ThinkTank „mobile learning“ – so lautete der Titel eines Workshops für Medienforschende, Informatiker und Informatikerinnen, Pädagogen und Pädagoginnen und Lehrende, der von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb in Kooperation mit medien+bildung.com (m+b) organisiert wurde. Ziel des Treffens war die Diskussion gemeinsamer pädagogischer und didaktischer Richtlinien und die Bildung von Netzwerken innerhalb der Community of Practise. Auf werkstatt.bpb.de berichten der Mediendidaktiker Ulf Kerber und der Kulturwissenschaftler Christian Kleinhanß (m+b) in einem theoretischen und einem praktischen Teil über die Entwicklungen der Geschichtsdidaktik und die Möglichkeiten des mobile learning für historisch-politischen Unterricht.

 

zu Teil 2

TEIL 1 

 

Zahlen zu mobile learning

 

Laut der Zahlen der ITU World Telecommunication/ICT Indicators database ist bereits ein Drittel der Weltbevölkerung online. Davon sind fast 45 Prozent unter 25 Jahre und befinden sich innerhalb eines Lebensabschnitts, der sich unter dem Begriffsfeld „Ausbildung“ einordnen lässt. Im Jahr 2011 sind knapp sechs Milliarden Mobilfunkverträge registriert worden. Das entspricht 87 Prozent der Weltbevölkerung. Die Zahlen für mobile Breitband-Verträge sind innerhalb der letzten 4 Jahre jährlich über 45 Prozent gestiegen. Laut dem Bankhaus Morgan Stanley wird die Zahl der Geräte, die mobilen Zugang zum Internet gewährleisten, bis 2014 weltweit die Zahl der Zugänge über Desktop PCs erstmalig übersteigen. Die Verfügbarkeit von mobilen Internetgeräten hat auch die Nutzungsgewohnheiten der Menschen und die Lebensgewohnheiten junger Generationen verändert. So ist das Fernsehen nicht mehr das primäre Medium für ältere Teenager. Seit 2011 rangiert es gleichauf mit der Internetnutzung. Alleine auf der Video Plattform YouTube werden pro Minute 60 Stunden an Videomaterial hochgeladen, die durch über drei Milliarden Klicks am Tag wieder abgerufen werden. Davon werden 100 Millionen Videos am Tag auf mobilen Endgeräten abgerufen. 2011 wurden mehr als 40 Milliarden Apps für Smartphones und Tablet PCs verkauft. Bis 2016, so prognostizieren Experten und Expertinnen, soll dieser Absatzmarkt auf über 287 Milliarden Apps pro Jahr steigen.

 

 

Nutzen für die Bildung 

 

Auf diese zunehmende Mediatisierung unserer Gesellschaft muss reagiert werden (Tulodziecki 2010). Denn aus Lebenswelten sind Medienwelten geworden. Doch dem seit über zehn Jahren andauernden Ruf nach Medienkompetenz aus Diskursen der Bildung, der Politik, der Wirtschaft und des Rechts (Gapski 2006, S. 13,) ist in den Bildungsplänen der Republik bislang nur unzureichend nachgegangen worden – er wurde aber als wichtige und dringende Aufgabe erkannt. Ebenso setzen die Verantwortlichen in den Kultusministerien zunehmend auf eine Individualisierung und Einbindung des Lernens in soziale und situierte Prozesse. D.h. Lernen soll bedeutsam sein und in der Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen ansetzen und verankert sein (Niegemann 2008). Lernen bedeutet aktive Konstruktion und nicht passive Rezeption.

 

Mobiles Lernen kann dabei helfen, diese Ansprüche nach entdeckendem, problembasiertem, sozialem und individualisiertem Lernen zu erfüllen. Wohlgemerkt „helfen“, denn Medien sind nur Werkzeuge des Wissens, die Lernenden Möglichkeiten eröffnen, die sich ohne Medieneinsatz nur schwer oder gar nicht aufgetan hätten. 

