Die erste Aktion außerhalb der Homebase werkstatt.bpb.de: das SpeedLab „Migration & Geschichtsvermittlung“ am 10. November in Berlin. Feldforschung unter dem Thema digitale Bildung im multikulturellen Klassenzimmer: Expertinnen und Experten, Akteurinnen und Akteure sowie Lehrende erzählten aus ihrem Erfahrungsrepertoire, diskutieren Herausforderungen und Chancen einer multikulturellen Gesellschaft im Zeitalter der Digitalisierung und versuchen die Komplexität einer heterogenen Gesellschaft im Schulalltag auf einige Thesen und neue Ideen zu reduzieren.

 

Zuhören, fragen, diskutieren, zum nächsten Tisch wandern. Wieder zuhören und fragen und diskutieren. Das Herz des SpeedLabs am vergangenen Donnerstag, 10. September 2011, in Berlin bilden seine Lernlabs – eine Art weiterbildendes Speed-Dating, bei dem es  nicht um die Generierung neuer Bekanntschaften, Lieben oder Leidenschaften geht, sondern um einen intensiven, direkten und kompakten Austausch von Wissen, Fragen und Anregungen, die es zu diskutieren gilt.

 

Zur geistigen Stimulation der Teilnehmenden gibt es zuvor zwei Input-Vorträge: Rainer Ohliger, Netzwerk Migration in Europa e.V., erklärt in seinem Vortrag die Nationalgeschichte für tot, fordert ein notwendiges, nicht an Ländergrenzen stoßendes Verständnis von Geschichte und Geschichtsvermittlung und verweist dabei auf eine heterogene und von Multikulturalität geprägte Nationalgesellschaft. Zudem sollte nicht nur die Brille der rein nationalen Geschichtsbetrachtung abgelegt werden, sondern auch der Glaube, dass es nur die eine Betrachtungsweise eines historischen Ereignis gäbe: Denn wie auf Geschichte geblickt wird, bestimmen die dazu erzählten Geschichten der Familien. – eine Prägung, die der Geschichtsvermittlung vorausgeht.

 

Nach Ohliger spricht Kübra Gümüsay, ein Fremdwörterbuch, über eine zu starke nationale und (west-)europäische Orientierung des Geschichtsunterrichts an deutschen Schulen – teilweise aus eigener Erfahrung. Sie fordert, die Geschichtsvermittlung internationaler auszurichten. Einzelne Lernende sollten nicht das Gefühl des Ausschlusses vermittelt bekommen, sondern gestärkt werden – auch im Politik- und Geschichtsunterricht. Sie sollten nicht abseits bedeutsamer geschichtlicher Ereignisse gestellt werden, was durch die momentane Ausrichtung der schulischen Geschichtsvermittlung passiere.

 

Mit Ohligers und Gümüsays Vorworten starten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Lernlabs – fünf parallele Mikroworkshops, jeweils unter einem bestimmten Themenkomplex stehend. Neben einer kleinen Gruppe von Teilnehmerinnen und Teilnehmern beteiligen sich an jedem Lernlab auch ein oder mehrere Expertinnen und Experten. Im Vordergrund steht der direkte Austausch zwischen den Teilnehmenden und das gemeinsame Finden von Thesen und Ideen, die neue Sichtweisen auf den Schulalltag eröffnen. 25 Minuten dauert jedes Lernlab, bevor die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Standort und damit Thema sowie Expertinnen und Experten wechseln. Neue Diskussionen entstehen, neue Fragen werden aufgeworfen: „Welche Rolle spielen digitale Medien bei politischer Teilhabe?“, „Welche Bedeutung hat Nationalität?, „Bieten schnelle digitale Formate überhaupt genügend Inhalte?“, „Wird das gute alte Geschichtsbuch bald aussterben?“ „Können sich Lehrende und Lernende überhaupt noch verständigen?“, „Wie können Brücken zwischen Schülerschaft und Lehrenden gebaut werden?“.

 

In der anschließenden Podiumsdiskussion debattiern Jörg von Bilavsky, Gedächtnis der Nation, Sanem Kleff, Schule ohne Rassismus, Ludger Pieper, Abteilungsleiter Grundsatzangelegenheiten der Schularten des Berliner Senats, und Murat Topal, Comedian und ehemaliger Kreuzberger Polizist. Diskussionen, die in den einzelnen Lernlabs auf einen bestimmten Themenkomplex reduziert und somit detaillierter diskutiert werden können, kommen hier in einem generellen und gesamtgesellschaftlichen Kontext noch einmal zur Sprache. So meint Sanem Kleff, es dürfe nicht geleugnet werden, dass es an Schulen soziale Probleme gäbe. Diese hätten aber nicht zwingend etwas mit Migration zu tun. Zugleich gäbe es ein großes Potential neuer Medien, das genutzt werden sollte, jedoch nicht ohne daran zu denken, dass auch sie lediglich Instrumente seien, um Inhalte zu vermitteln, aber kein Allheilmittel. Hier stimmt Jörg von Bilavsky zu und hofft in Zukunft über den YouTube-Kanal des Teilprojekts UnsereGeschichte Schülerinnen und Schüler mehr für Teilhabe begeistern zu können, ebenso wie die Medienkompetenz junger Menschen durch das Führen eigener Interviews zu verbessern. Auch individuelle Migrationsgeschichten würden bei Gedächtnis der Nation erzählt, wodurch bei diesem Projekt ebenfalls der Aspekt einer multikulturellen Nation aufgegriffen werde.

 

Trotz Heterogenität, die den Lebensalltag von Lernenden und ihre Auffassung von Geschichte beeinflussen, ist sich Pieper sicher: „Schüler interessieren sich für Geschichte, denn es berührt die Frage: Woher komme ich?“ Murat Topal meint jungen Migrantinnen und Migranten fehle es hauptsächlich an starken Leitfiguren, an denen sie sich orientieren könnten. Sie müssten mehr in ihrer Individualität und Persönlichkeit gestärkt werden, um an sich zu glauben und ihr Leben selbst in die Hand nehmen zu können. In diesem Punkt, der zu einer starken Forderung des Tages im Pfefferberg wird, sind sich die Diskutanten nach Debatten über fehlendes und ausreichendes Geld an Schulen, über Personalmangel und das Kreieren von Master-Narrationen einig. Außerdem gilt es weiterhin offene Fragen zu diskutieren und auf neuen Wegen nach Antworten zu suchen: Wie kann Geschichte so vermittelt werden, dass sie in den Lebensalltag der Lernenden eindringt? Wie kann das große Potential neuer Medien inhaltlich genutzt werden und wie können die Lehrkräfte angemessen auf den Umgang mit Ihnen vorbereitet werden? Wie können kleine Bildungsprojekte, die direkt mit Lernenden arbeiten, finanziell zwischen Projektriesen überleben? Und wie können Sozialpädagogen und Schulpsychologen Lehrerinnen und Lehrer an multikulturellen Schulen in ihrer Arbeit unterstützen?

 

 

Im SpeedLab 2 „Bytes, Blogs, Boards und Bildung“ am 1. Dezember in Köln geht die Feldforschung der Werkstatt unter aktiver Teilhabe von Expertinnen, Experten und Interessierten weiter. Wie sieht der Schulunterricht der Zukunft aus?