Das Internet als nonformeller Lernort muss stärker Einzug in die Gemäuer von Schulen und anderen Bildungsinstitutionen halten. Denn genau da liegt die Chance des Netzes: Es kann das formelle Lernen durchbrechen und so neue Wege der Wissens- und Kompetenzermittlung eröffnen. So eine der Thesen der Arbeitsgruppe „Digitale Integration und Medienkompetenz“, die sich am 5. Juli in Berlin traf.

 

„Was wollen wir in Zukunft leisten?“ Diese übergeordnete Frage stand beim Treffen der Ohu (Maori für Arbeitsgruppe) „Digitale Integration und Medienkompetenz“, die sich mit der Zukunft der Bildung mit digitalen Medien beschäftigt, spürbar im Raum. Die Arbeitsgruppe ist ein selbstinitiierter Zusammenschluss von Expertinnen und Experten, eine Ideenplattform, die sich einem Teilaspekt der zunehmend digitalisierten Gesellschaft annimmt. Dahinter steht das „Internet & Gesellschaft Co:llaboratory“, das sich als Plattform für solche Diskussionen versteht. Expertinnen und Experten aus verschiedenen Arbeitsbereichen und mit unterschiedlicher fachlicher Kompetenz sollen sich so zu den drängenden Fragen des Internets austauschen. Grundsätzlich stehen allen Interessierten die Türen offen an einer solchen Arbeitsgruppe teilzunehmen – man muss nur von ihnen wissen.

 

Nicht erst seit dem SpeedLab „Lehrer 2.0 – Vom Pauker zur multikompetenten Servicekraft“, auf dem Marion Federl, eine Vertreterin der norwegischen Initiative NDLA, zur Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien im Netz sprach, beschäftigt sich werkstatt.bpb.de mit „Open Educational Resources“ (OER), den damit verbundenen Herausforderungen, Chancen und Fragen: Was bringen frei zugängliche digitale Schulmaterialien Lehrenden und Lernenden? Warum gibt es auf deutschem Boden bislang nur kleinere Projekte in diesem Bereich? Wie können wir von Initiativen anderer Länder lernen? Warum werden die bisherigen Angebote nur von wenigen Lehrkräften genutzt? Ist es die Angst vor Urheberrechtsverletzungen? Oder die vor mangelnd validierten Materialien? 

So lockte uns diese Thematik mit den damit verbundenen Fragen zum Treffen der Ohu „Digitale Integration und Medienkompetenz“. Auch sie hat sich diesem Thema angenommen und hierzu das Whitepaper „Open Educational Resources (OER) für Schulen in Deutschland“ verfasst, das den derzeitigen Diskussionsstand zum Thema festhalten will. Am Namen der Arbeitsgruppe durchaus erkennbar, war die Diskussion beim Arbeitstreffen eine viel breitere. Nicht lediglich OER standen im Mittelpunkt der Debatte. Sie waren vielmehr ein Teilaspekt eines größeren Ganzen: der digitalen Integration. Damit ist die Nutzbarmachung von Internet- und Kommunikationstechnologien für eine möglichst breite Gesellschaftsgruppe gemeint, die dazu beitragen soll, die Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen zu verbessern. Dem geht die Annahme voraus, dass eine kompetente Nutzung des Internets als Voraussetzung für Chancengleichheit im privaten und beruflichen Leben gilt.

 

Die Ohu beschäftigt sich überwiegend mit den Themenkomplexen digitale Integration und Medienkompetenz und stellt sich die Frage, inwiefern OER in diesem Gefüge eine Rolle spielen und setzt diese unterschiedlichen Elemente miteinander in Verbindung: Um die frei zugänglichen Unterrichtsmaterialien im Netz nutzen und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzen zu können, sei das kompetente Umgehen mit Medien erforderlich. Zugleich könnten OER dazu eingesetzt werden, die Medienkompetenz Lehrender wie Lernender zu verbessern. Sie hätten dadurch die Möglichkeit, sich kritisch mit den Materialien auseinanderzusetzen, an ihnen zu arbeiten und sich kollaborativ auszutauschen. Neben dem Whitepaper zu „Open Educational Resources“ entstand im Rahmen der Arbeitsgruppe auch ein Medienkompetenz-Wiki, das Projekte auflistet, die sich mit Medienkompetenzförderung befassen.