 

  • Digitale Endgeräte ermöglichen ein zeit- und ortunabhängiges Lernen: Lernorte können überall dort sein, wo man interessanten und relevanten Lernanlässen direkt und real begegnen kann. Das heißt also nicht nur im Museum, in der Bibliothek, im Archiv, sondern auch am Teich, im Wald, am Steinbruch oder auf der Ritterburg. Der Klassenraum erweitert sich sozusagen “um die Welt”.
  • Digitale Endgeräte ermöglichen durch ihren multifunktionalen Werkzeugcharakter das Sammeln, Aufarbeiten und Publizieren von Informationen. Lernende können über Apps oder das Internet auf Texte, Bilder, Podcasts oder Videos zugreifen oder diese selbst produzieren.
  • Lernenden stehen zur Recherche vor Ort mobile Datenbanken, Informationssysteme und Bibliotheken zur Verfügung. 
  • Zwischenzeitlich werden unzählige Apps angeboten, die mobiles Lernen ermöglichen und unterstützen sollen.
 

 

Wie kann man mobile learning für den Geschichts-, Geografie- und Politikunterricht nutzbar machen?

 

Auch der Geschichts-, Geografie- und Politikunterricht kann von dieser Entwicklung profitieren. Denn Geschichte und Vergangenheit begegnet uns im Alltag ständig. Vieles davon ist „sichtbar“ und erforscht. Einiges wartet darauf, wieder sichtbar gemacht und erforscht zu werden. Mobile Endgeräte können Lernende dabei unterstützen.

Seit den 1970er Jahren des letzten Jahrhunderts versucht sich speziell die Didaktik des Geschichtsunterrichts zu wandeln, um wegzukommen vom Auswendiglernen eines vermeintlichen Bildungskanons (Pandel 2005), hin zu einem Bild von Geschichtswissenschaft, das Lernenden hilft zu verstehen, dass alles, was wir heute über Geschichte wissen, im Fluss ist und den Interpretationen von Autoren und den Werten der Zeit unterliegt. Lernenden soll der Konstruktionscharakter (Barricelli et al. 2008) von Geschichte bewusst gemacht werden, und sie sollen dadurch Orientierung im Heute erlangen. Und dazu muss Geschichte selbst aus der Vergangenheit rekonstruiert und selbst „neu“-erzählt werden (Pandel 2010). D. h. die Lernenden sollen selbst Spuren der Vergangenheit recherchieren und diese zu eigenen Narrationen verarbeiten – eigene Geschichte(n) erzählen. Durch die erreichbare Öffnung des Geschichtsunterrichts durch mobile learning kann die Suche nach Spuren der Vergangenheit die Eingeschränktheit des Klassenraums verlassen und biete, so Daniel Bernsen, Möglichkeiten der Individualisierung von Zugang, Untersuchungsobjekten, Arbeitsweisen, Lernprozessen und Ergebnissen. Am Ende des Lernarrangements steht das Produkt – die Narration über die Vergangenheit – die dann folgerichtig als digitale Narration, gemäß den Regeln des digital storytellings (Banaszewski 2005), umgesetzt wird.

 

Mögliche Aufgabengebiete:

  • Recherche von Informationen und das Nachverfolgen von Fragestellungen direkt vor Ort durch freie Projektarbeit, Arbeitsaufträge über Webquests, oder QR-Codes.
  • Orientierung und Dokumentation von Räumen und deren Wandel: historische Bilder und frühere Karten mit aktuellen Bildern und Karten vergleichen, um Wandel sichtbar zu machen.
  • Dokumentation von baulichen und geschichtskulturellen Überresten, von Artefakten und Quellen im Alltag – aber auch im Museum, in der Bibliothek oder im Archiv durch Fotos, Videos, Geoinformationen und Texte.
  • Interviews mit Historikern und Historikerinnen, Experten und Expertinnen oder Zeitzeugen und Zeitzeuginnen.
  • Geolokalisierung und -referenzierung von Ergebnissen in Karten.
  • Kollaboratives Schreiben von geschichtlichen Dokumentationen in Blogs oder Wikis (Hodl 2008).

