Geschichte kann lebendig werden. Das bemerken die Schülerinnen und Schüler des Matthias Claudius Gymnasium während der Arbeit mit Zeitzeugen. Anstatt eine Klausur zu schreiben, führen die Schülerinnen und Schüler einer Abiturklasse in Kleingruppen je ein Zeitzeugeninterview. Im Vorfeld veranstaltete das Team von werkstatt.bpb.de am 23. Februar 2012 einen Workshop in der Klasse, der hier bereits dokumentiert wurde. Nun berichtet Luise Naumann, Geschichtslehrerin am Matthias Claudius Gymnasium, wie sie den Tag erlebt hat.
Um bei Jugendlichen das Interesse für die Geschichte der DDR zu wecken, um sie zu Reflexionsprozessen anzuregen und ihre historische Urteilskompetenz zu stärken, sind die Mittel „traditionellen“ Geschichtsunterrichts wie insbesondere das Schulbuch mit seinen Verfassertexten, Quellen und Abbildungen nur bedingt geeignet.
Demgegenüber bergen Zeitzeugeninterviews das besondere Potenzial, Geschichte lebendig und greifbar zu machen. Die direkte Begegnung mit jemandem, der selbst „dabei“ war und über das damalige Geschehen und seine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen berichtet, ist faszinierend und erkenntnisreich. Zeitzeugeninterviews stellen eine wertvolle Ergänzung zu anderen Quellen dar, denn sie geben Auskunft über historische Sachverhalte, z.B. die Alltagserfahrungen der Menschen, über die andere Quellen kaum berichten.
Die didaktisch-methodischen Vorzüge der Zeitzeugenbefragung bewogen mich dazu, im Rahmen des Semesterthemas „DDR-Geschichte“ ein Zeitzeugen-Projekt mit einer Abiturklasse durchzuführen. Die Schülerinnen und Schüler wurden vor die Aufgabe gestellt, in Kleingruppen und in eigener Regie ein Zeitzeugeninterview zu einem selbstgewählten Untersuchungsschwerpunkt zu produzieren.
Wie macht man das, ein Zeitzeugeninterview?
Um die Schülerinnen und Schüler angemessen auf die Arbeit mit Zeitzeugen vorzubereiten, lud ich die werkstatt.bpb zu uns an das Matthias-Claudius-Gymnasium in Hamburg ein, einen ganztägigen Schülerworkshop zum Themenfeld „Alltag und Gesellschaft in der DDR“ zu veranstalten. Neben inhaltlichen Fragen zur deutsch-deutschen Geschichte standen vor allem die Vorbereitung und Durchführung von Zeitzeugengesprächen und die Medienerstellung auf dem Programm. Zur Unterstützung hatte das Team der werkstatt.bpb den Zeitzeugen Peter Grimm, in der DDR ein aktives Mitglied der Bürgerrechtsbewegung und heute Redakteur bei der Zeitschrift HORCH UND GUCK, eingeladen. Peter Grimm hatte sich dankenswerterweise bereit erklärt, über seine DDR-Erfahrungen zu berichten.
Nachdem die Schülerinnen und Schüler inhaltlich und methodisch auf das Interview mit Peter Grimm vorbereitet wurden, befragten sie gemeinsam den Zeitzeugen nach seinen Erinnerungen an den Schulalltag in der DDR, seinen Erfahrungen mit der Staatssicherheit und die politischen Ziele und Formen des Widerstands der Bürgerrechtsbewegung. Diese erste praktische Erfahrung einer Zeitzeugenbefragung wurde von allen Schülerinnen und Schülern positiv aufgenommen und bewertet, denn neue Einsichten und Erkenntnisse konnten gewonnen werden.
Eine weitere wichtige Phase des Workshops bildete die Präsentation der im Vorfeld entwickelten eigenen Projektideen: Die Schülergruppen skizzierten die Biografie ihres für das Unterrichtsprojekt ausgewählten Zeitzeugen und stellten Interviewziele sowie mögliche Interviewfragen vor. Von den Veranstaltern erhielten sie wichtige Hinweise zu methodischen und insbesondere technischen Fragen der Medienerstellung.
Ihre neugewonnenen Erkenntnisse konnten die Schülerinnen und Schüler im abschließenden Produktions- und Interviewtraining, das die Erstellung eigener Medienbeiträge in Form eines eigenen Zeitzeugeninterviews beinhaltete, praktisch erproben und umsetzen. In Kleingruppen produzierten die Schülerinnen und Schüler testweise ein eigenes Interview, indem sie sich gegenseitig zum Zeitzeugen-Workshop befragten. Leider musste diese Phase aus Mangel an Zeit abgekürzt werden. Gerne hätten sich die Schülergruppen vertrauter mit der Technik gemacht und weitere Medienbeiträge erstellt.
Insgesamt wurde der Workshop von den Teilnehmenden überwiegend positiv bewertet. Die Schülerinnen und Schüler fühlten sich nach eigenem Bekunden nun besser auf ihre eigene Projektarbeit vorbereitet, offene Fragen zu den verschiedenen Arbeitsphasen einer Zeitzeugenbefragung konnten geklärt werden. Dem Interviewtraining und der Medienerstellung hätte mehr Zeit eingeräumt werden können, da die Schülerinnen und Schüler dort den größten Übungs- und Handlungsbedarf hatten.
Es bleibt nun abzuwarten, ob die vielen Anregungen von den Projektgruppen umgesetzt werden, nämlich dann, wenn sie mit ihren eigenen Zeitzeugenbefragungen selbst „Geschichte“ produzieren.
An dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Dank an Peter Grimm und das Team von werkstatt.bpb, das den Workshop organisiert und die Schülerinnen und Schüler durch diesen erfahrungsreichen Tag begleitet hat.
Auch die beiden Schüler Linus Günter und Benafsche Amiri erzählen in zwei Berichten von Ihren Workshop-Eindrücken.
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