Auch auf der diesjährigen Buchmesse 2013 in Frankfurt am Main stellen digitale Formate mit neuen Möglichkeiten der Lehrvermittlung die Rolle des Schulbuchs in Frage. Die schon bekannte Frage lautet wiederum: Was kann das Schulbuch noch leisten und wie sehen die digitalen Alternativmodelle aus? Neben den offenen Bildungsmaterialien (OER) sind neue Lernplattformen, wie sie derzeit von Verlagen entwickelt werden, spannende Modelle für die Zukunft. E-Publishing-Expertin Constanze Behr war vor Ort auf der Buchmesse und traf auf bekannte Argumente zum Thema OER und neue Entwicklungen.

 

Qualitätssicherung mit dem klassischen Schulbuch? 

Traut man den Äußerungen auf der diesjährigen Buchmesse 2013 in Frankfurt am Main, ist das klassische Schulbuch bisher noch immer nicht aus dem Unterricht nicht wegzudenken. Im Rahmen der Podiumsdiskussion “Analog und digital: Welche Zukunft hat das Schulbuch?” konstatiert die Pädagogikprofessorin Eva Matthes daher auch: “Was mir am Schulbuch gefällt, ist, dass es so entschleunigend ist.” Das Schulbuch vermittele das Grundlagenwissen, das für die Schule notwendig sei. Es sei noch immer das Leitmedium und das zu Recht. Das Schulbuch biete durch die Zusammenarbeit der Verlage mit dem Lehrpersonal und in Abstimmung mit den Lehrplänen qualitativ hochwertiges Lehrmaterial. Viel Raum für Überlegungen zu alternativen digitalen Modellen ließ sie nicht. Kann ein solches Denken noch zeitgemäß sein?

 

Die strengen Copyright-Regelungen der Schulbücher erschweren trotz einiger Lockerungen nach wie vor einen unkomplizierten Umgang mit Lehrmaterialien im Netz. Gegenüber dem Schulbuch weisen insbesondere “offene” digitale Unterrichtsmaterialien einige Vorteile auf. Unter den bekannten Copyright-Lizenzen können Inhalte verwendet, neu kombiniert, verändert oder geteilt werden. Obwohl nun schon seit einiger Zeit auch schon von großen Organisationen wie dem Wikimedia Deutschland e.V. diskutiert und in ersten Informationsbroschüren z.B. der Deutschen UNESCO-Kommission e.V. aufbereitet, ist das Thema der Open Educational Resources / OER weiterhin vorwiegend nur in Expertenkreisen bekannt.

 

Offene Bildungsmaterialien

Ein Beispiel für eine OER-Initiative ist das Projekt Schulbuch-O-Mat, das von Heiko Przyhodnik und Hans Hellfried Wedenig ins Leben gerufen wurde. Für den Schulbuch-O-Mat werden freie Lehrinhalte von Lehrerinnen und Lehrern erstellt. Derzeit bietet die Ende 2012 gegründete Plattform die Inhalte für das Fach Biologie der Klassen sieben und acht für das Land Berlin. 

 

Auch Heiko Przyhodnik diskutierte bei der Veranstaltung über das Schulbuch der Zukunft in Frankfurt mit. Auf die Nachfrage von Eva Matthes bezüglich der Qualitätssicherung der Inhalte erklärte er, dass die Qualitätssicherung momentan noch dadurch geleistet werde, das Lehrerinnen und Lehrer das Material erstellten und die Inhalte dem Lehrplan entsprächen. An einer Optimierung würde aber weiter gearbeitet. Es gibt unter anderem Überlegungen, die Lehrmaterialien in Kooperation mit Lehranwärtern und Hochschulen zu erstellen, um die Qualitätssicherung umfassend gewährleisten zu können. Als weitere Vorteile von OER wurden die einfache Aktualisierung von Inhalten, vernetztes Lernen sowie eine Beteiligung an den Inhalten durch Lernende und Lehrende genannt. 

