Der Rechtsextremismus ist eine zentrale Herausforderung für unsere Demokratie. In den letzten Jahren hat er neue Formen angenommen, wobei das World Wide Web, insbesondere das Web 2.0, eine wichtige Rolle spielen. Im folgenden Beitrag stellt Michael Görtler, Sozialwissenschaftler und Referent für politische Jugend- und  Erwachsenenbildung, Überlegungen zu der Gefahr des “Rechtsextremismus 2.0” und ihrer Relevanz für die politische Bildung an. Der erste Teil führt in das Thema ein und zeigt neue Erscheinungsformen des Rechtsextremismus auf, der zweite Teil beschäftigt sich mit den Ursachen und der dritte Teil fragt schließlich nach den Konsequenzen für die politische Bildungsarbeit. 

 

Von Michael Görtler 

 

In den 1990er Jahren schockierte eine Serie von an Brandanschlägen auf Asylantenheime die Bundesrepublik Deutschland. Nach der Jahrtausendwende erschütterten die gewaltsamen Übergriffe auf Menschen nichtdeutscher Herkunft auf offener Straße, das gescheiterte NPD-Verbot und insbesondere die NSU-Morde sowohl die Gesellschaft als auch die politisch Verantwortlichen. Im Rückblick auf diese Geschehnisse wird eine Entwicklung deutlich: Die rechte Szene entspricht längst nicht mehr dem Stereotyp von Springerstiefel, Bomberjacke und Glatze. Statt dessen operiert die Anhängerschaft des Rechtsextremismus heute in anderen Bereichen als noch vor 10 oder 20 Jahren und bedient sich dabei anderer Kommunikationskanäle, vor allem sucht sie Zugänge zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 

 

Besorgniserregende Zahlen bei aktuellen Umfragen 

Die Ergebnisse aktueller Umfragen zu rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung müssen dazu führen, dass gesamtgesellschaftlich, aber vor allem bei den politisch Verantwortlichen sowie politischen Bildnerinnen und Bildnern die Alarmglocken klingen. Die Studie “Die Mitte im Umbruch” (Decker et al, 2012) unterstreicht die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen in der Bevölkerung: Knapp ein Viertel der Befragten stimmte beispielsweise ausländerfeindlichen Aussagen zu. Und auch der Anteil der Bevölkerung mit einem “geschlossenen rechtsextremen Weltbild” ist von 8,2% (2010) auf 9,0% (2012) angestiegen, wobei die Werte in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland besonders hoch ausfallen (ein Anstieg von 10,5% auf 15,8% gegenüber einem leichten Rückgang von 7,6% auf 7,3 % im Zeitraum von 2010 bis 2012).  Erwerbslose und Menschen im Ruhestand stimmen ausländerfeindlichen Aussagen insgesamt am häufigsten zu. Die Zahlen machen deutlich, dass es sich nicht um ein oberflächliches Problem handelt, sondern um ein Problem, das den Kern der Gesellschaft betrifft. Sowohl in West- als auch in Ostdeutschland und über alle Bevölkerungsschichten und Altersstufen hinweg lassen sich rechtsextreme Einstellungen feststellen. Allerdings gibt es auch einen Silberstreif am Horizont: Über die besorgniserregenden Zahlen hinaus wird einmal mehr die Bedeutung der (politischen) Bildung bestätigt, denn je höher der Bildungsabschluss ist, desto geringer fällt auch die Neigung zu ausländerfeindlichem Denken und Handeln aus.

