Herbeigesehnt wurde es von vielen, das “educamp” 2012. Im Bildungskontext ist es Engagierten ein Begriff. Den noch nie vor Ort Gewesenen erscheint die Veranstaltung aber eher als Mysterium, als dass sie sich viel darunter vorstellen können. Kein Programm, keine Namen, kein Ablaufplan. Werkstatt.bpb.de hat sich das neunte “educamp”, das von 16. bis 18. März in Köln stattfand, einmal aus der Nähe angesehen und erlebt, wie aus Verwirrung durch ein offenes Format schnell Begeisterung wird. Ein Bericht über persönliche Eindrücke rund um das “educamp” 2012.

  

Wer zum ersten Mal auf das “educamp” fährt, dem stellen sich viele Fragen: Was ist Thema des “educamps”? Wer ist die Zielgruppe? Was wird geboten? Antworten sind rar gesät. Zwar hat das “educamp” eine Online-Plattform, die die Möglichkeit bietet sich anzumelden, die generellen Informationen zum Veranstaltungsformat nachzulesen und sich im Forum auszutauschen, aber alles bleibt irgendwie unkonkret. Die scheinbar wichtigsten Fragen, beispielsweise nach einem Programm, sind bis zum letzen Tag, zur letzten Stunde, ja noch bis Veranstaltungsbeginn offen. Wer sich zum “educamp” anmeldet, muss – wie das Veranstaltungsformat selbst – eine gewisse Offenheit zeigen und sich mit den wenigen verfügbaren Informationen zufriedengeben. In Zeiten der schnellen digitalen Transportwege von Wissen, fällt das zugegebenermaßen schwer.

 

Vergangenes Wochenende war es dann soweit: Wie seit 2007 jedes halbe Jahr, fand vom 16. bis 18. März an der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule ein “educamp” statt. Erfahrene Educamper haben sich dieses Datum schon lange zuvor fett im Kalender angestrichen und es mit Vorfreude erwartet. Das merkt man dann auch als es soweit ist: das “educamp” ein Klassentreffen? Scheinbar kennen sich alle, sind längst per Du und haben über diverse soziale Netzwerke den Kontakt zueinander gepflegt. Hierarchien gibt es genauso wenig wie ein Programm. Nach Pflichtveranstaltung sieht das nicht aus. Spaß und Eigeninitiative scheinen tragende Säulen des Camp-Konzepts zu sein.

 

Thomas Bernhardt, der seit dem ersten “educamp” 2007 einer der Mitorganisatoren der Veranstaltung ist, erklärt mir später im Interview, dass meine ersten Eindrücke Methode sind: Das “educamp” funktioniert als offene Veranstaltung für alle an Bildung, Web 2.0 und neuen Medien Interessierten. Sie werden im Kontext der Veranstaltung nicht als Teilnehmende, sondern “Teilgebende” verstanden: Alle Anwesenden sollen sich einbringen.

 

So betrachtet ist es nur logisch, dass die Entstehung eines Programms, der erste und einzig feste Programmpunkt der Veranstaltung ist. Dafür ist ein Zeitfenster von einer Stunde eingeplant. Bevor der Tag aber Form annehmen darf, gibt es eine Vorstellungsrunde: Die Anwesenden treten durch die Nennung von Vornamen und drei Tags – Schlagwörtern – aus der Anonymität der Veranstaltungsmasse heraus und es zeigt sich, einige sind doch zum ersten Mal dabei. Meine Tag sind: werkstatt.bpb.de, Digitalisierung, zeitgeschichtliche und politische Bildung. 120 Leute stellen sich so in 17 Minuten vor. Bemerkenswert schnell dank eines scheinbar gut eingespielten Teams oder schlicht dank eines schlüssigen Konzepts.

 

Dann wird es ernst: Die einzelnen Programmpunkte – Sessions – werden festgelegt. Jeder, der eine Frage oder Idee hat, die gemeinsam mit Interessierten diskutiert werden soll, wird nach vorne gebeten, um den Vorschlag vorzustellen. Die Crowd stimmt dann per Handzeichen ab, ob das Thema auf Gegenliebe stößt. Tut es das, entsteht daraus eine Session. Die wird, mit Uhrzeit und Raumnummer versehen, in ein Google doc eingetragen, das an die Wand gebeamt und online bereitgestellt, für alle einsehbar ist. Die Anwesenden formen das Programm, genauso wie sie am Anfang des Tages ihre Sitzgelegenheiten aus Pappe selbst zusammengebaut haben. Etwa 55 Minuten später sehe ich mich einer an die Wand projizierten Matrix gegenüber, die mir zu jeder vollen Stunde eine etwa 45-minütige Session zu unterschiedlichen Themen und Fragestellungen anbietet: Da geht es beispielsweise um Open Educational Ressourcen (OER), um Tablet-Klassen, Barcamps für Jugendliche, Identität(en) 2.0, Lehrerkompetenzen im digitalen Zeitalter und Exkursionen mit mobilen Endgeräten. Worüber ich mir tagelang den Kopf zerbrochen habe, entsteht hier binnen einiger Minuten. Da aufgrund der Fülle an vorgeschlagenen Sessions einige zeitgleich stattfinden, habe ich nun die Qual der Wahl.

 

In meiner ersten Session zu Open Educational Ressources und dem Umdenken, was die Bereitstellung von und den Zugang zu Unterrichtsmaterialien angeht, erlebe ich dann auch, dass die “Teilgabe” als eine Norm des “educamps” innerhalb der Sessions weiterlebt: In wenigen Minuten kann derjenige, der die Session initiiert hat, die Fragestellung oder das Thema beschreiben. Die verbleibende Zeit wird diskutiert. Jeder kann seine Gedanken einbringen. Kritik ist willkommen, genauso wie die notwendige Nuance an Humor, die Spaß bringt und aus Interesse nicht Verpflichtung werden lässt. Trotz des Mottos “alle sind Experten”, nimmt sich weitestgehend keiner zu ernst und die Meinungen anderer ernst genug, so dass sie Diskussionen bereichern können. So treibe ich dann durch den Tag, von Session zu Session. Scheinbar nahtlos geht es von den OERs über zu Bertelsmann und der Bildungsindustrie hin zu Bildungsarmut durch web 2.0 und Identität(en) 2.0 bis zu den erforderlichen Kompetenzen Lehrender im digitalen Zeitalter.

 

Jede Session ist anders: Die Gruppen setzen sich neu zusammen, der Stil der Themenvorstellung ist individuell, der Diskussionsverlauf immer ein anderer. Am Abend hallen all die Stimmen, ihre Argumente und Erklärungen in meinem Kopf nach. Trotz gedanklicher Ermüdungserscheinungen bin ich noch immer verhältnismäßig euphorisch. Nicht alles, was ich gehört habe, war neu oder besonders innovativ gedacht. Nicht alle Diskussionsverläufe und Argumentationen waren höchst konstruktiv. Dennoch haben mir das Veranstaltungsformat und die Sessions an sich neue Sichtweisen aufgezeigt und in mir Denkprozesse ausgelöst, die hoffentlich konstruktive Folgen haben. Und dann ist da noch das Gefühl, dass ich nun dazu gehöre, zu diesem Klassentreffen von Bildungsnerds.

 

Jaana Müller

 

Foto: Kölner Dom, Flickr/Metro Centric