Die sieben Thesen für eine Reform der Lehreraus- und -fortbildung des Berliner Lehrers Robert Rauh 

Nach seinen Aufruf zur Schulreform nimmt sich Robert Rauh, Gewinner des Deutschen Lehrerpreises 2013 und Fachseminarleiter, nun der Lehrerausbildung an. Seine Mission: Er möchte die Qualität des Unterrichts in deutschen Klassenzimmern verbessern sowie die Professionalität und Persönlichkeit der Lehrenden stärken. Seine Ideen beinhalten konkrete Vorschläge zur Verbesserung jeder Phase der Lehrerausbildung: Universität, Referendariat und Weiterbildung. Die in Schleswig-Holstein examinierte Gymnasiallehrerin Regina Schulz – und ehemalige Lehramtsstudentin der Universität zu Köln – schildert im folgenden Auftaktartikel zum Werkstatt-Schwerpunktthema “Lehreraus- und -fortbildung” die Forderungen des Berliner Lehrers und bezieht Stellung.

 

Seitdem Robert Rauh im November 2013 den Deutschen Lehrerpreis gewonnen hat, nutzt er die Öffentlichkeit, um bildungspolitische Debatten anzustoßen. Auf seiner Webseite schul-gerecht.de plädiert er unter den Slogans “Weniger Inhalte, mehr Kompetenzen” und “Gleiche Bildungschancen für alle” für eine Schulreform und ruft zur Unterstützung auf. Seit Anfang Januar 2014 hat er außerdem sieben Thesen zur Verbesserung der Lehrerausbildung veröffentlicht. 

 

“Der Lehramtsstudent sollte so früh wie möglich unterrichten!”

Der universitären Lehrerausbildung mangele es vor allem an Praxisbezug, so Rauh. Der Berliner Lehrer prangert zu kurze Orientierungspraktika und realitätsferne Ausbildungsinhalte an. Studierende bräuchten stattdessen praxisorientierte Blockseminare, die den Schulalltag widerspiegelten, und Herausforderungen, wie Unterrichtsstörungen, Inklusion oder die Gestaltung eines Elternabends thematisierten.

 

Der mangelnde Praxisbezug der universitären Lehrerausbildung ist nicht neu! Die Universität muss Lehramtsstudierende darauf vorbereiten, Schule mitzugestalten zu können. Einige universitäre Lehramtsseminare lehren jedoch ausschließlich abstrakte, historische Konzepte, die für den schulischen Alltag wenig hilfreich sind. Andere Seminare behandeln jedoch ‘medienpädagogische Professionalität’ oder fördern Kooperationen zwischen Universitäten und Schulen, wie das „School is open“-Projekt an der Universität zu Köln. An jeder Universität gibt es Hochschuldozent_innen, Querdenker_innen, Praktiker_innen, die Seminare mit einem „hands-on approach“ angehen, die Planspiele und peer-to-peer Evaluationen durchführen, Kooperationen anstreben und Projekte anstoßen. Es gilt, diese engagierten Hochschuldozent_innen zu unterstützen und sich in ihren Veranstaltungen zu engagieren. Auch Lehramtsstudierende müssen Innovationen offen gegenübertreten, und selbst anstoßen. Das Projekt kreidestaub zeigt dies auf beeindruckende Weise. 

 

Eignungstests für Lehramtsanwärter_innen?

Weiterer Kritikpunkt Rauhs ist die mangelnde Eignung der Lehramtsanwärter_innen. Er fordert deshalb betreute Eignungspraktika an Schulen sowie Tests, die die Sozial- und Kommunikationskompetenzen der Studierenden bestätigen. Diese sollten von externen Kommissionen – Expert_innen aus Schule und Universität – durchgeführt werden. Alternativ sei auch eine Bescheinigung über vorheriges soziales Engagement denkbar. 

 

In Finnland werden Eignungspraktika und -tests schon seit Langem an den Universitäten durchgeführt. Mit Erfolg. Eignungstests/Assessment Center wären auch in Deutschland ein Fortschritt zum Numerus Clausus, der Schlüsselkompetenzen des Lehrerberufs in keiner Weise widerspiegelt. Befürworter_innen von Eignungstests argumentieren, dass diese falsche Vorstellungen und Prioritätensetzungen bezüglich des Lehrerberufs – wie Jobsicherheit und Ferientage – aufdeckten und vornehmlich geeignete Kandidat_innen für das Lehramtsstudium ermittelten. Sollten (freiwillige) Eignungstests wie an der Uni Passau an weiteren deutschen Hochschulen eingeführt werden, sollten einheitliche Bewertungskriterien festgelegt werden. Dabei stellen sich die Fragen: Welche Eigenschaften sollten geeignete Lehreramtskandidat_innen besitzen? Welche sind Voraussetzungen; welche sind erlernbar?

 

Vereinheitlichung der Studienabschlüsse

Eine weitere Forderung Rauhs ist die Vereinheitlichung der Studienabschlüsse unterschiedlicher Bundesländer. Damit solle nicht der Bildungsföderalismus abgeschafft, sondern inhaltliche Komponenten der Studiengänge angeglichen werden. Entscheidend sei die enge Kooperation zwischen Hochschulen und regionalen Lehrerbildungszentren. Trotz Vereinheitlichung postuliert er jedoch: “Keine undifferenzierten Einheitslehrer!” und unterstreicht, dass nur spezifisch ausgebildete Lehrer_innen Schüler_innen in unterschiedlichen Schulformen adäquat unterstützen könnten. In einem zweigliedrigen Schulsystem müssten deshalb Lehramtsstudierende eine Zusatzqualifikation für den Unterricht in der Oberstufe erwerben. 

