kinder aus Zuwandererfamilien die Schule abbrechen würden, werde somit widerlegt, da der Migranten- und Migrantinnen-Anteil in den ostdeutschen Ländern viel geringer sei. Wichtiger als die Herkunft seien Armut und Arbeitslosigkeit, wird hierzu Ulrich Kober, Integrations- und Bildungsexperte der Bertelsmann-Stiftung, im Artikel zitiert. 

 

detektor.fm nimmt die Studie zum Anlass, um mit Nils Berkemeyer vom Institut für Schulentwicklungsforschung der TU Dortmund über die Ungerechtigkeiten des deutschen Bildungssystems zu sprechen. “Beim pädagogischen Auftrag hat die Ganztagsschule noch nicht ganz ihren Job gemacht”, meint Berkemeyer entgegen der Meinung anderer Medien. Im Interview geht er außerdem darauf ein, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) nicht bereit war, vollständig alle Daten für die Erstellung der Studie zur Verfügung zu stellen. Er habe den Eindruck gewonnen, dass das Interesse der Bundesländer an einem Vergleich nicht besonders groß sei – das sei aus politischer Sicht zwar verständlich, täte aber der Debatte nicht gut. 

 

Die Kölnische Rundschau nimmt die Rufe nach Veränderungen seitens der Parteien in den Blick, die infolge der Studie laut geworden seien. So hätten SPD, Grüne und Gewerkschaften ihre Forderung erneuert, das grundgesetzliche Kooperationsverbot von Bund und Ländern in der Schulpolitik zu kippen. 

 

Foto: flickr.com / Axel Schwenke / Erdfunkstelle Usingen 2005 / CC BY-SA 2.0