In den vergangenen Tagen hat – ausgelöst durch den neuen twitter-Hashtag #gd_dig – in der Blogosphäre eine Diskussion zur Frage: Was ist „digitale Geschichtsdidaktik“?  begonnen. Hierzu ein paar Anmerkungen von Christoph Pallaske.

 

Gibt es eine digitale Geschichtsdidaktik? Die meisten Geschichtsdidaktiker würden die Frage heute wohl eher verneinen. Das Interesse am Thema ist (noch) nicht sehr groß. Bislang wurden der Einsatz und die Möglichkeiten digitaler Medien im Geschichtsunterricht von Geschichtsdidaktikern relativ wenig thematisiert,[1] sondern stärker von „digital affinen“ Geschichtslehrern und Praktikern aufgegriffen und vorangebracht.[2]

 

Geschichtsdidaktik digital klingt zunächst eher allerweltmäßig. Schließlich gibt es kaum einen Bereich heutiger Gesellschaften, hinter den man nicht das Wort digital setzen kann und damit unspezifische Erwartungen zum Ausdruck bzw. eben nicht zum Ausdruck bringt. Der Versuch, die Vorstellungen über das Digitale im Umkehrschluss zu konkretisieren, sich also zu fragen, was eine nicht-digitale – eine analoge? – Geschichtsdidaktik sein könnte, hilft auch nicht wirklich weiter.

 

Diskussionen darüber, wie der digitale Wandel die Geschichtsdidaktik – oder andere Bereiche heutiger Gesellschaften – verändert, werden von außen herangetragen.  Vielen Wissenschaftlern ist es lieber, selbst neue Impulse setzen zu können. Ansonsten gilt:  Soll man jeder Mode und jedem Trend hinterherlaufen? Ein Gegenargument liefert der Hype um Multimedia und CD-Rom Ende der 1990er Jahre. Die damals neuen digitalen Medien erwiesen sich für die Schule als kaum praxistauglich und sind mehr oder weniger gefloppt.

 

Es wäre hilfreich zu klären, was digital jenseits von Einsen und Nullen im Jahr 2012 bedeutet. Für Geisteswissenschaften maßgebliche mediale und technische Entwicklungen lassen sich nach Stand der Dinge knapp zusammenfassen, das sind insbesondere:

 

– die Möglichkeit, verschiedene Medien, darunter vorrangig Textformate, zu digitalisieren und zu speichern. Das macht sie fast uneingeschränkt „austauschbar“; verschiedene Medientypen können zudem integriert und/oder neu zusammengestellt werden;

 

– die Strukturen digitaler Vernetzung. Die Verfügbarkeit von Medien und Informationen wird dadurch prinzipiell unbegrenzt, zudem durch digitale Endgeräte örtlich ungebunden;

 

– der grundlegende Wandel von Arbeitstechniken, Lernmethoden und Kommunikationspraktiken durch Web2.0 und Social Media.

 

Eine Ausschärfung, wie solche Entwicklungen einwirken und was genau man unter Geschichtsdidaktik digital begrifflich fassen und einordnen könnte, sowie eine Anbindung theoriegeleiteter Aspekte stehen noch weitestgehend aus. Hinweise geben die fünf Thesen in Alexander Königs Blogpost zu #gd_dig. König erklärt, weshalb die Geschichtsdidaktik um eine Positionierung zum digitalen Wandel nicht umhin kommt. Hervorzuheben ist die in dritten These benannte Funktionalität digitaler Medien. Es gibt kein „Primat des Digitalen“. Historisches Denken und Lernen folgen weiterhin in erster Linie dem Anspruch Geschichtsbewusstsein auszubilden. Neue Möglichkeiten digitalisierter Medien, Arbeitstechniken und Kommunikationspraktiken sind dafür Mittel zum Zweck. Somit markiert Geschichtsdidaktik digital keinen neuen Teilbereich der Disziplin wie beispielsweise die empirische Geschichtsdidaktik, wohl aber ein neues und heute kaum absehbares Arbeitsfeld.