 

Neue Zugänge zur Lebenswelt

Der Rechtsextremismus hält mehr und mehr Einzug in die Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Immer öfter lassen sich auch Bestrebungen beobachten, dass Personen mit rechtem Gedankengut in Kinder- und Jugendeinrichtungen arbeiten. Zudem versuchen rechte Communities verstärkt vor Ort neue Strukturen aufzubauen und auf diese Weise nicht nur Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sondern gleich ganzen Familien ihr rechtes Gedankengut überzustülpen (vgl. APuZ 2012). Darüber hinaus spielt die “Erlebniswelt Rechtsextremismus” eine zentrale Rolle, mittels derer versucht wird, junge Menschen mit einer Vielzahl an Angeboten zu ködern und an sich zu binden. Eine besondere Rolle spielen in diesem Rahmen die zahlreichen digitalen Zugangswege, weil sowohl die Nutzung des Internets als auch der Umgang mit solchen Formaten für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 25 Jahren zum Alltag gehört. Laut der 16. Shell Jugend Studie von 2010 sind 96 % der Befragten online (vgl. Deutsche Shell Holding GmbH 2010), zudem ist dieser Zugang einfach, direkt und an diese Zielgruppe angepasst. Die Initiative jugendschutz.net (vgl. jugendschutz.net 2013) veröffentlichte dazu in ihrem Monitoring-Bericht für das Jahr 2012 einige aufschlussreiche Ergebnisse: Es zeigt sich, dass die Bedeutung einer “klassischen Webseite” mit rechtsextremem Inhalt im Vergleich zu neuen Formaten immer mehr an Bedeutung verliert.

 

Dagegen steigen die Einträge mit rechtsextremem Inhalt in sozialen Netzwerken, Chats oder Foren sowie Twitter an. Auf Audio- und Videoplattformen finden sich immer häufiger Dateien in Ton und Bild, die rechtes Gedankengut transportieren. Musik und Videos dienen dabei als Botschaften, die Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen sollen. Typischerweise werden emotionale Themen als Aufhänger instrumentalisiert, d.h. dass der Zugang weniger über die rationale als über die emotionale Ebene gesucht wird. Die Strategie ist dabei denkbar einfach: Emotional aufgeladene Themen werden gezielt aufgenommen, um über (Rechts-)Populismus auch nicht-rechtsextreme Menschen einzufangen, die bei kontroversen Themen eine starke Position vertreten und eine klare Stellungnahme von der Politik erwarten (z.B. hohe Gefängnisstrafen für Kinderschänder, Begrenzung des Zuzugs von Ausländerinnen und Ausländern, Deckelung von Managergehältern, Austritt aus der EU oder Euro-Zone). Aus Sicht der Initiative müssen die Betreiberinnen und Betreiber der Portale daher Schritte einleiten, um das Geschehen zu überwachen und entsprechende Einträge und Dateien zeitnah zu löschen. Als Hürde stellt sich dabei die Unbegrenztheit des Internets heraus, weil die Kontrollbemühungen angesichts der Vielzahl an Aktivitäten in den meisten Fällen scheitern. 

 

Musik als besondere Herausforderung

Besonders im Bereich der  Musik drängen Rechtsextreme mittels einschlägiger Texte immer tiefer in die Lebenswelt von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein. Die rechte Szene nutzt diesen Zugang verdeckt, z.B. über geheime Veranstaltungen, die über das Internet kommuniziert werden, oder offen, z.B. im Falle der sog. Schulhof-CDs, die von der NPD auf Schulhöfen verteilt wurden. Musik aus der rechten Ecke wird gemeinhin als sogenannter “Rechtsrock” bezeichnet, weil es sich in der Regel um Bands handelt, die sich am Stil der Rockmusik orientieren (vgl. BfV 2007). Dazu zählt eine ganze Reihe von Musikerinnen und Musikern, deren CDs auf dem Index stehen. Darüber hinaus sind die Kontroversen älteren und jüngeren Datums um Bands wie die Böhsen Onkelz oder Rammstein, die im Verdacht stehen, den rechten Rand zu bedienen, allgemein bekannt. Die legalen Texte der Musikerinnen und Musiker transportieren Aussagen, die beim Zwischen-den-Zeilen-Lesen auch anders gedeutet werden können. Aus diesem Grund finden die Lieder auch bei Personen mit rechtsextremer Weltanschauung Anklang, wenn sich die Bands auch regelmäßig von ihren rechten Anhängern distanzieren. Das eigentliche Problem liegt in einer Grauzone, in der sich Texte befinden, die zwar nicht gegen das Gesetz verstoßen, die aber von Jugendlichen und jungen Erwachsenen missinterpretiert werden können. Teilweise können die Jugendlichen nicht das nötige Abstraktionsvermögen aufbringen und nehmen die Aussagen für bare Münze. Zudem bergen zweideutige Texte auch die Gefahr einer Verharmlosung von konservativen oder nationalsozialistischen Weltanschauungen, die in einem Gefühl der Normalität zu einem Drift nach Rechts im Denken und Handeln führen können. 

