Vertrauen – ein wertvolles Gut und Fundament menschlicher Beziehungen: Das bemerken Siamak Ahmadi und Hassan Asfour in ihrem Alltag als Dialogmoderatoren häufig. Im Rahmen des Projekts „Dialog macht Schule“ möchten sie Jugendlichen politische Themen näher bringen. Sie und 15 weitere Moderatoren gehen an Schulen in Stuttgart und Berlin-Neukölln, die eine höchst heterogene Schülerschaft verzeichnen. In diesem Artikel erörtern Hassan Asfour und Siamak Ahmadi  die Bedeutsamkeit der Vertrauensbildung für ihre Arbeit. 

 

Dies ist der erste einer Reihe von Artikeln, in denen die Moderatoren des Projekts „Dialog macht Schule“ von ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichten.

  

von Siamak Ahmadi und Hassan Asfour

 

 

In Lebenswelten eintauchen

 

Als Dialogmoderatoren für politische Bildung gehen wir von der Prämisse aus, dass sich hinter fast jedem für Menschen interessanten Thema auch etwas Politisches verbirgt. Das ist bei den Interessen und Themen unserer Schülerinnen und Schüler nicht anders, auch wenn sie das selber erst mal nicht sehen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen diese politische Dimension aufzuzeigen. Dafür müssen wir jedoch wissen, was sie umtreibt, welche Themen sie beschäftigen, was sie berührt und wofür sie sich interessieren. Es braucht jedoch Vertrauen, um diese teilweise sehr persönlichen Dinge ansprechen zu können. Doch wie erhält man Zugang zu Schülerinnen und Schülern aus einem bildungsfernen, zum Teil sozial sehr prekären Umfeld? Ist die Herangehensweise bei dieser Schülerschaft eine andere? Und wenn ja, können wir als Dialogmoderatoren aufgrund unserer meist eigenen Migrationsbiographie schneller ihr Vertrauen gewinnen?

 

Wir arbeiten an drei Schulen in Berlin Neukölln, einem Gymnasium, einer Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe und einer weiteren Sekundarschule (ehemals Hauptschule). Dort leiten wir Gruppen mit Siebt- und Achtklässlern sowie Abiturientinnen und Abiturienten. Diese Neuköllner Schulen haben einen sehr hohen, bis zu über neunzigprozentigen, Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Vor allem an den Sekundarschulen stammt die Schülerschaft aus einem bildungsfernen Umfeld.

 

Es handelt sich bei unseren Sitzungen nicht um Frontalunterricht, in dem Lernstoff für Themen und Klausuren abgearbeitet wird. Es geht vielmehr darum, in die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler einzutauchen, also prozessorientiert auf ihre Themen und Wünsche einzugehen. Dabei dürfen wir unser Ziel, nämlich etwas Politisches aus diesen Themen zu gestalten, nicht aus den Augen verlieren. Wir wollen sie nicht einfach nur für politische Inhalte sensibilisieren, sondern zunächst einmal ihre persönlichen und sozialen Kompetenzen stärken. Dazu gehören u.a. Perspektivenwechsel, Argumentationsfähigkeit, Teamfähigkeit, kritisches Denken und Selbstwirksamkeit. Dies kann nur gelingen, wenn wir in einem vertrauensvollen Raum, der frei ist von Vorurteilen, Notendruck und Angst, Zugang zu ihnen erhalten.

 

Diesen vertrauensvollen Raum schaffen wir vor allem durch den dialogischen Ansatz, vertieft durch unsere Ausbildung zum Dialogprozessbegleiter, die die Grundlage unserer Arbeit ausmacht. Dabei geht es nicht nur darum mit den Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, sondern darum, wie wir mit ihnen ins Gespräch kommen. Dazu gehört in erster Linie eine offene, erkundende und flexible Haltung, die idealerweise zum Gespräch einlädt. Diese Haltung erweckt Vertrauen, da sie eine Atmosphäre der Akzeptanz schafft. Die Schülerinnen und Schüler spüren dadurch, dass es um sie selbst geht und dass ihre Interessen ernst genommen werden.

