Auf Einladung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie der Kultusministerkonferenz (KMK) fand am gestrigen 8. November im Gartenhaus des BMBF ein Fachgespräch zu Open Educational Resources (OER) statt. Leonhard Dobusch, Juniorprofessor am Institut für Management der Freien Universität Berlin und Blogger, war als geladener Experte vor Ort und berichtet hier von seinen Eindrücken.

 

Neben einer Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von BMBF und Kultusministerien war eine bunte Mischung aus Experten und Expertinnen eingeladen, vorab eine Liste mit 35 Fragen (DOC, meine Antworten bei netzpolitik.org) zu beantworten.

 

Liste der anwesenden Expertinnen und Experten

 

Außerdem vor Ort war der Leiter der OECD-Abteilung für Bildungsforschung und Innovation (CERI), Dirk van Damme, der in einem Kurzvortrag das anstehende Forschungsprogramm von CERI für 2013-2014 skizzierte. Untersucht werden sollen Business Modelle für OER, Fragen zur OER-Pädagogik, zu den staatlichen Aufgaben im Bereich von OER und der langfristige Einfluss von OER auf das Bildungssystem.

 

Als Ziele für das Fachgespräch von Seiten des BMBF formulierte Eckart Lilienthal zum Einstieg drei Punkte, die in der Folge auch größtenteils eingelöst wurden:

 

–       Informationen zum Thema, um als Ministerium den Auftrag der                               Politikberatung besser wahrnehmen zu können

–       Feststellung von Meinungsverschiedenheiten und Unklarheiten im Diskurs         um OER

–       Antworten auf die Frage, was eine Rolle der öffentlichen Hand in diesem             Zusammenhang sein könnte?

 

Die daran anschließende Debatte startete mit Fragen nach bildungspolitischen Potentialen, gefolgt von rechtlichen, ökonomischen und technischen Anforderungen an OER. Den Abschluss bildete eine Runde mit konkreten Vorschlägen für die nächsten Schritte bei der Behandlung der Thematik. Die folgende Kurzzusammenfassung der im Einzelnen diskutierten Fragestellungen folgt den drei von Seiten des BMBF formulierten Zielen: Wo herrscht Konsens? Was ist strittig? Welche Ableitungen wurden diskutiert?

 

 

Bildungspolitische Potenziale

 

Konsens: OER sind genauso wie herkömmliche Lernunterlagen auf Qualitätssicherungsverfahren angewiesen. Insofern klassische Lernunterlagen wie Schul- und Lehrbücher in OER-Form erscheinen sollen, sind auch klassische Formen der Qualitätssicherung wie die Zertifizierung von Schulbüchern durch Kultusministerien weiterhin anzuwenden. Ebenfalls herrschte Einigkeit darüber, dass auch dezentral erstellte OER-Materialien eine Ergänzung zu klassischen Lernunterlagen darstellen können. Betont wurden von mehreren Personen die besonderen Potentiale von OER für das lebenslange Lernen: Während über Campus-Lizenzen für Studierende an der Universität ein unkomplizierter Zugang zu vielen Lernunterlagen realisiert werden kann, so geht dieser mit dem Ausscheiden aus der Universität verloren.

 

Strittig: Inwieweit neue, kollaborative Formen der Erstellung von Lernunterlagen und Qualitätssicherung via Crowdsourcing nach Vorbild der Wikipedia nicht nur eine Ergänzung, sondern auch eine Alternative zu klassischen Verfahren zur Erstellung qualitativ hochwertiger Lernunterlagen darstellen, war umstritten. Befürchtet wurde beispielsweise, dass so „die Schule zum Experimentierfeld für Möchtegernpädagogen gemacht werden [soll]”. Verschieden waren auch die Einschätzungen, wie groß die Potentiale von OER für didaktische Innovation und höhere Ausbildungsqualität tatsächlich sind. Während Vertreterinnen und Vertretern der Bildungsmedienverlage die relativ geringe Nutzungsintensität von kostenlosen Angeboten auf öffentlichen Repositorien anführten, klagte der Lehrer Felix Schaumburg über deren schlechte praktische Nutzbarkeit, weil häufig aus urheberrechtlichen Gründen nur Platzhalter eingefügt seien: „Das Material, das dort angeboten wird, ist urheberrechtlich sauber und damit in der Praxis nicht benutzbar.“

 

Ableitungen: Unstrittig war wiederum, dass noch zu wenig Erfahrungen und Wissen vorliegen, um das Potential von Schwarmintelligenz im OER-Kontext sowie die Folgen von OER für Bildungsqualität ganz allgemein beurteilen zu können und demnach Bedarf an diesbezüglichen Studien und Experimenten besteht.

