Die neue Bildungsstudie der Bertelsmann Stiftung zum „Schulformwechsel in Deutschland“ stand vergangene Woche im Mittelpunkt der bildungspolitischen Nachrichten. Die Studie untersucht die „Durchlässigkeit“ – das Verhältnis von Auf- bzw. Abstiegen zwischen den verschiedenen Schulformen – des deutschen Schulsystems im Schuljahr 2010/2011 innerhalb der Sekundarstufe I. Die Ergebnisse variieren je nach Bundesland und enthalten eine ernüchternde Botschaft: Die Schülerinnen und Schüler werden nach dem Übertritt in eine weiterführende Schule oftmals wieder herabgestuft.

 

„Für Schüler geht´s öfter runter als rauf“, titelt die Bertelsmann Stiftung in ihrer Pressemeldung. „Ausgesiebt und abgestiegen“ ist auf Spiegel Online zu lesen und die unverblümte Botschaft auf bildungsklick.de lautet „Das deutsche Schulsystem produziert Absteiger“. So sei der Wechsel in höhere Schulformen sehr restriktiv und es gebe nur wenige alternative Möglichkeiten entsprechend der individuellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen, sollte es beim ersten Anlauf nicht klappen. Neben dem Versuch, die Ursachen und Konsequenzen eines hauptsächlich nach unten durchlässigen Schulsystems zu verorten, liegt der Fokus der Berichterstattung in den Medien vor allem auf dem Vergleich der 16 Bundesländer, der wie so oft in einem Wettstreit um die besten Zahlen mündet.

 

Im Schuljahr 2010/11 waren es laut der Studie 50.000 Schülerinnen und Schüler, die in eine niedrigere Schulform wechseln mussten, nur 23.000 Lernenden wäre der Wechsel ins Gymnasium möglich gewesen. Zudem kämen in Niedersachsen auf einen Aufstieg mehr als zehn „Abschulungen“. Eine frühere Studie zur Chancengleichheit an deutschen Schulen, die ebenfalls von der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde, stellte fest, dass Kinder mittelloser Eltern viel seltener der Besuch des Gymnasiums gelänge als Kindern aus Akademiker-Familien.

Die Bestnote der Studie geht an Bayern, da den Zahlen zufolge hier mehr Schülerinnen und Schüler auf- als absteigen. „Unter den Bundesländern nimmt Bayern wieder einmal eine Sonderrolle ein,“ heißt es in der Süddeutschen. Auf bildungsklick.de wird die Rolle des Freistaates jedoch auch kritisch kommentiert und die Ursachen bzw. die Methodik des erzielten Ergebnisses in Frage gestellt. Maria Lampl, die Landesvorsitzende des bayerischen Elternverbandes (BEV), freut sich nur eingeschränkt über die guten Resultate, sie urteilt: “Der Aufstieg ist teuer erkauft”. Ihrer Meinung nach basiere dieses „positive“ Ergebnis lediglich auf der angemessenen Korrektur vorangegangener Fehlentscheidungen der Grundschulen, da diese das Niveau der Kinder häufig falsch einschätzen würden. In diesem Fall müssten die Schülerinnen und Schüler beim Übertritt in weiterführende Schulen eine Klassenstufe wiederholen und somit ein ganzes Schuljahr zusätzlich investieren. Maria Lampl plädiert daher dafür, die Eltern über die jeweilige Schulform entscheiden zu lassen.

 

Jörg Dräger, Bildungsexperte der Bertelsmann Stiftung, der individuelle Förderung als Schlüssel zur Chancengerechtigkeit sieht, äußert im Interview mit der tagesschau ein Problem, welches das Ungleichgewicht zwischen Auf- und Absteigern aus seiner Sicht entscheidend beeinflusse: Während alle Bundesländer eine Regelung zum Abstieg eines Schülers oder einer Schülerin haben würden, lege ausschließlich Nordrhein-Westfalen in seinem Schulgesetz fest, wann ein Aufstieg in eine höhere Schulform stattfinden könne.

 

Scharfe Kritik an der Studie kommt vom deutschen Philologenverband, so die Die Welt. Der Vorsitzende des DPhV, Heinz-Peter Meidinger, weist den Kern der Studie zurück, in dem ausgeführt wird, dass es doppelt so viele Absteiger wie Aufsteiger in Deutschlands Schulen gebe. Er bemängelt, dass die 30 Prozent der Hauptschulabsolventen, die nach ihrem Abschluss noch eine Realschule besuchen, in der Studie nicht erfasst seien.

 

Es scheint als stünden die Bundesländer nach der Veröffentlichung der Bertelsmann-Studie vor einer Herausforderung mehr. Immerhin gab es in den vergangenen Wochen schon zahlreiche Debatten über bildungspolitische Reformen innerhalb des deutschen Schulsystems, die eine Umwälzung der veralteten Strukturen ermöglichen würden. Spiegel Online schreibt über die Homeschooling-Bewegung und ihre Befürworter, die für die Abschaffung der Schulpflicht plädieren und ihre Kinder, oft aus religiöser Motivation heraus, zu Hause unterrichten würden. Ein ebenfalls gewagter Ansatz kommt aus Sachsen-Anhalt und präsentiert die Idee, das Notensystem „ein wenig aufzuhübschen“ (Zeit Online). Und dann wäre da noch das Vorhaben der Kultusminister, zur Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen bundesweite Abiturstandards einzuführen (Focus).

 

Lösungsansätze, die auf den „Abstiegstrend“ reagieren, sind kaum im Visier der medialen Berichterstattung. Der Bertelsmann Stiftung zufolge müsse es mehr alternative Wege zum Abitur sowie individuelle Förderung geben (Sächsische Zeitung). Zudem versuche Berlin mit dem zweigliedrigen Schulsystem auf das Problem zu reagieren. Bereits zum Schuljahr 2010/11, so die Frankfurter Rundschau, habe das Land Berlin mit der Einführung der Sekundarschulen, der Fusion von Haupt- und Realschulen sowie Gesamtschulen, eine Schulreform durchgeführt. Die Bildungssenatorin Sandra Scheeres hält fest, dass es an den Sekundarschulen weder Sitzenbleiben noch Abschulen gebe.

 

Foto: flickr.com / Axel Schwenke / Erdfunkstelle Usingen 2005 / CC BY-SA 2.0