Vertrauen gewinnen wir auch durch die Ebene des Humors. Die Tatsache, dass wir ihren Humor verstehen, uns nicht angegriffen fühlen und auch humorvoll antworten, weil wir ihren (sozialen) Code verstehen, führt dazu, dass sie uns als „coole“ Gesprächspartner und Vorbilder sehen, die ihnen zuhören und denen sie gerne zuhören.

 

 

Balancieren zwischen zwei Kulturen

 

So etwas lernt man natürlich nicht einfach mal in ein paar Ausbildungswochenenden, aber dass wir uns intuitiv in die Schülerinnen und Schüler hineinversetzen können und sie uns schnell als Identifikationsfiguren annehmen, machen wir vor allem daran fest, dass wir zum einen nicht sehr viel älter sind als sie (zwischen 21 und 30 Jahren) und zum anderen selbst auch einen Migrationshintergrund aufweisen. Den Vorteil unserer eigenen Migrationsbiographie kann man mit einem Seiltanz zwischen zwei Kulturen beschreiben. Im Laufe der Jahre haben wir gelernt zwischen den Bräuchen, Werten und Normen unserer Herkunfts- und Einwanderungskultur zu balancieren. Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung, wie schwer dieses Gefühl des  „Dazwischenseins“ ist. Wir wissen aber auch zugleich, wie bereichernd es sein kann, wenn man sich aus dieser Fülle von kulturellen Identitätsangeboten, eine Bikulturalität aufgebaut hat. Wir sehen unsere Schülerinnen und Schüler als geborene Seiltänzer und glauben zu wissen, dass sie uns umgekehrt als die Erfahrenen wahrnehmen, von denen sie das Balancieren lernen können.

 

Dieser Identifikationsfaktor ermöglicht uns schon von der ersten Sitzung an, einen persönlicheren Zugang zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen, was unseres Erachtens und aus den bisherigen Erfahrungen den meisten deutschstämmigen Lehrerinnen und Lehrern schwerer fällt. Schon die Tatsache, dass wir als weniger fremd angesehen werden, reduziert ihre Abwehrhaltung. Wir sind zugleich aber auch schon in einer anderen Lebensphase und sind als junge Akademiker fremd genug, um eine gewisse Faszination oder, wie nach Holzbrecher¹, eine Beziehungsfantasie auszulösen, wonach das Bild des Fremden zwischen Angst und Faszination oszilliert. Spiegelt sich das Eigene zunehmend im Fremden wider, verstärkt sich das Gefühl von Faszination. Dadurch wird schneller interpersoneller Rapport möglich.

 

Diese Basis verleiht uns eine Vorbild- und Vorlebefunktion, die uns auch ermöglicht, die Schülerinnen und Schüler auf eine Weise zu kritisieren, die sie nicht gleich als diskriminierend abtun können. Dadurch können wir ihnen das Opferrollen-Denken, das unter ihnen weit verbreitet ist, vor Augen führen und versuchen sie von dort herauszuführen; vor allem vor dem Hintergrund, dass sie an ihren Schulen meist die große Mehrheit darstellen.

 

Es sind also diese zwei Faktoren, die dialogische Haltung und unsere eigene Migrationsbiographie, die uns dabei helfen das nötige Vertrauen aufzubauen.

 

 

Ein Ort der Beständigkeit

 

Diese vertrauensbildenden Faktoren können jedoch nur ihre Wirkung entfalten, wenn zwei weitere, sehr wichtige Aspekte Berücksichtigung finden, nämlich das Gefühl von Sicherheit und Beständigkeit. Klare Gesprächs- und Umgangsregeln sind essentiell, denn ohne sie, bleibt dieses Gefühl und damit das Vertrauen auf der Strecke.