 

Wie oben bereits erwähnt, kommt es dabei nicht nur darauf an, dass die Lernenden in der Lage sind bereits im Internet vorhandene Fakten und Informationen zu finden, sondern auch selbst die Ergebnisse ihres Forschens, Entdeckens und Recherchierens zu produzieren. Darin sind sich Medienpädagogik (Schorb 2007) und Geschichtsdidaktik (Pandel 2005) einig: Nur durch eigenes produktives Handeln, können Lernende rezeptive und kognitiv verarbeitete Fakten in aktives Handlungswissen umsetzen und dadurch Orientierung und Kompetenz in ihrem alltäglichen Denken und Handeln umsetzen.

 

Produktformate historischer Medienkompetenz beim mobile learning.

  • Produktion von Audio-und Videopodcasts zu aktuellen Themen, die über eine historisch-politische Dimension verfügen. 
  • Produktion von multimedialen Stadtrundgängen, Geocaching-Touren zum Quellenfinden, QR-Code– oder Augmented-Reality-Rallyes.
  • Entwicklung von historischen, dynamischen Datenbanken (Moser 2008), die von anderen Lernenden immer weitergeführt werden.

 

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Literatur und Quellen:

 

Banaszewski, Thomas M. (2005): DIGITAL STORYTELLING: SUPPORTING DIGITAL LITERACY IN GRADES 4 – 12. Online verfügbar unter http://www.lcc.gatech.edu/graduate/hcims/gallery/PDF/05.T.banaszewski_thomas_DigitalStorytelling.pdf, zuletzt aktualisiert am 18.04.2005, zuletzt geprüft am 03.08.2012.

 

Barricelli, Michele; Hamann, Christoph; Mounajed, René; Stolz, Peter (2008): Historisches Wissen ist narratives Wissen. Aufgabenformate für den Geschichtsunterricht in den Sekundarstufen I und II. Ludwigsfelde: LISUM.

 

Gapski, Harald (Hg.) (2006): Medienkompetenzen messen? Verfahren und Reflexionen zur Erfassung von Schlüsselkompetenzen. Düsseldorf, München: kopaed (Schriftenreihe Medienkompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen). Online verfügbar unter http://swbplus.bsz-bw.de/bsz25432150xvlg.pdf.

 

Hodel, Jan: Historische Online-Kompetenz. Überlegungen zu einem hybriden Kompetenzmodell. In: Epple, Angelika; Haber, Peter (Hg.): Vom Nutzen und Nachteil des Internets für die historische Erkenntnis. Version 1.0, Zürich 2005, S. 139-161. (Verfügbar als PDF bei Seals: http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=gui-003:2004:15::152) zuletzt geprüft am 15.09.2012

 

Moser, Heinz (2008): Einführung in die Netzdidaktik. Lehren und Lernen in der Wissensgesellschaft. Baltmannsweiler, Zürich: Schneider-Verl. Hohengehren; Verl. Pestalozzianum.

 

Niegemann, Helmut M. (Hg.) (2008): Kompendium multimediales Lernen. Berlin, Heidelberg: Springer-Verlag (X.media.press).

 

Pandel, Hans-Jürgen (2005): Geschichtsunterricht nach PISA. Kompetenzen, Bildungsstandards und Kerncurricula. Schwalbach/Ts: Wochenschau-Verl.

 

Pandel, Hans-Jürgen (2010): Historisches Erzählen. Narrativität im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts: Wochenschau-Verl (Methoden historischen Lernens).

 

Schorb, Bernd (2007): Zur Bedeutung und Realisierung von Medienkompetenz. In: Bernd Schorb, Nils Brüggen und Dommaschk Anke (Hg.): Mit eLearning zu Medienkompetenz. Modelle für Curriculumgestaltung, Didaktik und Kooperation. München: kopaed, S. 15–34.

 

Tulodziecki, Gerhard (2010): Medien im Unterricht. Weinheim, München: Juventa-Verl. (Enzyklopädie Erziehungswissenschaft online).

 

Foto: flickr/Scarygami