 

Diese Punkte stellen für Wolf-Rüdiger Feldmann vom Cornelsen Verlag eine “abstruse Diskussion” dar. Zum Thema Aktualisierung betonte er, dass Lehrpläne über ca. zehn Jahre erstellt würden und dass das Schulbuch hier nicht immer aktuell sein müsse. Die Beteiligung durch Lehrende sei gegeben, jedes im Verlag produzierte Schulbuch würde mit Lehrenden zusammen erstellt und in der Praxis “geerdet” werden. Ob und wie Schülerinnen und Schüler beteiligt werden könnten hänge von der jeweiligen Altersstufe und Reife ab. Auch digitale Zusatzmaterialien seien keine Neuigkeit, sie würden von den Verlagen angeboten. Feldmann pochte ebenfalls auf die Qualitätssicherung durch Schulbuchverlage, sein Kommentar zur Diskussion um OER: “Eins ist deutlich geworden, wenn die Wertschöpfung darin liegt, dass wir professionell erstellte Inhalte nochmal semi-professionell umschreiben, kann es das nun auch nicht wirklich sein.” Nicht darin liegt aber die Wertschöpfung, sondern darin, dass die Inhalte geteilt und verändert werden können. Schulbuchverlage setzen wie Apple auf geschlossene Systeme. Damit sind aber Verlinkungen oder ein freier Umgang mit Materialien kaum möglich. Der OER-Pionier André Sprang verwies in der Diskussion auch auf die Möglichkeit des vernetzten Lernens: “Wir wissen alle etwas, wenn wir das zusammentragen, wissen alle mehr.” 

 

Verlagseigene Lernplattformen 

Zwischen den beiden vorgestellten Lehrformen des klassischen Schulbuchs und der offenen digitalen Materialien gibt es weitere Formen wie zum Beispiel die digitale verlagseigene Lernplattform im Netz. Beim Verlag Ulmer in Stuttgart ist derzeit Katja Splichal, die neue Leiterin der Lernmanagement Systeme dabei, eine solche Lernplattform umfassend neu zu konzipieren. Die Lernplattform konzentriert sich auf Lehrinhalte für Ausbildungsberufe. Die Zielgruppe sind meist 16 bis 18-jährige Schülerinnen und Schüler, die eher im Internet als vor einem Buch anzutreffen sind. Statt der alten Buchinhalte, die komplizierten Urheberrechten unterliegen, wurde beschlossen, alle Inhalte neu aufzubereiten. Klare Texte, Bildstrecken und Videos sollen die Lehrinhalte verdeutlichen. Weitere Überlegungen zur Gestaltung der Plattform beinhalten viele spielerische Elemente, das Stichwort hier heißt “Gamifikation”. Wettbewerbsstrategien und ein Punktesystem können hierbei zur Motivation beitragen. Die Lernenden sollen zum Beispiel Ziele festlegen können: von “Ich möchte bestehen” über “Ich will besser sein als mein Freund XY” bis hin zu: “Ich will Klassenbester werden”. 

 

Die Plattform befindet sich noch in der Entwicklung. Welche Ideen genau umgesetzt werden, kann von dem Verlag noch nicht final kommuniziert werden. Das geplante Lernsystem ist aber ein Beispiel dafür, wie Lehrinhalte losgelöst vom klassischen Papierbuch angepasst an die Bedürfnisse der Lernenden komplett neu gedacht und aufgebaut werden können. 

 

Die Diskussion um OER und das Schulbuch auf Buchmesse 2013 zeigt, dass die üblichen Vorbehalte und Argumente nach wie vor bestehen. Die Entwicklung digitaler Unterrichtsmaterialien befindet sich noch in den Startlöchern. Es ist noch längst nicht abzusehen, ob die “digitalen Chancen” innovativ genutzt werden. Ob sich im Endeffekt das klassische Schulbuch, freie Unterrichtsmaterialien oder verlagseigene Lernplattformen durchsetzen werden, ist ungewiss. Dass sich das Schulbuch weiterhin an den neuen Möglichkeiten messen muss, ist jedoch wiederum deutlich geworden. Bei der Diskussion auf der Buchmesse war von den Verfechterinnen und Verfechtern des Schulbuchs erneut kaum Bereitschaft zu erkennen, die Möglichkeiten der digitalen Unterrichtsmaterialien auszuloten. Dabei wird eine Mischung der Systeme sehr wahrscheinlich sein, in dem sich die unterschiedlichen Systeme, auch das Schulbuch, ihren Anforderungen und Möglichkeiten gerecht dynamisch anpassen müssen.  

 

Foto: Frankfurter Buchmesse / Alexander Heimann / E-Reader 2013 / CC BY-SA 2.0