Wie können Perspektiven dauerhaft verändert werden? Welche Möglichkeiten gibt es, starre Denkstrukturen zu lockern, Horizonte zu erweitern und Schubladen – im Hinblick auf Geschichte und soziale Milieus – zu schließen? Welchen Stellenwert nehmen soziale Beziehungen außerhalb des eigenen sozialen Umfelds für den Lern- und Entwicklungsprozess ein und wie können Kinder und Jugendliche ermutigt werden, sich für Dinge zu interessieren, die sie unmittelbar betreffen? Auf welche Weise ist es möglich, die Fähigkeiten junger Menschen aus vermeintlich bildungsfernem Hintergrund (an) zu erkennen und zu fördern? Welche Rolle spielen neue Medien in diesem Zusammenhang? Und vor allem: Wie funktioniert all das in der Praxis? Im LernLab 5 ging es Idil Efe von den Neuköllner Talenten und Götz Nordbruch von ufuq.de vor allem um das Überschreiten bestehender Grenzen – sei es medial (ufuq.de) oder im realen Leben (Neuköllner Talente).

 

Bildung passiert nicht nur in, sondern vor allem auch außerhalb der Schule. Um aber überhaupt zu erkennen, dass man Bildung an vielerlei Orten jenseits des Klassenraums aufschnappen kann, dass Lernen Spaß macht, nicht immer frontal und kostspielig sein muss, fehlt den meisten Jugendlichen der Zugang. Was außerhalb ihres sozialen und damit auch meist geografischen Milieus stattfindet, bleibt ihnen oft verborgen. Wie man dies in der Realität ändern kann, diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer des LernLabs 5.

 

Innere Grenzen medial überschreiten

 

Dazu berichtet Idil Efe von ihren Erfahrungen im Projekt ,Neuköllner Talente‘: Ein besonders großes Problem im Umgang mit Kindern und Jugendlichen aus Familien mit so genanntem Migrationshintergrund sei die Entwertung der eigenen Biografie und des eigenen Selbstwertgefühls unter anderem durch die Vermittlung von (nationaler) Geschichte. Wichtig, um dieser Abwertung entgegenzuwirken, sei vor allem die Bereitschaft, anderes zuzulassen, anzuerkennen und als Chance zu verstehen. Perspektivenwechsel sollten nicht als Rückschritt, sondern als Erfolg gesehen werden, Durchmischung sollte gefördert werden statt vehement unterdrückt. Dies sei auch außerhalb der Schule ein entscheidender Schritt. Um zu verdeutlichen, wie eine solche Grenzüberschreitung umgesetzt werden kann, stellt Götz Nordbruch mit cube-mag.de und mitmischen.de Websites vor, auf denen Jugendliche die Möglichkeit haben, Themen anzusprechen, die sie betreffen und ihre eigene Meinung zu äußern. So können sie innere Grenzen zumindest medial überschreiten.

 

Ohne Umdenken bewirken auch neueste Medien nichts

 

Gleichzeitig betonen sowohl die Referentin als auch der Referent, dass neue Medien sinnlos seien, sofern nicht ein Perspektivenwechsel erfolge. Dieser sei besonders in deutschen Schulen notwendig, da auch die Einbindung neuester Technik nicht weiterhelfe, wenn weiterhin alte Inhalte vermittelt würden. Besonders gehe es dabei um die Vermittlung von Geschichte. Die Globalisierung nationaler Geschichte und Perspektiven jenseits nationaler Grenzen sei schon lange an der Zeit. Diese Barrieren könne man nur teilweise medial überschreiten, vor allem sei aber ein Umdenken nötig. Ungeklärt bleibt dabei die Frage, wie man ein solches Umdenken in der Praxis erreichen kann.

 

Aus den SpeeLabs – Lebenswelten from kooperative-berlin on Vimeo.

Neuköllner Kosmopoliten – bei Mehrsprachigkeit auf Förderung setzen

 

Einen weiteren wichtigen Diskussionspunkt bildet im LernLab Lebenswelten das Thema Mehrsprachigkeit. Das Unterdrücken der Muttersprache an der Schule trage häufig dazu bei, dass Schülerinnen und Schüler sich selbst und ihre Sprache als minderwertig ansehen. Dabei solle die Mehrsprachigkeit zahlreicher Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen familiären Hintergründen als Chance genutzt werden. Kosmopoliten seien ,in‘, warum nicht auch an Schulen mit hohem Migrantenanteil?

 

Lernen mithilfe persönlicher Beziehungen

 

Bei der Entwertung eigener Fähigkeiten sei allerdings nicht der Migrationshintergrund das maßgebende Problem, sondern ein allgemeiner sozialer und finanzieller Missstand. Um das Selbstbewusstsein junger Menschen zu stärken und ihnen mehr Spaß an Kultur und Bildung zu vermitteln, sei es besonders wichtig, persönliche Beziehungen aufzubauen und zu erhalten. Von Lernerfolgen, vermittelt durch die Kraft sozialer Bindungen außerhalb des eigenen Milieus, ist Idil Efe überzeugt: Das Lernen über Beziehungen werde unterschätzt. Vor allem um aus dem eigenen sozialen Milieu herauszukommen, sei es wichtig, soziale Bindungen herzustellen und zu festigen. Wichtig sei es dabei, einen motivierenden, fördernden Ansatz zu wählen, um Kindern und Jugendlichen ein gutes Gefühl zu geben und ihnen Zweifel und Ängste in Bezug auf ihr Selbstbewusstsein, ihre Fähigkeiten und Talente zu nehmen. Andernfalls werde schnell vorurteilsbelastetes, ausschließendes Denken provoziert und Minderwertigkeitskomplexe verfestigt.

 

Selbstkontrolle

 

Efe betont darüber hinaus den Aspekt der Selbstkontrolle. Vor allem in Bezug auf (unbewussten) Rassismus und Sexismus sei Selbstkontrolle innerhalb der Lehrerschaft wichtig. Weiterbildungen gebe es in diesem Bereich bisher nur an Universitäten, Probleme mit Sexismus und Rassismus würden in Schulen jedoch häufig übersehen, Selbstkontrolle (durch Aufklärung) sei hier besonders wichtig, um Schülerinnen und Schüler zu stärken.

 

Vortrag von Götz Nordbruch: Jenseits von Nationalgeschichte(n)!