Apple will mit seiner Schulbuch-Initiative ein neues Monopol schaffen. Seine Vision von digitalen Schulbüchern hinkt dem Stand der Lern-Forschung hinterher, so die These einiger Bildungsexperten. Neben lobenden Tönen erntet der Vorstoß des Multimedia-Konzerns massive Kritik. Der Journalist und Volkswirt Tarik Ahmia über die öffentlichen Reaktionen und seinem Besuch bei einem Schulbuch-Forscher an der Freien Universität Berlin.

 

Geht es nach den Plänen des Technologiekonzerns, dann hat das gedruckte Schulbuch bald ausgedient. In Zukunft sollen Schüler ihre Lehrbücher auf dem iPad nicht nur lesen, sondern auch hören und bewegte Bilder sehen: Interaktive Animationen, Grafiken, Photos und Videos sollen die Lerninhalte dabei so anschaulich vermitteln, wie es mit dem klassischen Buch nicht möglich ist. Unterstützt wird Apples Vorstoß von den drei größten Schulbuchverlagen der USA, die etwa 90 Prozent des Marktes abdecken. Zu Apples Kalkül zählt es nicht nur, viele seiner iPads an Schulen zu verkaufen. Von jedem elektronischen Schulbuch, das im iBookstore verkauft wird, behält Apple auch 30 Prozent des Verkaufspreises als Provision ein. Allerdings ist es keineswegs sicher, dass die Schüler so begeistert mit den Bildschirm-Büchern arbeiten, wie es sich der Konzern erhofft: Untersuchungen zeigen, dass drei von vier Schülern zum Lernen ein echtes Buch dem eBook vorziehen.

 

Für mächtigen Ärger sorgen nun die neuen Lizenzbedingungen, die Apple an den Vertrieb aller eBooks in seinem iBookstore knüpft. Demnach dürfen eBooks, die mit der Apple-Software “iBooks Author” produziert wurden, ausschließlich nur in Apples iBookstore verkauft werden. Der kalifornische Konzern behält sich zudem die Entscheidung darüber vor, welche Bücher im iBookstore überhaupt erscheinen dürfen und welche nicht. 

 

Von Bloggern über das Time-Magazine bis zum Wallstreet Journal haben Apples eigenmächtige Lizenzbedingungen bereits einen Sturm der Empörung ausgelöst. Apples Vorgehen sei “ein Schlag ins Gesicht jedes Autors”, schreibt etwa der bekannte Tech-Blogger Sascha Pallenberg: Apple tue “nichts für den Bildungsmarkt, sondern nur etwas für das eigene Konto” und verfolge nur ein Ziel: “totale Kontrolle”, so Pallenberg. Über Apples kommerzielles Kalkül verlor Marketing-Vize-Chef Phil Schiller allerdings kein Wort, als er die Schulbuch-Strategie Ende letzter Woche vorstellte. Dabei hatte schon Apple-Gründer Steve Jobs den Angriff auf die Schulbuch-Branche unverblümt angekündigt: Die 10 Milliarden Dollar Industrie “sei reif für die digitale Zerstörung”, erklärte Jobs kurz vor seinem Tod. 

 

Schon jetzt warnen Fachleute davor, sich beim “Schulbuch der Zukunft” auf einen einzigen Konzern zu verlassen. In Deutschland kritisiert die “Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft” die Apple-Initative als einen “Werbefeldzug zum Verkauf von iPads” und fürchtet einen “weiteren Kommerzialisierungsschub im Bildungsbereich”. Wenn Apple wirklich an Bildung interessiert wäre, würde der Konzern seine Kompetenz in ein offenes Format für elektronische Schulbücher investieren, heißt es. Sollte es Apple gelingen, mit seiner geschlossenen Plattform einen Standard für digitale Lehrbücher zu setzen, könnte das Unternehmen Konkurrenten aus dem Schulbuchmarkt fernhalten. So ein Schritt dürfte sich vor allem gegen den online-Buchhändler Amazon richten, der bei der Vermarktung digitaler Bücher Marktführer ist.

 

Der Schulbuch-Forscher Volkhard Nordmeier von der Freien Universität Berlin sieht den Vorstoß von Apple kritisch. Für ihn greift Apples Idee zu kurz, das “Schulbuch der Zukunft” einfach nur durch Multimedia-Elemente anzureichern. “Nur dadurch dass es irgendwie bunt ist und sich bewegt, geht das Lernen nicht anders oder leichter”, sagt Nordmeier. “Das Schulbuch der Zukunft ist individuell. Es nimmt Rücksicht auf die Voraussetzungen, das Vorwissen und das Lernverhalten jedes einzelnen Schülers.”

 

Nordmeier und sein Team forschen seit 15 Jahren an neuen Formen des Lernens. Ihr didaktisches Konzept setzt auf “Learning by doing”. “Wir sind davon überzeugt, dass man Wissen nicht mitteilen kann. Alles, was Schüler in einem Buch lesen, müssen sie aktiv verarbeiten, um ihr individuelles Wissen zu gewinnen”, sagt Jürgen Kirstein, der in der Arbeitsgruppe für die “Didaktik der Physik” an der FU Berlin forscht. Heutige Schulbücher würden diesem Anspruch bei Weitem nicht gerecht. “Man hat festgestellt, dass Schulbücher nicht so verwendet werden, wie sich die Schulbuchverlage das vorstellen. Schulbücher werden heute eher von Lehrern zur Unterrichtsvorbereitung und als Ideenquelle genutzt. Aber im Unterricht selber wird das Buch meistens nicht genutzt”, sagt Kirstein.

 

Ein Ziel der von Volkhard Nordmeier geleiteten Gruppe ist es, die Lerninhalte in eine reichhaltige Lernumgebung einzubinden. Um den besten Lernerfolg zu erreichen, verlassen sich die Berliner Forscher deshalb nicht nur auf ein gedrucktes oder elektronisches Buch. Sie integrieren es in eine anregende Lernumgebung, die es den Schülern erlaubt, virtuelle Experimente selber zu starten und zu steuern. Dazu haben die Forscher einen intelligenten Schreibtisch entwickelt, bei dem alte und neue Medien zu  einem raumgreifenden Konzept verschmelzen. “Wenn ein Schüler sein Lehrbuch auf den Tisch legt, erkennt ein Kamerasystem nicht nur das Buch, sondern auch die aufgeschlagenen Seite”, sagt Kirstein. Passend zum Seiteninhalt beamt ein Projektor einen fotorealistischen Experimentaufbau auf die Schreibtischfläche.  “Das Besondere dieser Darstellung ist, dass man die fotografierten Objekte bedienen kann”, sagt Kirstein. Regler lassen sich drehen, Flüssigkeiten mischen, Werte messen – so wie im richtigen Labor. “Zentral ist dabei, dass das Buch in eine größere Umgebung eingebunden wird”.

 

So wird das Lehrbuch der Zukunft zum Portfolio, das selbst konstruiertes Wissen speichert. Es wird zum Assistenten, der dem Schüler dabei hilft, sich Wissen eigenständig zu erarbeiten. Das sich solche komplexen Lernprozesse mit Apples kommerzieller, leicht durchschaubaren Monopol-Strategie erreichen lassen, darf bezweifelt werden.

 

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