 

Um der Heterogenität der Lerngruppen im Schulalltag gerecht zu werden, sind Spezialisierungen und Zusatzqualifikationen bei einem einheitlichen Lehreramtsstudium unausweichlich. Eine Zusatzqualifikation für die Oberstufe darf jedoch nicht die fachwissenschaftliche Ausbildung unterwandern. Lehrer_innen müssen fachlich kompetent sein, um eine adäquate Didaktisierung, eine Problematisierung des Unterrichtsinhalts für unterschiedliche Lerngruppen umzusetzen. Es ist genauso wichtig, dass fundamentale didaktische Konzepte wie Handlungs-, Problem- und Projektorientierung für Lehramtsstudierende nicht zu Worthülsen verkommen, sondern diese mit konkreten, beispielhaften Inhalten in den Seminaren gefüllt werden.

 

Das Referendariat: “Die Schule als Mittelpunkt der Ausbildung”

Das Referendariat sei für viele Lehramtsanwärter_innen ein Praxisschock, so Rauh: Eine hohe Arbeitsbelastung, unzureichende Betreuung an den Schulen, die ständige Prüfungssituation und intransparente Bewertungskriterien für Unterrichtsbesuche stellten Überforderungen für die Referendar_innen dar. Er empfiehlt, dass das Referendariat 18 Monate, bzw. 20 Monate mit Zusatzqualifikation für die Oberstufe betragen solle. Der selbstständige Unterricht der Referendar_innen solle durch Fachmentor_innen und gegebenenfalls ehrenamtliche Coachs an Ausbildungsschulen, einem schulpraktischen Seminar (Inhalte: Didaktik, Methodik, Erziehungs- und Schulrechtsfragen) und bundesweit transparenten Bewertungskriterien begleitet werden. Den Abschluss des Referendariats solle eine Prüfung aus unterrichtspraktischen, schulrechtlichen und multimedialen Anteilen bilden. 

 

Eine angemessene Betreuung, Transparenz und eine konstruktive, progressive Kritik sind Pfeiler der Interaktion zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen. Diese müssen auch für das Referendariat gelten. Die Lehrenden im Vorbereitungsdienst des Landes Schleswig-Holstein werden von zwei Fachmentoren an den Ausbildungsschulen und drei Fachseminarleiter_innen des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) betreut. Alle Bewertungskriterien für Unterrichtsbesuche und Abschlussprüfungen sind in den Ausbildungsordnungen nachvollziehbar verfügbar. Ein Versuch, die Kritik der Seminarleiter_innen bei Unterrichtsbesuchen konstruktiver und transparenter zu machen. Jedoch ist diese Kritik unweigerlich persönlich; schließlich präsentieren die Referendar_innen in 45 oder 60 Minuten ihre heranwachsende Lehrer_innenpersönlichkeit. Bewertungskriterien und Kritik müssen den Referendar_innen daher die Möglichkeit geben, Fehler zu machen, diese zu reflektieren und aus ihnen zu lernen. Die Reflexionskompetenz ist Voraussetzung für eine nachhaltige Weiterentwicklung jedes Lernenden.

 

“Die Vorschläge kosten kein Geld, sondern nur Überwindung!”

Rauh prangert das Fehlen ausreichend qualifizierter Fortbildungsangebote und die mangelnde Bereitschaft der Lehrer_innen, sich weiterzubilden, an. Es fehlen organisatorische Rahmen, die eine kontinuierliche berufsbegleitende Weiterbildung, gegenseitiges Hospitieren unter Fachkolleg_innen und externe und interne Evaluationen des eigenen Unterrichts möglich machten. Dies sei nur umsetzbar, wenn eine enge Kooperation zwischen Universitäten, Lehrerbildungszentren und Schulen geschaffen werde. Aufgabe der Lehrerbildungszentren solle einerseits die Koordination der gesamten Lehrerausbildung sein, andererseits die Weiterentwicklung von Schulqualität.

 

Weiterbildung ist eines der wichtigsten Pfeiler der Lehrerbildung. Gerade in einer Gesellschaft, in der Heterogenität und Digitalisierung alltägliche Herausforderungen bilden, ist das Reflektieren und der Erfahrungsaustausch mit Kolleg_innen über ihr eigenes Handeln sowie die nötigen Kompetenzen essentiell. Dazu müssen nicht nur strukturelle Rahmenbedingungen an Schulen geschaffen, sondern auch ein Mentalitätswandel angestoßen und gefördert werden. Es muss eine Feedback-Kultur entstehen, die die Entwicklung innovativen Unterrichts möglich macht. Austausch findet bisher jedoch vornehmlich durch persönliches Engagement statt. Nur wenige Schulen nutzen institutionalisierte Austauschmöglichkeiten wie das „Netzwerk innovativer Schulen“ der Bertelsmann Stiftung. 

 

Gerade die Reform der Lehrerausbildung umfasst komplexe Bereiche, die teilweise an den Grundfestungen der Didaktiken rütteln. Bildungspraktiker_innen und -theoretiker_innen müssen nun gemeinsam weitere konkrete Vorschläge zur Umsetzung formulieren. Best-practice-Beispiele müssen evaluiert, optimiert und verbreitet werden. Beispielsweise müssen erfolgreiche Modelle zur Einführung von Praxissemestern an Universitäten, konkrete Maßnahmen zur Verzahnung der Phasen der Lehrerausbildung oder Anreize zum Austausch unter Lehrenden diskutiert werden. Es müssen Debatten auf Augenhöhe zwischen allen Beteiligten angestrebt werden, in deren Mittelpunkt die Schüler_innen stehen. Wichtig ist, dass auf diese Debatten Taten folgen. Robert Rauhs Forderungen sind der erste Schritt.

 

Foto: flickr.com / Omar A. / CC BY-SA 2.0