Unsere Gesellschaft ist vielfältig und heterogen. Das zeigt sich auch in den Klassenzimmern. Thomas Maring, promovierter Historiker und Referendar für die Fächer Deutsch und Geschichte, beschreibt in diesem Artikel, wie schwierig, aber wichtig, die Ausbildung gemeinsamer Werte- und Moralvorstellungen in einer Gemeinschaft von Menschen höchst unterschiedlicher Lebenswelten ist. Dabei weist er der Schule eine zentrale Rolle zu. Und er erklärt am Beispiel des Geschichtsunterrichts in einer 11. Klasse, wie der Gang durch die Geschichte der Demokratie, durch 12 Jahrhunderte, von Rom bis Frankreich, ein Weg zu gemeinsamen Wertvorstellungen werden kann.

 

Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Kooperation ihrer Mitglieder, sie ist gar angewiesen auf diese. Der Umgang in einer pluralistischen Gesellschaft ist mitnichten immer einfach und braucht mit ihrer Vielfalt von konkurrierenden Werten viel Fingerspitzengefühl. Trotz ihrer begrenzten Einflussmöglichkeit spielt die Schule die zentrale Rolle innerhalb der Moralerziehung. Dabei nimmt die Demokratieerziehung einen wichtigen Platz ein. Diesen möchte ich exemplarisch am Beispiel meines Geschichtsunterrichts im Jahrgang 11 erläutern.

 

Der Kurs setzt sich aus 27 Schülerinnen und Schülern zusammen, etwa 90 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Allein bei der Vorbereitung des Unterrichts gilt: In einer pluralistischen Gesellschaft, in einem Klassenzimmer in dem Menschen aus den verschieden Teilen der Welt gemeinsam lernen, gibt es nicht den verbindlichen Wertekanon, es gibt einen oberflächlichen Konsens, aber keinen universell gültigen Wertekanon. Mein Geschichtsunterricht in einer Jahrgangstufe 11 ist nah an der Aussage Kants angelegt, nämlich dass nur die Vernunft einen Zustand des Friedens und des Miteinanders erreichen kann. Vielleicht ist die Vernunft ein erster Schritt zur Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist apriori. Wie soll also Recht angewandt werden, wenn wir nur erahnen, was gerecht ist? 

 

In unserer globalisierten Gesellschaft fehlt bis heute eine Definition, eine Übereinkunft über die Definition von Recht und Gerechtigkeit. Die immer häufiger auftretenden Fälle der Zerstörung von Schuleigentum, Nötigung und Erpressung von Mitschülern und -schülerinnen sind ein Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Probleme. Dieser Zustand ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft  gefährlich. Die Schule selbst geht wenig auf die Lebensfragen der Schüler ein, etwa die ihrer Identität. Den Hintergrund bilden gewandelte Lebensbedingungen der Kinder und Jugendlichen im direkten Zusammenhang einer pluralistischen, medien- und konsumgeprägten Gesellschaft, die sich in einer Überforderung im Leistungs- und Verhaltensbereich widerspiegelt. 

Umso wichtiger ist es, dass die Schülerinnen und Schüler ein historisches Bewusstsein entwickeln und den Weg der Menschenrechte und des dazugehörenden Menschenbildes in historischer Perspektive kennenlernen und beides kritisch betrachten. So erlernen sie die innerhalb der Moralerziehung wichtigen Fähigkeiten, Diskurse zu führen und zu moralisch reflektierten Urteilen zu gelangen und danach zu handeln.

 

Thematisch beginnen wir in diesem Kurs mit der attischen Demokratie, in der sich bereits im 5. Jahrhundert erste Institutionen der Demokratie entwickelt haben. Anschließend folgt die Römische Republik mit ihrer indirekten Herrschaftsform, wo die Bürger Roms frei waren, aber auch nur sie. Das Lehnswesen des Mittelalters war ein erster Vertrag zwischen Lehnsherren und Versallen und stellt eine wichtige Station für einen möglichen ersten Gesellschaftsvertrag da. Mit dem Epochenjahr 1789, der Forderung nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, der berühmtestn Losung der Französischen Revolution, endet schließlich der historische Diskurs. Diese historischen Etappen helfen den Schülerinnen und Schülern bei der Entwicklung und Festigung ihres Menschenbildes und sind als notwendige Voraussetzung für die Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit zu verstehen.

 

Ich bin davon überzeugt, dass diese Themen den Schülerinnen und Schülern zeigen, wie sich Werte im Laufe der Zeit entwickeln können und dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen. Unsere Gesellschaft lebt von der Partizipation. Die gesellschaftliche und politische Teilhabe und Verantwortung eines jeden Einzelnen ist im Laufe der letzten Jahre gewachsen. Das Wissen über die Geschichte dieses Landes kann dabei Hilfe sein, den demokratischen Umgang in einer  pluralistischen Gesellschaft zu erlernen. Die Schule kann über das Prinzip der Gerechtigkeit ihren Schülerinnen und Schülern eine Werteorientierung bieten. 

 

 

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