Lisa Rosa, Lehrerin und Mitarbeiterin am Landesinstitut für Schulentwicklung und Lehrerbildung in Hamburg, macht sich in LernLab 2 für web-basierte Lehr- und Lernmethoden stark. Sie stützt sich auf ihre Erfahrungen mit einem Projektblog in der Schule. Bildungsberater Jöran Muuß-Merholz, selbst Blogger, weist auf Stolpersteine dieser Entwicklung im heutigen Schulsystem hin und plädiert für schnellen Wandel.

Das große Ganze

 

Lernen durch Erfahrung. Das Beispiel der heißen Herdplatte ist einleuchtend und durchaus übertragbar auf den Geschichtsunterricht. Anstatt sich geschriebene Texte und geschossene Fotos im Geschichtsbuch anzusehen, schreiben Schülerinnen und Schüler eines Hamburger Gymnasiums ein eigenes Blog über die Geschichte des Konzentrationslagers Neuengamme. Neben historischen Inhalten lernen sie, wie man einen lesenswerten Text verfasst, wie ein Blog erstellt wird und wie es sich anfühlt, seine Arbeit der Öffentlichkeit zu präsentieren. Experten, Freunde und Interessierte lesen, kommentieren und kritisieren die Arbeit. Im Netz gibt es zu jedem Thema einen Abenteuerspielplatz. Dieser Austausch mit der „virtuellen Welt“ bedeutet eine neue Qualität im Unterricht, aber auch eine Bedrohung realer und haptischer Erfahrungen.

 

Naiv kollaborativ?

 

Projektlernen im 21. Jahrhundert kann die vollkommene Verselbstständigung des Lernprozesses bedeuten. Was früher die Wandzeitung war, die aus vorbereiteten Materialien in gemeinsamen Unterrichtseinheiten erarbeitet und erstellt wurde, ist heute das Blog, auf das Schülerinnen und Schüler rund um die Uhr aus der ganzen Welt zugreifen können und das sie mit einer unendlichen Fülle an griffbereiten Informationen befüttern. Kollaboratives Lernen verändert das Lernen in seinen Grundfesten. Die Information, das Wissen und das Material werden ergänzt durch neue Herausforderungen wie Selbstmanagement, Reflexion und Diskurs. Chancen und Risiken zugleich: Der Kanon an geforderten und geförderten Kompetenzen wird größer und fächerübergreifend. Die soziale Komponente gewinnt durch mehr Interaktion an Bedeutung. Kritischer Umgang mit der virtuellen Welt wird trainiert. Auf der anderen Seite wird Unterricht exponiert. (Wer möchte schon Gesangsunterricht in der U-Bahn nehmen?) Gemeinsame Lernziele sind schwer zu erreichen. Und wie passt das Konzept in ein System mit Turbojahrgängen (Zeitdruck) und Zentralabitur (starre Inhalte)? Die Ergebnisse der Verfechter sind beeindruckend, die Argumente der Kritiker nicht von der Hand zu weisen. Schule kommt an diesem Wandel nicht vorbei, das Maß und die Intensität der Vernetzlichung stehen zum Diskurs.

 

Experimentelle Hilfesteller gesucht

 

Das Bedürfnis nach Kontrolle über den Lernprozess im Klassenzimmer bei Lehrerinnen und Lehrern ist so beharrlich wie nachvollziehbar. Hohe Erwartungen und wenig Zeit fordern möglichst effiziente Unterrichtsformen und wenig Reibungsverluste; ein Umfeld, in dem sich experimentelle Ansätze nur schwer durchsetzen. Trotz vieler entlastender Effekte wie selbstorganisiertem Lernen und höherer Motivation der Lernenden durch Gestaltungsraum, bedeuten kollaborative Ansätze im Unterricht in unserem heutigen Schulsystem immer noch Mehraufwand. Es bedarf einer großen Portion innovativer und experimenteller Energie für die Lehrerinnen und Lehrer, die eigene Rolle zeitgemäß zu spielen. Das Bild der Lehrenden verändert sich weg von zentralen Wissensquellen und Kommunikationszentren, hin zu moderierenden Hilfestellerinnen und -stellern, die auf individuelle Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingehen. Wann und wie werden die systematischen Pferdefüße, wie starre Lehrpläne, enge Zeitfenster und kurze Unterrichtseinheiten, bearbeitet?

 

 

(bus)