Twitter ist schon eine tolle Sache. In 140 Zeichen können Privatpersonen und Organisationen ihre Kurznachrichten in die Welt hinaus zwitschern. Manchmal verbreitet sich eine dieser Meldungen dann über Retweets, man reagiert aufeinander, indem man antwortet oder favorisiert und kann Beiträge nach so genannten Hashtags ordnen, Schlagwörtern mit einem # davor.  Für Nutzerinnen und Nutzer funktioniert der Microblogging-Dienst als hilfreiches Informationsinstrument: Selbstbestimmt können Userinnen und User bestimmten Personen, Unternehmen, Institutionen folgen und sich auf diese Weise ihre persönliche Nachrichtenliste zusammenstellen.

 

Twitter-Neulinge müssen sich an Begrifflichkeiten wie Follower, Retweet und Hashtag wohl erst gewöhnen, hat man es aber einmal verstanden, ist Twitter ein hilfreiches Informationswerkzeug. Doch kann ein derartiger Dienst auch in bestimmten Schulkontexten helfen? Wir testen es auf Konferenzen. Ein Selbstversuch.

 

Mitschrift ade – Twitter sei Dank!

 

Organisiert man eine Veranstaltung zum Thema „Blogs, Bytes, Boards und Bildung“, braucht man natürlich einen Twitteraccount einschließlich  Twitterwall. Die netzaffine LehrerInnencommunity ist schließlich ganz nah dran am Zeitgeist. Man twittert in Echtzeit mit und im Anschluss an Veranstaltungen wird eifrig diskutiert und gestritten – in Blogs und auf Websites, die das Geschehene auf- und nachbereiten. Das ist vor allem für diejenigen vorteilhaft, die an der Veranstaltung nur online teilnehmen können. Geografische Distanz verliert an Gewicht im Zeitalter von Twitter, Blogs und Co. und so können Interessierte auch dann am Diskurs teilnehmen, wenn sie nicht körperlich anwesend sind.

 

Twitter sammelt wichtige Stichpunkte für alle ersichtlich und ohne großartigen Mehraufwand. Zudem hilft es bei der Demokratisierung im Netz, Meinungsäußerung wird dort frei und direkt möglich und kommt häufig auch bei einem breiten Publikum an.  Thesen können kollaborativ verfasst, verbessert, verändert, verbreitet und auch wieder verworfen werden. Wir sind uns einig: Auch das ist gut.

 

Was passiert nun aber, wenn im Zuge einer solchen Veranstaltung nicht nur Thesen und konstruktive Kritik, sondern auch ein großer Teil Unsinn gepostet wird, der mit dem Thema an sich nur im allerweitesten Sinne zu tun hat? Twitter soll Spaß machen – das ist klar, aber was wird, wenn diejenigen, die vielleicht gar nicht Teil der Community sind via Twitter nicht nur (konstruktiv)kritisiert, sondern ausgelacht werden? Wo hört Demokratie auf, wo fängt Unsinn an und wo beginnt es unfair zu werden? Ist es noch konstruktiv, wenn der- oder diejenige, die via Twitter kritisiert wird, gar nichts davon mitbekommt, weil er oder sie nicht Teil der Community ist?

 

#SpeedLab1 – erste Annäherungsversuche

 

Im Zuge des #SpeedLab1 richtet die Werkstatt einen Twitter-Account ein. Dieser soll vor allem dazu dienen, während der Veranstaltungen einschlägige Thesen mitzuschreiben und diese in Echtzeit an die Twitterwall zu projizieren. Falls man im Publikum zwischendurch mal abschalten sollte, kann so der Faden schnell wieder aufgenommen werden, die Timeline soll zusätzlich eine Gedankenstütze bilden, dabei helfen, Nachberichte einfacher zu verfassen und überhaupt – Twitter schien für Veranstaltungen wie die der Werkstatt eine einzige Bereicherung zu sein.

 

Und so startete die Werkstatt mit einigen wenigen Followern ins erste SpeedLab. Thema: ,Migration und Geschichtsvermittlung‘. Spannende Gäste, interessante Diskussionen, tolle Unterhaltungen. Und eine einzige Person, die im Publikum sitzend immer wieder auf ihr Smartphone schaut. Bildungsbloggerin Melanie Unbekannt wirft immer wieder einzelne Thesen an die Wall, retweetet Tweets der Werkstatt, die Werkstatt ihre. Die Zusammenarbeit läuft rund, die etwa 100 Tweets des Tages helfen der Redaktion bei der Nachbereitung und auch allgemein scheint Twitter ein ganz hilfreiches Werkzeug für das neu geborene Projekt zu sein. Die Zahl der Followerinnen und Follower steigt stetig an und die Redaktion erhält Einblicke in die Welt der vernetzten Lehrerschaft.

