Wozu brauchen Staaten(-gebilde) wie Deutschland oder die Europäische Union ein historisches Gedächtnis? Wie begegnet man konkurrierenden Erinnerungen (zwischen Generationen, Nationen etc.) und wie können diese in unserer heutigen Migrationsgesellschaft vermittelt werden ohne auszugrenzen? Unter dem Motto “Die Zukunft der Aufarbeitung – Demokratie und Diktatur in Deutschland und Europa nach 1945” tagten Historikerinnen, Lehrende und politische Bildner und stellten zahlreiche Projekte vor. Werkstatt.bpb präsentierte sich zu Beginn des zweiten Tages vor großer Runde.

 

Im Ringberghotel im thüringischen Suhl lebte die zweieinhalbtägige Geschichtsmesse 2012 zwischen Impulsvorträgen und Workshops insbesondere von Diskussionen über Prämissen, Möglichkeiten und Grenzen der historisch-politischen Bildung. Insgesamt wurden über 50 Geschichtsprojekte präsentiert – darunter die Onlineportale “Orte der Repression” und “Lernen aus der Geschichte” oder die Mediothek des Thüringer Schulportals, die sich als “Online-Plattform zur Verteilung digitaler Medien” versteht. Besonders beeindruckend war das Projekt “STOLPERSTEINE in Potsdam”, an dem sich Potsdamer Schülerinnen und Schüler beteiligen können. Unter Anleitung ihrer Lehrerinnen und Lehrer und unterstützt durch Expertinnen und Experten aus Archiven und Museen recherchieren die Schülerinnen und Schüler Schicksale jüdischer Familien, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. 

 

Auch die veränderte Struktur der jeweiligen Zielgruppen der politisch-historischen Aufarbeitung in schulischen und außerschulischen Einrichtungen wurde auf der Geschichtsmesse in großem Rahmen berücksichtigt. Ein Podium der Geschichtsmesse galt der Frage nach Formen des Gedächtnisses und der Geschichtsvermittlung in der Migrationsgesellschaft. Es wurde deutlich, dass Lehrpläne, Unterrichtsmaterialien und Förderprogramme bislang nur unzureichend auf die Herausforderungen der Migrationsgesellschaft reagieren. Welche Kerninhalte die historisch-politische Bildung vermitteln müsse, sei (auch) durch den steigenden Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zunehmend umstritten.

 

Die Diskutantinnen und Diskutanten des Podiums, Philipp Harpain (GRIPS-Theater, Berlin), Ulla Kux (Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft”) und Johannes Meyer-Hamme (Universität Hamburg) machten deutlich, dass die Vermittlung der zentralen Diktaturerfahrungen des 20. Jahrhunderts, vor allem der NS- und DDR-Geschichte, nach wie vor wichtig und möglich ist. Unabdingbar sei es jedoch, die unterschiedlichen Geschichtsbezüge und Vergleichshorizonte der Lernenden einzubeziehen und diskutierbar zu machen. Verständliche Zugänge zur deutschen Zeitgeschichte ergäben sich zum Beispiel über die Themen “Flucht” und “Verfolgung”. 

 

Ulla Kux wies zudem darauf hin, dass in Deutschland sehr voraussetzungsreich und damit ausgrenzend über Geschichte diskutiert werde. Diese Partizipationsprobleme gelte es wahrzunehmen. Vor allem Akteure der politisch-historischen Bildung rief Kux dazu auf, die eigene Perspektive und Machtposition kritisch zu reflektieren. 

 

Fragen der praktischen Umsetzung wurden auf der Messe nur angerissen. Offen blieb bei der Podiumsdiskussion, wie Lehrende der Vielfalt der Erinnerungen und Geschichtsbezüge konkret gerecht werden und diese produktiv in den Unterricht einbeziehen können. Nicht weiter ausgeführt wurde zudem der Gedanke, dass die Kerninhalte der historisch-politischen Bildung “entnationalisiert” werden müssten.