 

 

Rechtliche Fragen

 

Konsens: Open-Content-Lizenzen, allen voran jene von Creative Commons, sind ein zentraler Hebel für Funktionalitäten von OER wie Nachnutzungsmöglichkeit und Remix. Ein Vorteil von Open-Content-Lizenzen ist dabei die prinzipielle Freiwilligkeit ihrer Nutzung. Gleichzeitig können mit solchen Lizenzen aber nicht sämtliche urheberrechtliche Probleme im Bildungsbereich gelöst werden. Die Diskussion bzw. Förderung von OER ist aber weder angewiesen auf Reformen des Urheberrechts noch sollte zugewartet werden, bis sich in diesem Bereich etwas tut.

 

Strittig: Ob die Frage einer Änderung urheberrechtlicher Schrankenregelungen auch im Kontext von OER diskutiert werden sollte, war ebenso umstritten wie die Frage, ob überhaupt größerer Änderungsbedarf im Urheberrecht für den Bildungsbereich besteht. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Creative Commons mit dem deutschen Recht wurde vereinzelt der Bedarf nach tiefergehender juristischer Erörterung gesehen, während andere hier keinerlei Handlungsbedarf und diese Frage als weitgehend juristisch geklärt sahen.

 

Ableitungen: Es gilt, im Rahmen von Studien zu untersuchen, welche konkreten (Creative-Commons-)Lizenzmodelle sich für welche OER-Anwendungsbereiche am besten eignen.

 

 

Ökonomische Aspekte

 

Konsens: Förderung von OER bedeutet nicht die Verlagerung der Erstellung von Lernunterlagen in eine zentrale staatliche Behörde und damit keinen Angriff auf die Existenz von Bildungsmedienverlagen. Auch geht es bei der Förderung von OER zumindest kurzfristig nicht um die Realisierung von Kostensenkungen. In den Worten von Konrad Faber: „OER ist kein Sparprogramm“. Eine Finanzierung von offen lizenzierten Lernunterlagen über Ausschreibungen ist ein gangbares Modell, prinzipiell ist aber eine Vielfalt von OER-Geschäftsmodellen das Ziel.

 

Strittig: Keine Einigkeit bestand darüber, ob Mittel aus bestehenden Budgets für Bildungsmedien für OER-Pilotprojekte herangezogen werden können. Vor allem von Seiten der Bildungsmedienverlage wurde Unterfinanzierung in diesem Bereich kritisiert und für die Finanzierung von OER-Initiativen zusätzliche Mittel angemahnt.

 

Ableitungen: Eine vergleichende Untersuchung von existierenden und potentiellen OER-Geschäftsmodellen sollte dabei helfen, die ökonomischen Rahmenbedingungen und Konsequenzen einer Förderung von OER besser einschätzen zu können.

 

 

Technische Anforderungen

 

Konsens: Zentral für eine produktive Nutzung von OER ist die Verwendung und Verknüpfung von Metadaten-Informationen. In diesem Zusammenhang betonten Judith Eckle-Kohler und Axel Kühnlenz unisono, dass die Etablierung eines einheitlichen Metadaten-Standards unrealistisch und stattdessen ein Matching verschiedener Standards im Kontext von OER-Plattformen und Dienstleistungen vielversprechender ist.

 

Strittig: Im Bereich der technischen Anforderungen gab es kaum strittige Punkte – am ehesten wurde noch diskutiert, wie stark die Rolle staatlicher Stellen bei der Entwicklung von Metadaten-Standards sein soll.

 

Ableitungen: Sollte das Fachgespräch in Form einer ständigen Arbeitsgruppe fortgesetzt werden, gilt es mehr technologische Expertise (z.B. aus dem Bibliotheksbereich oder von  ZUM.de) mit einzubinden.

 

 

Nächste Schritte

 

Zusammengefasst war die einhellige Einschätzung sämtlicher Teilnehmender der Anhörung, dass es in allen diskutierten Bereichen noch großen Forschungsbedarf gibt. Um diesen noch weiter zu konkretisieren wurde die Einrichtung einer ständigen Arbeitsgruppe zum Thema und damit eine Fortsetzung des OER-Dialogs – idealerweise unter noch stärkerer Einbindung von Vertreterinnen und Vertretern der Bundesländer – angeregt. Neben der Durchführung von Studien zu den verschiedenen Themen und Anwendungsfeldern von OER wurde auch mehrfach die Sinnhaftigkeit einer Informationskampagne zu Creative Commons und OER unter Praktikern und Praktikerinnen bejaht. Vor allem die Konstruktivität der Wortmeldungen und das wertschätzende Diskussionsklima machten die Anhörung aber zu einem vielversprechenden Auftakt für die weitere OER-Debatte in Deutschland.

 

 

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