 

Dennoch wird in den kommenden Jahren die Frage stärker in den Mittelpunkt rücken, ob und wie der digitale Wandel Denkstrukturen und Lernprozesse und damit auch Grundannahmen der Disziplin substanziell verändert. In der vierten These deutet König einen möglichen Wandel hin zu einer stärker subjektorientierten Geschichtsdidaktik an. Andere Aspekte könnten sein: die Veränderung der Aneignung von Wissen und historischer Narrationen angesichts des stetig wachsenden Wissensüberangebots im Netz, veränderte  Lernmethoden, beispielsweise in kollaborativen Formaten, oder die Einflüsse von digitalen Medien auf die Geschichtskultur. Auch bezogen auf das Alleinstellungsmerkmal des Faches Geschichte, die Kategorie Zeit, führt der digitale Wandel zu Verschiebungen. Kommunikation und Informationsaustausch finden heute in Echtzeit bis in jeden Winkel der Welt statt, und durch mobile Endgeräte machen sich die Menschen zunehmend abhängig davon, ständig überall live am (vermeintlichen) Weltgeschehen zu partizipieren. Solche Kommunikationspraktiken verändern das Zeitbewusstsein nachhaltig. Im 19. Jahrhundert beispielsweise konnten Briefe von Amerika-Auswanderern Monate unterwegs sein. Eine solche heute unvorstellbare Langsamkeit wird immer mehr zu einem Aspekt des Fremdverstehens. Soweit nur einige Anmerkungen, die noch stärker strukturiert und systematisiert werden müssen.

 

Historiker sollten bekanntlich mit Prognosen vorsichtig sein. Dennoch lässt sich zur Frage, ob das Digitale nur eine Mode oder einen Trend beschreibt, anmerken: Bereits seit Jahren ist klar, dass technische und mediale Entwicklungen mit großen Schritten unaufhaltsam vorangehen und immer neue Anforderungen an eine Begriffsbestimmung von Medienkompetenz stellen. Viele Gesellschaftsbereiche halten mit dieser Entwicklung Schritt, der Bereich Bildung und hier besonders die Schulen (weniger die Universitäten) hinken hinterher. Das mag teilweise mit den enttäuschten Erwartungen des Multimedia-Hypes vor 15 Jahren zu tun haben. Wenn Schüler – dieser Trend ist absehbar – in den kommenden Jahren zunehmend mit onlinefähigen Notebooks oder Tablets ausgestattet (und die „Computerräume“ wieder abgeschafft) sind, können sie immer und unkompliziert auf verschiedene Medien zurückgreifen und in kooperativen oder kollaborativen Lernformaten (wie Wikis, Etherpads) arbeiten. Kurzum: Ein ernst zu nehmender digitaler Wandel an den Schulen scheint zurzeit realistischer als noch vor 15 Jahren. We’ll see what happens!

 

Insgesamt fällt es somit nicht schwer sich auszumalen, dass das Digitale und eine digitale Geschichtsdidaktik – oder welche Bezeichnung sich durchsetzt – in Zukunft eine immer wichtigere Rolle im geschichtsdidaktischen Diskurs spielen werden. Wünschenswert wären eine intensivere Diskussion und Auseinandersetzung unter Einbeziehung sowohl von Akteuren aus der Disziplin als auch der Praxis des Geschichtsunterrichts bzw. der historisch-politischen Bildungsarbeit.

 


[1] Alavi, Bettina: (Hg.): Historisches Lernen im virtuellen Medium. Heidelberg 2010; Danker, Uwe; Schwabe, Astrid (Hgg.): Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdidaktik und neue Medien. Schwalbach/Ts. 2008.

[2] Einen ersten Überblick zu verschiedenen Methoden und Projekten des Lernens mit digitalen Medien  gibt der Blog Medien im Geschichtsunterricht von D.Bernsen.

 

Dieser Artikel wurde zuerst im Blog Historisch Denken | Geschichte machen veröffentlicht. 

 

Foto: flickr/Flickred!