Die “Kluft” zwischen Schülerinteressen und Unterrichtsinhalten wächst! Wie kann eine Annäherung aussehen? Können medienkompetente Schülerinnen und Schüler die Lehrerinnen und Lehrer als “Wissensmonopolisten” ablösen? Wie wäre es mit neuen Rollenzuschreibungen? Das Thema Partizipation bietet Anlass zur Diskussion – ein Rückblick auf das Speedlab “Migration und Geschichtsvermittlung – Digitale Bildung im multikulturellen Klassenzimmer”.
Die Schülerinnen und Schüler als Expertinnen und Multiplikatoren für Themen und Inhalte – Lehrkräfte als Moderatorinnen und Moderatoren, die den ergebnisoffenen Lernprozess neugierig begleiten!? Dass diese Vorstellung keine Illusion ist, spiegeln die Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag von Melanie Unbekannt, Bildungsaktivistin, Bloggerin und Mitorganisatorin des EduCamps, wider. Sie führte durch das LernLab “Open School” und forderte mit provokanten Thesen wie zum Beispiel, dass Geschichte und Politik Jugendliche nur interessiere, wenn es etwas mit ihrem Lebensalltag und ihrer Herkunft zu tun habe, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Diskussion heraus.
Vanessa Genschow, Portalverantwortliche von “Du hast die Macht” bestätigte dies und setzte noch einen drauf mit der Behauptung, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund großes Interesse an Geschichte und Politik hätten, allerdings die Schule meist einseitig und ohne Schülerbeteiligung die Themen auswähle. Ihre Erfahrungen sind, dass Jugendliche politisch, vielseitig interessiert und aktiv seien, egal welcher Herkunft. Mit Ausdauer und Kreativität würden Jugendliche einen erheblichen Teil ihrer Freizeit im Netz verbringen. Sie gestalten es, sie informieren sich und pflegen ihre Kontakte. Dieser, für die Jugendlichen reale Lebensbereich werde von den etablierten Bildungsinstitutionen ignoriert oder zumindest vernachlässigt.
Schafft der Einsatz von Medien mehr Raum für Partizipation?
In einem sind sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig: Ein stärkerer Medieneinsatz in der Schule und im Unterricht ist zu befürworten. Besonders wenn dadurch Schülerinnen und Schüler aktiviert und zum kreativen Umgang mit Medien angeregt werden oder als Multiplikatoren ihren Mitschülerinnen und Mitschülern sowie ihren Lehrerinnen und Lehrern neue Medienzugänge verschaffen können.
Doch dürfe man nicht davon ausgehen, dass eine Medienausstattung an einer Schule oder außerschulischen Bildungseinrichtung automatisch für mehr Partizipation und Jugendnähe sorge. Der Einsatz von Medien stelle eher eine Methode, einen Ansatz für alternatives Lernen dar.
Das Whiteboard könne zum Beispiel althergebracht als ein “modernes Frontalgerät” eingesetzt werden, das die aktive Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler nicht vorsieht. Entscheidend beim Einsatz von Medien sei die Haltung der Beteiligten, der Raum für Interaktion, die Neugier vom Anderen zu lernen.
Wie groß ist die Bereitschaft der etablierten Bildungsinstitutionen, sich für innovative Partner zu öffnen und sich an den Interessen der Jugendlichen zu orientieren?
Vanessa Genschow konfrontierte anwesende Lehrerinnen und Lehrer sowie Bildungsverantwortliche mit der Frage, warum Schulen nicht stärker auf die Interessen, den kulturellen Hintergrund und auf Zeitgeist geprägte Jugendfragen eingehen um daraus Themen für den Unterricht zu entwickeln, die bei Schülern und Schülerinnen wirklich ankommen und ihnen Antworten auf den zunehmend komplexer werdenden Lebensalltag mit seinen vielfachen Bezügen geben.
Die Antworten sind zweigeteilt. Schulinsider berichten von Lehrerinnen und Lehrern, die genau in diesem Sinne arbeiten und insgesamt an einer Modernisierung des Unterrichts und des gesamten Schulbetriebes interessiert sind. Auch gebe es zahlreiche Kooperationen mit außerschulischen Partnern, die das Schulprogramm mit kreativen Methoden und aktuellen Themen bereichern. Dem gegenüber stünden die große Institution Schule und die an Erneuerung weniger interessierten Lehrerinnen und Lehrer, die sich ohne einen grundlegenden gesellschaftspolitischen Neuauftrag nur marginal und sehr langsam veränderten.