 

Ausblick

Die bisherigen Ausführungen machen die Gefahr des “Rechtsextremismus 2.0” für die Demokratie deutlich. Wenn Kinder und Jugendliche nur mit einseitigen rechtsgerichteten Sichtweise in Berührung kommen, kann es passieren, dass sie durch eine voreingenommene Brille auf die Welt blicken, und zwar in eine Richtung, die dem historischen Erbe der Bundesrepublik Deutschland, den gewonnen demokratischen Grundwerten wie auch dem Projekt Europa widerspricht. In der Öffentlichkeit werden immer wieder Stimmen laut, die einen freiwilligen und/oder unfreiwilligen Austritt von Mitgliedsländern, eine Rückkehr zu mehr nationalstaatlicher Steuerung oder sogar eine Auflösung der Europäischen Union befürworten. Und angesichts nationalistischer Bestrebungen in verschiedenen Mitgliedsländern der Europäischen Union wie z.B. Italien, Ungarn oder Schweden sollte diese Verwerfungen auch ernst genommen werden. Abschließend stellt sich für die politische Bildung also die Frage, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann. Es gilt auf die Bedrohung aus dem World Wide Web zu reagieren und dem Zugang über die Musik besondere Aufmerksamkeit zu widmen. In den folgenden zwei Teilen wird daher den Ursachen des Rechtsextremismus sowie den Konsequenzen für die politische Bildungsarbeit mit Blick auf die Lebenswelt der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nachgegangen. 

 

Literaturangaben und Links: 

– Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) (2012) (Hrsg.): Themenschwerpunkt: Rechtsextremismus, APuZ, 62. Jg. 18-19/2012, online unter: http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/132957/rechtsextremismus (Stand August 2013). 

 

– Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) (2007): Rechsextremistische Musik, Köln, online unter: 

http://www.verfassungsschutz.de/de/download-manager/_broschuere-2007-07-rechtsextremistische-musik.pdf (Stand August 2013).

 

– Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (2012): Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012, unter Mitarbeit von Benjamin Schilling und Peter Ullrich, hrsgg. für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Ralf Melzer, Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn, 

online unter: http://www.fes-gegen-rechtsextremismus.de/pdf_12/ergebnisse_mitte_studie_2012.pdf (Stand August 2013).

 

– Deutsche Shell-Holding GmbH (Hrsg.) (2010): Jugend 2010. 16. Shell Jugendstudie, „Zugang zum Internet: Jugend 2010 ist online“, online unter 

http://s05.static-shell.com/content/dam/shell/static/deu/downloads/youth-study-2010internet.pdf (Stand August 2013).

 

– Glaser, Stefan/Pfeiffer, Thomas (Hrsg.) (2007): Erlebniswelt Rechtsextremismus: Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Hintergründe – Methoden – Praxis der Prävention, Wochenschau, Schwalbach/Ts. 

 

– jugendschutz.net (Hrsg.) (2013): Rechtsextremismus online, beobachten und nachhaltig bekämpfen. Bericht über Recherchen und Maßnahmen im Jahr 2012, Mainz, online unter: http://hass-im-netz.info/fileadmin/dateien/pk2013/bericht2012.pdf (Stand August 2013).

 

Foto: Flickr.com / Blai Server / CC BY-NC-SA 2.0