 

Die Arbeitsgruppe weist also erste Ergebnisse auf, auch wenn diese nicht ein für alle Mal in Stein gemeißelt sind, sondern ständig überarbeitet und erweitert werden. Das scheint dem Zusammenschluss noch nicht auszureichen. Sie wollen mehr – nämlich ein Upgrade zur Initiative. Initiativen innerhalb des „Internet & Gesellschaft Co:llaboratory“ verfügen über eine Leitung, ein festes Kernteam und einen Expertenkreis. Geplant und durchgeführt wird die Initiative von den bisherigen Ohu-Mitgliedern, die ebenfalls die Experten und Expertinnen vorschlagen. Die Mitgliederzahl ist auf 30 Personen beschränkt, die Dauer auf drei oder sechs Monate. Bewerben kann sich grundsätzlich erst einmal jeder. Mit einer losen Arbeitsgruppe im Vorlauf stehen die Chancen aber sicherlich besser. Am Ende einer Initiative steht ein Ergebnis, beispielsweise in Form einer Publikation.

 

Im Oktober entsteht aus der Ohu und ihren Arbeitsbereichen also eine Initiative, die bis zum Ende des Jahres läuft. Sie beteiligt sich unter anderem an einem Barcamp zum Thmea OER. Auch bei dieser Initiative wird am Ende eine Dokumentation der Arbeit bzw. ein Ergebnis stehen. Aber bevor an das Ergebnis gedacht werden kann, muss zunächst die Fragestellung oder Ausgangsthese formuliert werden, der die Initiative in ihrer Arbeit nachgeht. „Was wollen wir in Zukunft leisten? Welche Arbeitsbereiche sollen vertieft werden?“, waren demnach die zentralen Fragestellungen des Ohu-Treffens am 5. Juli. Um „Open Educational Resources“ alleine könne es nicht gehen, denn mit einer Adaption von analogen Materialien ins Digitale sei es nicht getan. „Das ist alter Wein in neuen Schläuchen“, meint ein Teilnehmer. Zwar gehe es bei OER um mehr als eine Übersetzungsleistung, nämlich u.a. auch um die Erstellung und kreative Auseinandersetzung mit Unterrichtsmaterialien, meinten andere, dennoch waren sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe „Digitale Integration und Medienkompetenz“ einig: Das Netz ist ein nonformeller Lernort. Um etwas Neues zu entwickeln, müssten auch nonformelle Herangehensweisen gewählt werden. Nur so könnte eine Abwendung von vorhandenen Vorstellungen des Lernens ermöglicht und neue Wege beschritten werden. Der Blickwinkel solle breit bleiben, denn es gehe um die Förderung einer digitalen Kultur in der Bildung. Einst sei der Frontalunterricht zu einer Art „Koryphäe“ hochstilisiert worden, nun dürfe dasselbe nicht mit dem Netz passieren. Um diesem Gedanken gerecht zu werden und die Chancen des Netzes für die Bildung zugleich nicht zu verkennen, will sich die Initiative, ähnlich wie die Arbeitsgruppe zuvor, mit dem Dreiklang aus digitaler Integration, Medienkompetenz und „Open Educational Resources“ befassen.

 

Die Runde der 15 anwesenden Mitglieder, die am 5. Juli zum Arbeitstreffen zusammen kam, zeigte sich durchaus heterogen und diskutierte dementsprechend kontrovers. Alter und Tätigkeitsbereiche der Anwesenden wiesen eine große Bandbreite auf: Von Vertreterinnen und Vertretern außerschulischer Bildungsprojekte über an Universitäten Tätige bis hin zu bloggenden Lehrenden ist in dieser Arbeitsgruppe alles vertreten. 

Nach einer über vierstündigen Diskussion über den bislang beschrittenen Weg der Arbeitsgruppe, die inhaltliche Richtung der zu gründenden Initiative und Grundsatzfragen zum Einsatz digitaler Medien in Schulen, außerschulischer Bildung und Erwachsenenbildung attestierte sich die Arbeitsgruppe in weiser Selbsterkenntnis, konzeptionell bislang sehr weit gekommen zu sein – weiter als viele Kollegen und Kolleginnen anderer Länder. An der praktischen Umsetzung dieser konzeptionellen Gedanken müsse allerdings noch verstärkt gearbeitet werden.

 

Foto: flickr/opensourceway