Eine Perspektive?
Somit sind die Partner und Partnerinnen für mehr Partizipation und Jugendnähe in den Schulen identifiziert. Bildungsaktivistinnen wie Melanie Unbekannt und Vanessa Genschow übernehmen bereits die Rolle der Übersetzer und Vermittlerinnen, indem Sie Politikerinnen und Bildungsverantwortliche mit den Fragen und Themenstellungen der Jugendlichen konfrontieren und die Antworten für die interessierten Jugendlichen übersetzen. Denn selbst in der Kommunikation mit Schülervertretungen, Kinder- und Jugendparlamenten oder nicht organisierten Jugendgruppen, gelingt es den erwachsenen Verantwortungsträgern nicht, eine Sprache zu wählen, die klare und verständlichen Botschaften transportiert, die Jugendlichen ernst nimmt und zur Interaktion einlädt.
Die Chance für mehr Partizipation in Schulen besteht. Wenn sich außerschulische Bildungspartner und Einzelaktivistinnen, wie wir sie im “LernLab Open School” kennenlernen durften, mit den innovativen Kräften in der Bildungsinstitution Schule vernetzen und gemeinsam daran arbeiten, dass das Interesse und das Engagement der Schülerinnen und Schüler eine stärkere Aufmerksamkeit bekommt. Ob es ausreichen wird, um den “trägen Dampfer Bildungsinstitution Schule” in diese Richtung zu lenken, bleibt abzuwarten.
Foto: flickr/markdan
Die beschriebenen Initiativen und Akteure sind sicher vorbildlich, aber man muss in diesem Bereich immer aufpassen, dass man nicht dazu instrumentalisiert wird, den trägen Dampfer ein wenig zu tunen. Es darf nicht bei einer ‘Bereicherung’ durch schöne neue Medien bleiben, man muss in geeigneten Projekten oder Nischen zeigen, dass sich Lernen ganz anders vollziehen kann, eben in dem neuen medialen Kulturraum, in dem die SchülerInnen schon längst leben, und partizipativ im Sinne von gleichberechtigter Kooperation, von Rollenwechsel oder -variation etc. Solche Formen des gemeinsamen Lernens können sich auf dem alten Dampfer nur sehr spärlich bilden, aber immerhin gibt es immer wieder kleine Möglichkeiten, die man nutzen kann, in Projekten, in kreativen Bereichen wie Literaturkursen oder Musik-AGs oder Kunstproduktionen, etc. Auch im normalen Unterricht kann man durchaus kurzfristig Zwischenräume ermöglichen, z.B. am Ende eines Kursabschnittes SchülerInnen an einem selbstgewählten Wunschthema arbeiten lassen, mit Einbeziehung in die Bewertung nach ausgehandelten Kriterien, vielleicht auch längerfristig mit einer EPortfolio-Bewertung. Man kann auch SchülerInnen stark machen, sich gegen einen schlechten Unterricht zu wehren, indem man einfach bessere Möglichkeiten im medialen Raum nutzt; ich kenne SchülerInnen, die ihre Mathe-Klausuren hervorragend schreiben, weil sie Mathe bei youtube gelernt haben, bei Jörn Loviscach oder Oberprima oder… oder die Englisch gelernt haben über Filme, Songs, Khan-Academy-Vorträge, TED-Talks, Scype-Sitzungen mit Australien, etc. oder die sich kollaborativ auf Klausuren vorbereitet haben in einer selbst gegründeten geheimen Fb-Gruppe, etc.
[…] Die “Kluft” zwischen Schülerinteressen und Unterrichtsinhalten wächst. Wie wäre es da mit neuen Rollenzuschreibungen? Können im digitalen Zeitalter die Lehrenden als Wissensmonopolisten von den ‘Digital Natives’, den Schülern und Schülerinnen, abgelöst werden? Waldemar Palmowski, Pädagoge und Sozialmanager, wirft einen Blick zurück auf die zentralen Thesen des SpeedLabs “Migration und Geschichtsvermittlung – Digitale Bildung im multikulturellen Klassenzimmer”. Im Fokus: das Thema Partizipation. zum Artikel […]