 

Hierbei kommt dem Stuhlkreis, als zentralem Ritual unseres dialogischen Settings, eine besondere Rolle zu. Durch die Einführungsrunde zu Beginn der Sitzung, können die Schülerinnen und Schüler schildern, wie es ihnen geht und die letzte Sitzung resümieren. Die Moderatoren können sich dabei gleich auf das Befinden der Schülerinnen und Schüler einstimmen und ggf. flexibel den Sitzungsplan verändern, wenn die Jugendlichen das Bedürfnis verspüren einige Aspekte ihres Alltages zu besprechen. Die Abschlussrunde im Stuhlkreis gibt den Schülerinnen und Schülern dagegen die Möglichkeit, die Gespräche, Diskussionen, Übungen oder andere Aktivitäten zu reflektieren und den Moderatoren Feedback geben.

 

Der Stuhlkreis stellt einen Ort der Erkundung, der Fehleranalyse und Problemlösung, sowie einen Ort der Reflexion dar, was ihn zu einem sehr wichtigen Instrument macht. Kommt es zu einem Fehlschlag bei einer Übung oder Methode, geht man einen Schritt zurück und analysiert, wie es zu einem Scheitern des Vorhabens kam; die Schülerinnen und Schüler wissen meist sehr genau, was schief gelaufen ist. In diesem Setting gefällt es ihnen besonders, dass sie gesehen werden, sich gegenseitig besser kennen lernen, oft zu Wort kommen, ihre Meinung frei äußern können und Anerkennung bekommen, weil sie alle einen Beitrag zu den Diskussionen und Übungen leisten können. „Ich [habe] mich verstanden gefühlt […], und ich merkte [sic] das [sic] nicht jedem meine Meinung egal ist.“

 

In der Dauer und Art und Weise des Vertrauensbildungsprozesses gibt es große Diskrepanzen zwischen den Schulen, aber auch innerhalb der Schulen wiederum Diskrepanzen zwischen den einzelnen Gruppen. An zwei von drei Schulen, mit denen wir den Vertrauensbildungsprozess bereits durchlaufen haben, verlief dieser relativ schnell und unkompliziert. An einer Schule jedoch, der ehemaligen Hauptschule, führten viele, u.a. externe, Faktoren dazu, dass der Prozess immer wieder unterbrochen bzw. gestört wurde. Zum Einen lag es an den fehlenden Strukturen der Schule selbst, denn in dieser Schule befinden sich viele Schülerinnen und Schüler, die keine ausreichenden Sprachkenntnisse haben, was die Kommunikation teils schwer beeinträchtigte. Weiterhin war und ist die Teilnahme an den Sitzungen sehr unbeständig, weil Schülerinnen und Schüler schwänzen und regelmäßig suspendiert werden. Dadurch konnte sich kein ausreichendes Gruppengefühl entwickeln.

Durch solche Aspekte kann wiederum ein für unsere Arbeit und den Prozess der Vertrauensbildung wichtiger Faktor nicht ausreichend zum Tragen kommen: Beständigkeit.

 

Zusammenfassend lassen sich folgende vertrauensbildenden Maßnahmen festhalten: Der Wiedererkennungswert der eigenen Migrationsbiographie und das Alter, eine offene Haltung, Interesse an ihren Themen, sowie Beständigkeit und Sicherheit, die in unserem Setting durch Verhaltensregeln und das Stuhlkreisritual zum Tragen kommen. Aufgrund der Interdependenz dieser Faktoren, ist es wichtig in jeder Sitzung die Balance zwischen Offenheit und Flexibilität auf der einen Seite sowie Beständigkeit und Sicherheit auf der anderen Seite aufrecht zu erhalten.

 

 

¹ Holzbrecher, Alfred (1997): Wahrnehmung des Anderen. Zur Didaktik interkulturellen Lernens, Opladen

 

 

Foto: flickr/Marquette La