In unserem klassischen Schulsystem gehen wir davon aus, dass Kinder nicht lernen wollen. Deshalb gibt es Unterrichtspflicht. Demokratische Schulen gehen dagegen davon aus, dass Kinder lernen wollen, dass Kinder ihre Welt verstehen wollen und daran interessiert sind, wie alles miteinander zusammenhängt. In einer demokratischen Schule erfahren Schülerinnen und Schüler somit die Grundvoraussetzung für Demokratiefähigkeit, so die Journalistin und Mitarbeiterin des Projektes Omnibus für Direkte Demokratie, Andrea Adamopoulos. Wie entsteht also demokratische Kultur? Wo können wir lernen, wie es geht, wenn jeder Mensch eine Stimme hat und sie auch wirksam einsetzt?

 

Was ist eine demokratische Schule? Erschöpft sich der Demokratiebegriff in der Beschreibung einer Staatsform? Kann man Demokratiefähigkeit lernen?

 

Für mich bedeutet Demokratie, dass jeder Mensch eine Stimme hat, die er gestaltend in die Gesellschaft einbringt – in aller Konsequenz. Demokratie bedeutet für mich, dass wir unser Zusammenleben gemeinsam gestalten. Dafür brauchen wir Mut und Vertrauen in uns selbst und Vertrauen in die Menschen um uns herum. Die Erfahrung, dass meine Gedanken und Taten wichtig sind, dass sie bedeutsam sind und etwas in der Welt verändern, weckt Interesse und Lust, mich einzubringen.

 

In unserem klassischen Schulsystem gehen wir davon aus, dass Kinder nicht lernen wollen. Deshalb gibt es Unterrichtspflicht. Die Schüler müssen zu vorgegebenen Zeiten vorgegebene Inhalte in einer oftmals vorgegebenen Weise lernen. Bei mir führte das dazu, dass ich häufig nur für die Klausuren lernte und danach vieles schnell wieder vergaß. In meiner Schule ging es um Anpassung, nicht um Selbstbestimmung. Demokratische Schulen gehen davon aus, dass Kinder lernen wollen, dass Kinder ihre Welt verstehen wollen und daran interessiert sind, wie alles miteinander zusammenhängt. In den ersten Lebensjahren bringen Kinder sich viele lebenswichtige Dinge selber bei. Sie lernen sitzen, stehen, laufen und sprechen. Die Philosophie einer demokratischen Schule besagt, dass dieses Selber‐lernen‐können und ‐wollen mit dem Einschulungsalter nicht aufhört. Während also an klassischen Schulen den Schülern vorgegebenes Wissen vermittelt wird, um es danach wieder abzufragen und die Kinder durch Benotungen zu klassifizieren, gehen die Schüler einer demokratischen Schule ihren individuellen Interessen nach. Ob sie das im Schulgebäude besser können oder im Garten auf einem Baum sitzend, ob allein oder gemeinsam mit anderen, bleibt ihnen dabei selbst überlassen. Die Teilnahme am Unterricht ist freiwillig. Wenn ein Kind eine Frage hat, kann es sich jederzeit an einen Erwachsenen Mitarbeiter der Schule wenden. Dieser wird sich dann gemeinsam mit dem Kind der Fragestellung nähern. Der Vorteil dieser Freiwilligkeit ist, dass es keine Disziplinlosigkeit gibt. Wer nicht teilnehmen will, nimmt nicht teil und wer teilnehmen will, tut es, weil er etwas lernen möchte. Der Begriff, der mich hierbei fasziniert, ist der Begriff des eigenmotivierten Lernens. Das Kind findet den Grund für sein Lernen‐wollen in sich selbst. Das stellt für mich eine Grundvoraussetzung für Demokratiefähigkeit dar: Zu lernen, mein Denken und Tun aus mir selbst heraus begründen zu können. 

 

Die Ansätze sind zwar längstens bekannt, doch wäre Selbstermächtigung als Motivation für das Lernen in unseren Breiten eine neue Qualität des Tätigwerdens. Kinder lernen auf diese Weise, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen, da sie selbstbeauftragt statt fremdbeauftragt handeln. Sie erzeugen dann den Grund ihres Handelns selbst und erleben sich als wirksam. Die These lautet, dass ein Kind, so es sich frei entschließen kann, ob und wie es etwas tut oder unterlässt, ganz selbstverständlich lernt, sich mit anderen abzustimmen, da es jedem mit wenigen gemachten Erfahrungen einleuchtet, dass meine Freiheit keine Freiheit sein kann, wenn ich damit die Freiheit eines anderen einschränke. Dieses unmittelbare Gespür für das Wohl einer Gemeinschaft tragen wir in uns. Üben können wir es nur im Ausprobieren unsrer Handlungsspielräume, auch im Ausprobieren von Regelverstößen. Abgewöhnt wird uns dieses Ringen um eine stimmige Form durch ein Schulsystem, in dem Handlungsräume vorgegeben und besetzt sind. Jeder wird konkurrent auf sich gestellt und die Auseinandersetzung mit dem anderen wird folglich irrelevant. Der Umgang mit anderen Menschen wird hier nicht in mir, sondern von außen reglementiert. Dagegen werden dann nach der Schulzeit Selbstständigkeit und eigenverantwortliches Gestalten gefordert. Können wir uns also ein konformistisches Schulsystem leisten in unserer globalisierten wie individualisierten Welt?

 

Mit dem OMNIBUS für Direkte Demokratie bin ich viele Wochen durch ganz Deutschland gefahren und habe mit vielen Menschen über das Thema Volksabstimmung gesprochen. Dabei hörte ich häufig: “Ja, sind wir denn überhaupt in der Lage dazu, in Sachfragen abzustimmen?” Vor ein paar Jahren noch bezog sich diese Frage auf unser vermeintlich fehlendes Fachwissen. Heute geht es dabei vielmehr um die Frage nach unserer demokratischen Kultur. Wie entsteht also demokratische Kultur? Wo können wir lernen, wie es geht, wenn jeder Mensch eine Stimme hat und sie auch wirksam einsetzt? Wo werden denn die Grundvoraussetzungen dafür geschaffen? Wo denn, wenn nicht in der Schule?

 

Foto: Flickr/Michael Panse