 

#SpeedLab2 – Die Community & Twitterwall

 

All das hilft nicht nur bei der Nachbereitung des ersten, sondern auch bei der Vorbereitung des zweiten SpeedLabs. Thema diesmal: ,Digitale Bildung‘. Recht schnell ergibt sich ein Überblick derjenigen Expertinnen und Lehrer, die sich aktiv mit dem Thema beschäftigen – natürlich auch im digitalen Raum. Sie bloggen, twittern, followen, retweeten und hashtaggen. Für Außenstehende ergibt sich dabei häufig ein übersichtlicher Rückblick auf Veranstaltungen, Lesungen oder auch den ganz normalen Schulalltag in einer digitalisierten Welt, in der die Schule irgendwo stecken geblieben ist.

 

Die Community ist vernetzt, man empfiehlt sich gegenseitig, gibt zahlreiche Hinweise auf andere Blogs und Links, die die Organisation des SpeedLabs ein ganzes Stück vorantreiben. Kurz vor der Veranstaltung wird selbige als #SpeedLab2 angekündigt, Referentinnen und Referenten heizen einander kurz vor Start noch einmal ein, geben letzte Tipps, meckern über‘s schwache Netz im Hotel und dann geht es los, das #SpeedLab2.  

 

Eine Twitterwall ist bei derartigen Veranstaltungen eine gute Sache. Man kann mitlesen, via Smartphone nachfragen, sich von extern beteiligen, Kritik üben, loben oder Missfallen ausdrücken. All das geschieht im Netz und wird für diejenigen, die nicht Teil der Community sind, in Echtzeit auf die Twitterwall übertragen.  Soweit die Theorie!

 

Kritisieren ohne die Kritisierten daran teilhaben zu lassen

 

Was aber passiert nun, wenn man zu einem Event mit dem zukunftsweisenden Titel ,Blogs, Bytes, Boards und Bildung‘ jemanden einlädt, der sich nicht am Online-Diskurs nicht beteiligt, sondern mit seinem E-Book-Reader hinstellt und den vorher sorgfältig ausformulierten Vortrag einfach abliest? Er ist dabei höchstanspruchsvoll, verknüpft und verbindet Theorien und Geschichte mit Witz und Verstand, liest aber nicht, was auf der Wall erscheint. Da kommt die Twitter-Gemeinde so schnell nicht mit. Bei Zuhören, Schreiben und gleichzeitig auch noch Aufregen hat Multitasking scheinbar auch in der durchdigitalisierten Bildungswelt ein Ende.

 

,Wie kann der nur?‘ fragt die Netzgemeinde. All die Kritik erscheint auf der Twitterwall während betreffender Referent seinen Vortrag hält statt mit den Augen an der Wand zu hängen. Die Community scheint sich zu langweilen und beklagt sich via Smartphone über die frontale Vortragsweise des Redners. Statt Schneider heißt der mittlerweile Müller.

 

Ähnlich ergeht es der zweiten Vortragenden, die in ihrer Keynote eine ganz klare Position zum Thema ,social games‘ vertritt. Kritisiert wird in diesem Fall ihre klare Position dem Spielen gegenüber. ,Da ist doch was im Busch. Die rührt die Werbetrommel für die Hochschule, an der sie lehrt‘ denkt man sich. Und statt Linda Breitlauch heißt die Professorin plötzlich Lindlauch, später Flachbauch.

 

…und in der Schule?

 

Sieht man sich derartige, wahrscheinlich unüberlegt gepostete Beiträge an, gerät man ins Grübeln über den Umgang mit den Freiheiten, die das Netz uns mit Twitter und Co. ebnet. Selbst hochversierte, gebildete Menschen wie die Anwesenden scheinen im Rudel nicht wirklich damit umgehen zu können und ab und zu einfach zu vergessen, dass es doch echte, in diesem Fall sogar real anwesende Menschen sind, über die man sich da ganz öffentlich unterhält. Wie soll das in einer achten Klasse funktionieren?

 
Dass jede und jeder sich am Online-Diskurs beteiligen kann, ist toll. Es gibt mehr als tausend gute Gründe Twitter auch in der Schule vermehrt zu nutzen. Viele Anwesende sind auf beiden SpeedLabs fest davon überzeugt, dass die Verlängerung von Unterrichtsinhalten ins Netz auch ruhigeren Schülerinnen und Schülern dabei helfen könnte, sich mehr einzubringen. Wie die vergangenen Veranstaltungen zeigen, hat die große, hilfreiche social media-Welt aber auch ihre Schattenseiten. Sobald eine ganze Gruppe beginnt, einzelne Anwesende, die vielleicht gar nichts von dem ganzen Spuk mitbekommen haben, im Netz zu veralbern, da stößt wohl auch der letzte freiheitsliebende, twitter-euphorische Netzversteher an seine moralische Grenze. Oder?

 

 Bild: Flickr/Topgold