“Schüler dort abholen, wo sie stehen.” Der pädagogische Leitsatz ist nicht neu, aber wie oft noch muss er wiederholt werden, dass er sich in der Praxis niederschlägt? Und gibt es eine universelle Methode, die auf alle Jugendlichen gleichermaßen zutrifft? Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sehen sich vielen Hindernissen konfrontiert, die Lehrerinnen und Lehrer aufgrund fehlender Kompetenzen und Kapazitäten oft nur schwer beheben können. Im Lernlab “Teacher 2.0” diskutierten Lehrerinnen, Praktiker, Wissenschaftlerinnen und Bildungsaktivisten die Schwierigkeiten, Ursachen und Verbesserungsmöglichkeiten für effektiven und schülernahen Unterricht.

 

Die Input-Reden für das Lernlab “Teacher 2.0”, die die Lehrenden in ihrer Rolle und in ihren Möglichkeiten angesichts der wachsenden Bedeutsamkeit des Themas “Migration in der Schule” in den Blick nahmen, hielten Mengü Özhan, Landeskoordinatorin des Berliner Netzwerks für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund, und Herbert Weber, Projektleiter des Förderunterrichts Sprint. Die Referenten betrachteten in ihren Kurzvorträgen das Thema Unterricht und Migration aus verschiedenen Blickrichtungen und ermöglichten somit eine multiperspektivische Diskussionsgrundlage.

 

Während Mengü Özhan das Berliner Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund präsentierte, das den Fokus auf Lehrende sowie angehende Lehrkräfte legt und eine Stärkung der Lehrerschaft mit Migrationshintergrund fördern will, konzentriert sich das von Herbert Weber vorgestellte Projekt Förderunterricht Sprint auf den produktiven Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und problemorientierte Hilfestellungen außerhalb des Klassenverbands. Mit ihren Inputvorträgen machte das Referententeam deutlich, dass Migration ein Thema darstellt, das Schule im Ganzen betrifft und das bislang zu wenig konstruktive Beachtung erhalten hat. 

 

Die Bedürfnisse

 

Das Projekt Förderunterricht Sprint ist ein Nachhilfeprojekt, das sich speziell den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund annimmt. Es unterstützt einerseits Lehrende, indem diese praktische Erfahrungen im Unterrichten von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sammeln, neue Methoden erfahren und entwickeln können, sowie Lernende, die im normalen Schulalltag auf Grund von Sprachbarrieren Schwierigkeiten haben, dem Unterricht zu folgen.

 

Herbert Weber betonte, dass vor allem die Sprache das zentrale Hindernis für Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund darstellt, wobei weniger die alltägliche Sprachkompetenz, sondern vielmehr das Verständnis der spezifischen Fachsprache in den verschiedenen Unterrichtsfächern (Geschichte, Mathematik, etc.) und den entsprechenden Materialien defizitär ist. Doppeldeutige Wörter und Wortkombinationen wie beispielsweise “Bauern, die ihren Lebensunterhalt bestreiten” oder komplizierte Satzkonstruktionen erschweren häufig das Lernen der Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, dies machte Herbert Weber anhand mehrerer Beispiele aus Schulbüchern und anderen Unterrichtsmaterialien deutlich. Seiner Erfahrung nach bestehe das mangelnde Verstehen meist nicht auf fachlicher, sondern auf rein sprachlicher Ebene, dies werde aber häufig übersehen. Er plädierte daher für ein methodisches Unterrichten, das näher an den sprachlichen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund liegt, damit sprachliche Defizite nicht länger als Ursache für fachliche Verständnisprobleme bestehen bleiben. 

 

Neue Lösungsansätze

 

Das von Mengü Özhan vorgestellte Berliner Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund bietet hier einen Lösungsansatz. Das Netzwerk-Projekt, das, wie Mengü Özhan betonte, den Titel “Vielfalt bildet Berlin” trägt, möchte Lehrkräfte, Studentinnen und Studenten sowie Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund mit angehender Lehrerschaft miteinander vernetzen und fördern. Sie machte darauf aufmerksam, dass es noch immer zu wenige Lehrkräfte mit Migrationshintergrund gibt, dabei sei gerade auch die kulturelle Heterogenität in der Lehrerschaft angesichts der multikulturellen Schulklassen von besonderer Wichtigkeit. Es habe sich gezeigt, dass  Lehrende mit Migrationshintergrund zu Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund eher Zugang fänden als deutsche Lehrkräfte.

 

Das von Herbert Weber angesprochene Problem der Sprache äußere sich zusätzlich noch darin, dass deutschen Lehrerinnen und Lehrern oftmals die Kompliziertheit der deutschen Sprache nicht auffiele. Lehrende mit eigenem Migrationshintergrund fiele die Einschätzung, ob Verständnisprobleme seitens der Schülerinnen und Schüler sprachlicher oder fachlicher Natur sind, leichter. Hinzu kommt ein weiterer positiver Effekt, der sich verbindend auf die verschiedenen Kulturen auswirkt. “Lehrkräfte mit Migrationshintergrund stehen sozusagen mitten in den Familien”, erklärte Mengü Özhan, womit die oftmals bestehenden kulturellen Schranken, die zwischen deutschen Lehrerinnen und Lehrern und den ausländischen Familien der Schülerinnen und Schülern bestünden, aufgebrochen würden. Die gegenseitige Akzeptanz und Verständnisbereitschaft zwischen Eltern und Lehrern mit Migrationshintergrund seien größer.

 

Förderung universeller denken!

 

Die LernLab-Teilnehmer und Teilnehmerinnen bestätigten die angesprochenen Schwierigkeiten im Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und berichteten von ihren eigenen Erfahrungen und Einschätzungen. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die Diskrepanz zwischen den Niveaustandards vieler Unterrichtsmethoden und -materialien und den Kompetenzen der Lernenden auch unabhängig davon bestehen, ob es sich um Schülerinnen und Schüler mit oder ohne Migrationshintergrund handelt. Es bestehe das generelle Problem, dass Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien zu wenig gefördert würden. Viele Unterrichtsmaterialien, insbesondere die für Gymnasien, verstärkten die Selektion derer, die ohnehin schon Schwierigkeiten bei der Kommunikation innerhalb ihres sozialen Umfelds hätten (u.a. durch die Sprache). Dadurch blieben viele durchaus intelligente Schülerinnen und Schüler auf der Strecke.

 

Immer wieder wurde der Wunsch geäußert, das Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund auch für Lehrkräfte ohne Migrationshintergrund zu öffnen, da eine Weitergabe von Kompetenzen und Informationen als besonders fruchtbar eingeschätzt wurde. Weiterhin plädierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lernlabs 2.0 für eine bessere Ausbildung von Lehrkräften mit dem Fokus auf neue Methoden im Unterrichten, insbesondere mit den Fokus auf thematische Modifikationen, die der Lebenswelt und der Herkunftsgeschichte der einzelnen Schülerinnen und Schüler mehr entsprächen, sowie eine Öffnung der Institution Schule nach außen. Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen sowie die Einbeziehung von außerschulischen Supportern in den Unterricht wurden als eine zentrale Forderung formuliert.